# taz.de -- Ein Rundgang durch Grimma: DDR-Flair und neue Deutsche
       
       > Die Schönheit der Stadt Grimma liegt im Engagement ihrer Bewohner*innen.
       
 (IMG) Bild: In der alten Spitzenfabrik findet das taz.meinland Sommerfestival statt
       
       Grimma taz | Grimma – das klingt irgendwie nach Märchen. Nach
       Luftschlössern und Drachen, Lebkuchenhäusern und Zauberern. Das hellgelbe
       Bahnhofsgebäude in Grimma oder Krimma, wie die Einheimischen sagen, hat
       wenig Märchenhaftes. Rot sieht es aus. Der Putz blättert von den Wänden,
       Graffiti überdecken den Belag darunter, Türen und Fenster sind mit schweren
       Holzplatten verriegelt.
       
       Trotzdem ist der Bahnhof in Betrieb – seit zwei Jahren gar mit
       barrierefreiem Bahnsteig. Nur hatte die Deutsche Bahn bei der 200.000 Euro
       teuren Investition übersehen, dass die Züge am Gleis gegenüber halten.Vor
       dem Bahnhofsgebäude, zwischen Fleischerei Richter und der Spielothek,
       warten Jugendliche ungeduldig auf den Schulbus.
       
       Gleich gegenüber, im Bahnhofspark, sitzen zwei Männer bei einer Flasche
       Sternburg zusammen. „Morjen treffn wa uns spädor, Frank, dann is es nüsch
       ma so heiß“, sagt der eine. Frank nickt stumm. Hinter ihnen scheint die
       Sonne auf eine unauffällige Gedenktafel. „Ewiges Gedenken den für ihre
       sowjetische Heimat gefallenen Soldaten“ steht darauf, davor der rote Stern
       als eine Art Kerzenständer aus Eisen. Die Kerze fehlt.
       
       Ein sowjetischer Panzer, der hier früher stand, wurde schon 1992 entfernt.
       Ein paar Meter weiter macht eine Mutter mit ihren vier Kindern Picknick.
       Die zwei Jungen bewerfen sich gegenseitig mit Stöcken, bis einer von beiden
       weint und die Mutter den Übeltäter auf Arabisch ankreischt. Über die
       Karl-Marx-Straße gelangt man, den Berg hinab, ins Stadtzentrum. Wären da
       nicht diese Straßennamen, das Sowjetdenkmal oder der türkise Trabi, der die
       Straße hinuntertuckert, würde man wohl nicht darauf kommen, dass man sich
       in der ehemaligen DDR befindet.
       
       Großzügige Fachwerkhäuser, Backsteingebäude und Villen mit Holzverzierungen
       und knallgrünen, sauber gepflegten Gärten schmücken die Straßenseiten.
       Viele der Gebäude stammen aus dem späten 19. Jahrhundert, ihr Zustand ist
       meist tadellos.
       
       In der Mittagssonne hat Grimma fast etwas Mediterranes. Nur fehlen die
       Menschen auf den Straßen. Siesta im Kleinstadtidyll.Die Ladenzeile, wenn
       man sie so nennen kann, führt vorbei an einer Videothek, das
       Mindesthaltbarkeitsdatum der Popcornbecher im Schaufenster datiert auf den
       März 2013. Die ausgestellten Verpackungen von Spielekonsolen sind
       ausgeblichen, die Sonne hat über die Jahre offensichtlich ganze Arbeit
       geleistet.
       
       ## Alte Heimat im Obstladen
       
       Man passiert einen Tätowierer, der Biker-Kutten anbietet und im
       Schaufenster eine beachtliche Sammlung an Ketten mit Eisernem Kreuz und
       Thors Hammer liegen hat. Besonders glücklich sieht der Inhaber nicht aus,
       „Grimma hat 20.000 Einwohner und vier Tattoo-Studios. Das eine macht uns
       mit Dumpingpreisen auch die wenigen Kunden noch kaputt“, sagt er.
       
       Kleine Einzelhändler mit Kleidung für die ganze Familie, eine Parfümerie
       und ein paar Obsthändler zieren die Gasse, die irgendwann auf den
       Busbahnhof führt. Vor und in einem der Obstläden ist es besonders
       geschäftig: Vor allem bei den Geflüchteten im Ort ist dieser Laden beliebt,
       weil er neben dem Üblichen auch Lebensmittel aus der alten Heimat im
       Sortiment hat.
       
       An kalten Tagen dient der Bürgertreff am Busbahnhof schon mal als
       Wartehalle. Dieser Ort der Begegnung, ein Mehrgenerationenhaus, bietet
       kulturellen Austausch, Migrierten wird bei anfallendem Papierkram geholfen,
       Rentner kriegen von Neuntklässlern Computer und Internet beigebracht.
       
