# taz.de -- Wissenschaftskommunikation verbessern: Digitales Wettrennen
       
       > Die Wissenschaftsakademien entdecken Social Media. Sie wollen Twitter
       > und Facebook mit unabhängigen Plattformen Paroli bieten.
       
 (IMG) Bild: Dreidimensionale Wissensvermittlung: Mittels eines aufgesetzten Hologramms wird über das Smartphone ein Herz als 3-D-Modell abgebildet
       
       Berlin taz | Die Wissenschaft und die sozialen Medien: ein Wettlauf
       zwischen Hase und Igel. Kaum haben die Forscher jüngste Entwicklungen der
       neuen Kommunikationstechniken als Gegenstand für ihre Untersuchungen und
       Empfehlungen entdeckt, da hat sich die reale Internetwelt schon wieder
       weitergedreht. „Wir sind mit Veränderungen konfrontiert, die wir uns vor
       wenigen Jahren überhaupt nicht vorstellen konnten“, beschreibt Martin
       Grötschel, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
       Wissenschaften (BBAW), die Lage.
       
       Das aktuelle Beispiel aus dieser Woche: Am Mittwoch stellt eine
       Arbeitsgruppe von drei Wissenschaftsakademien in Berlin ihre Vorschläge zu
       „Social Media und digitaler Wissenschaftskommunikation“ vor. Darin
       enthalten ist die Forderung an den Gesetzgeber, „Social-Media-Plattformen
       und Suchmaschinen stärker rechtlich zu regulieren“.
       
       Längst erledigt, ist die Botschaft von Bundesjustiz-Staatssekretär Gerd
       Billen in der gleichen Veranstaltung: Am heutigen Freitag werde das
       „Netzwerkdurchleitungsgesetz“ vom Bundestag beschlossen. Die Beseitigung
       strafrechtlich relevanten Inhalten aus den Web-Plattformen werde nun
       gesetzlich verlangt. Billen: „Ich habe den Glauben an die Selbstregulierung
       verloren“.
       
       Über das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und ihre
       Vermittlung über die Medien machen sich die Nationalakademie Leopoldina,
       die Technikakademie Acatech und die Union der deutschen Akademien der
       Wissenschaften schon seit geraumer Zeit Gedanken. Vor drei Jahren legte
       ihre gemeinsame Arbeitsgruppe „Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien“ (WÖM)
       die ersten Empfehlungen vor, wie die Beziehung zu verbessern sei.
       
       Die Überraschung war groß, dass darin der Kommunikationskosmos des
       Internets und die interaktiven Formate der sozialen Medien nicht vorkamen
       und nur auf Printpresse und Rundfunk Bezug genommen wurde. Also musste die
       WÖM-Gruppe aus 15 Wissenschaftlern und Medienpraktikern ein zweites Mal
       ran. Jetzt legte sie in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
       Wissenschaften ihre 72-seitige Stellungnahme vor. Untertitel: [1][„Analyse
       und Empfehlungen zum Umgang mit Chancen und Risiken in der Demokratie“
       (pdf-Datei).]
       
       Sorge bereitet den Autoren nicht nur die schon länger bekannten
       Vermittlungsprobleme der Wissenschaftskommunikation zwischen Fachchinesisch
       und Volkssprache. Sehr viel kritischer als früher wird die Rückwirkung der
       Medien auf das Wissenschaftssystem bewertet.
       
       ## Akzeptanz und Vertrauen
       
       „Dem Übergreifen der Medienlogik auf Forschung und Lehre muss Einhalt
       geboten werden“, warnte der Sprecher der Arbeitsgruppe, der Bielefelder
       Wissenschaftssoziologe Peter Weingart. In den Wissenschaftseinrichtungen
       müsse die Wissenschaftskommunikation und das Wissenschaftsmarketing
       voneinander getrennt werden. Die derzeitige Vermischung unterminiere das
       Vertrauen in der Bevölkerung.
       
       In ihren dreijährigen Beratungen, Anhörung von Experten und Vergabe von
       Gutachten gelangte „WÖM-2“ zu zwölf Empfehlungen an Politik, Wissenschaft
       und Bildungseinrichtungen, die bei der Präsentation am Mittwoch teils recht
       kritisch aufgenommen wurden. Um den vorhandenen Web-Plattformen wie
       Facebook, Google und Twitter – die Fake News genauso verbreiten wie
       Wahrheits-Informationen – angemessen Paroli zu bieten, wird vorgeschlagen,
       den „Aufbau einer redaktionell unabhängigen Wissenschaftskommunikations-
       und Informationsplattform“ zu prüfen.
       
       Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten weniger unterhalten
       und mehr Wissenschaftsinformationen bringen, gerade in der tagesaktuellen
       Berichterstattung. In der Redaktion der „Tagesschau“, die das ganze
       Weltgeschehen im Blick habe, gebe es noch immer keinen
       Wissenschaftsjournalisten. Um den unabhängigen Wissenschaftsjournalismus zu
       stärken, wird dessen Unterstützung „nach dem Modell der
       Forschungsförderung“ angeregt, was ein Paradigmenwechsel wäre. Zur
       Umsetzung heißt es in dem Papier: „Die Akademien halten staatsunabhängige
       Stiftungen für überlegenswert, die eventuell aus Mitteln der
       Rundfunkbeiträge (mit-)finanziert werden könnten“.
       
       Die Empfehlungen an die Wissenschaft greifen im Wesentlichen auf die
       Postulate von 2014 zurück. Neu ist die Anregung, eine
       „institutionenübergreifende Arbeitsgruppe“ einzurichten, die einen
       „Verhaltenskodex (Code of Conduct) für Informationen in Web und Socal Media
       entwickeln“ soll. Auch sollte die „Beobachtung des rapiden Wandels der
       Wissenschaftskommunikation institutionell dauerhaft innerhalb der
       Wissenschaft verankert“ werden. Am besten bei den Akademien, schlagen die
       Akademien vor. Schließlich werden im Bildungsbereich „massive Maßnahmen“
       verlangt, um nicht nur in der jungen Generation die „digitale Medien- und
       Quellenbewertungskompetenz“ zu fördern – ein Auftrag an Schulen,
       Hochschulen, Aus- und Weiterbildung.
       
       ## Stärker differenzieren
       
       In der Diskussion wurde der „kulturpessimistische Tenor“ des WÖM-Papiers
       kritisiert, so von Markus Weißkopf, dem Leiter von „Wissenschaft im
       Dialog“, einer Initiative der deutschen Wissenschaftsorganisationen. „Für
       mich überwiegt zu sehr die negative Sicht auf Social Media“, sagte
       Weißkopf. Es gebe sehr viele gute Möglichkeiten der sozialen Medien, die
       stärker aufgegriffen werden sollten. Auch Henning Krause,
       Social-Media-Redakteur der Helmholtz-Forschungsgemeinschaft, attestierte:
       „Der Punkt Fake News ist in der Stellungnahme zu stark gewichtet.“ Carsten
       Könneker vom Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) ließ sich als
       Mitautor der Empfehlungen belehren: „Dass wir die Social Media zu wenig
       differenziert betrachtet haben – da fühle ich mich ertappt.“
       
       Die Leerstelle des WÖM-Papiers beschrieb am besten Sabine Kunst, die
       Präsidentin der Humboldt-Universität Berlin (HU), mit dem Begriff von der
       „Responsivität der Gesellschaft“. Längst frage sich nicht nur ihre
       Hochschule, ob der immense Ausstoß an Hochglanzbroschüren wirklich etwas
       bringt oder ob es sich eher um Geldverschwendung handelt. Kunst skizzierte
       mediale Mischformen, die die Menschen in der Wissenschaft und in der
       Gesellschaft draußen besser erreiche, wie dies jetzt auch zum 250.
       Geburtstag Wilhelm von Humboldts an ihrer Uni reflektiert worden sein. „Wir
       müssen die Expertisen aus der Wissenschaft mit der gesteuerten
       Schwarmintelligenz aus der Gesellschaft kombinieren“, umriss die
       HU-Präsidentin die Vision. „Das verlangt aber eine Rollenänderung auf
       beiden Seiten“.
       
       Einen wichtigen politischen Impuls brachte neben Billen die
       SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela De Ridder ein, die im Parlament auch
       Berichterstatterin für das Thema „Wissenschaftskommunikation“ ist. In ihrer
       Aufzählung von „sieben Baustellen“ zur Verbesserung des Austauschs von
       Wissenschaft und Politik schlug De Ridder auch die Einrichtung einer
       Enquetekommission im nächsten Bundestag vor. Anders als die frühere
       Kommission zu Internet und digitaler Gesellschaft sollte dieses Gremium in
       einem „ressortübergreifenden Format“ den rasanten Wandel durch die
       digitalen Medien reflektieren und politische Schlüsse ableiten.
       
       Möglicherweise kommt eine andere Beratungskommission noch eher zustande.
       Reinhard Hüttl, Expräsident der Acatech-Akademie, erklärte nach der
       Veranstaltung gegenüber der taz, dass sich die Akademien weiter mit dem
       Kommunikationsthema beschäftigen werden. WÖM-3? „Ja, es wird eine nächste
       Phase geben“, sagte Hüttl. Hier könnten einige Aspekte grundsätzlicher
       behandelt werden. Hüttl versicherte: „Die Akademien werden dafür die
       Ressourcen bereitstellen.“
       
       29 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.bbaw.de/publikationen/neuerscheinungen/pdf/social-media
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
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