       ## Anpacken für Grimma
       
       Steffi Selzer, die Leiterin des Bürgertreffs „Alte Feuerwehr“, kriegt
       gerade einen Brief in die Hand gedrückt, als sie von den verschiedenen
       Projekten und Unternehmungen des Hauses berichtet. Ihre Augen werden groß,
       die Mundwinkel gehen hoch. So sieht ehrliche Freude aus. Eine junge Frau
       mit Kind, der sie schon länger unter die Arme greift, hat endlich eine
       Wohnung bekommen. „Das ist hier in Grimma gar nicht leicht, günstiger
       Wohnraum ist auch hier knapp“, sagt Selzer.
       
       Sie macht sehr viel im sozialen Bereich, wird unterstützt von
       Ehrenamtlichen, eine von ihnen deckt gerade die Tische mit Baklava und
       Nüssen für den interkulturellen Treff. Auch als Grimma 2002 und 2013 vom
       Hochwasser der Mulde heimgesucht wurde, war Selzer da. Da für die Leute, da
       zum Anpacken: „Manche haben zweimal alles verloren und sind trotzdem wieder
       auf die Beine gekommen. Das ist ‚Auferstanden aus Ruinen!‘“, sagt sie.
       
       An die Albträume der jüngsten Vergangenheit erinnern
       Hochwassermarkierungen. Stumm fordern sie präventive Veränderung. 2018 soll
       der Hochwasserschutz entlang der Mulde fertiggestellt sein.
       
       ## Was machen, wenn du alleine bist?
       
       Im Bürgertreff kocht ein Mann mit weißem Schnauzer türkischen Tee. Muammer
       Akhan heißt er. 2000 sei er selbst als Flüchtling aus der Türkei nach
       Deutschland gekommen, erzählt der 50-jährige: erst Köln, dann Chemnitz und
       schließlich Grimma.
       
       Er erklärt, dass es beim Interkulturellen Treffen um ganz praktische Hilfe
       für die Geflüchteten in Grimma gehe: Wohnungssuche, Amtsgänge, Asylgesuche.
       Begegnung und Kennenlernen, betont er dann, seien aber genauso wichtig:
       „Was willst du denn sonst machen, wenn du alleine bist? Wenn du den ganzen
       Tag nichts zu tun hast?“, fragt er, wohl aus eigener Erfahrung.
       
       Akhan freut sich darüber, dass er heute auf der anderen, der helfenden
       Seite stehen darf, Stütze sein kann. Sein Lächeln, das er zwischen
       Erzählungen über Grimma einschiebt, verrät das. „Deutschland ist ein
       bisschen spät dran“, sagt er und meint eine engagierte Integrationspolitik,
       „aber besser zu spät als gar nicht!“ Dann holt er seine zwei Töchter von
       der Bushaltestelle vor dem Bürgertreff ab. Sie sind acht und sieben Jahre
       alt, ihre Schulranzen fast so groß wie sie selbst. Eine von ihnen sagt:
       „Ich spreche drei Sprachen: Türkisch, Kurdisch und Deutsch“.
       
       ## „In Grimma kann man sich wohlfühlen“
       
       So vielfältig wird es auch auf dem taz-Sommerfestival, das in der Alten
       Spitzenfabrik am gegenüberliegenden Muldeufer Grimmas stattfinden wird.
       Ausgehend vom Schwanenteich folgt man dem Wallgraben am Stadtzentrum
       vorbei. Dieser zieht sich akkurat durch den Ort und mündet nach der
       Friedrich-Otto-Straße zwischen den Sportanlagen in der Wurzner Straße.
       
       Die Straße ist einseitig von Linden, Flieder- und Wacholdersträuchern
       gesäumt. Frühlingsduft zieht durch die kleinstädtischen Gassen und Straßen.
       „In Grimma kann man sich wohlfühlen“, erklärt eine kürzlich zugezogene
       Mutter mit Kind. „Der Kleene kann och super rumtollen.“
       
       Ein weiteres Überbleibsel sozialistischer Gemeinschaftsgefühle prangt in
       großen Lettern an der Oberschule : „Immer bereit zum Lernen – Für Frieden
       und Völkerverständigung“. Auf der anderen Straßenseite strömen Jugendliche
       aus dem Stadion der Freundschaft. Ein paar von ihnen necken sich auf den
       Parkbänken, zwei weitere lassen sich über die spärlichen Freizeitangebote
       in Grimma aus.
       
       ## Ein Hogwarts in Grimma
       
       Hinter den Sportanlagen folgt man der S11 über die Brücke gen Osten
       Richtung Mutzschen. Die Brücke gibt den Blick auf das sattgrüne Muldeufer
       mit blumenpflückenden Kindern und die nahe, aufwendig restaurierte
       Pöppelmannbrücke frei.
       
       Nach dem angrenzenden Parkplatz des Unteren Bahnhofs Grimma steht im Grünen
       von Frühlingspollen umweht Magic Philipps alte Wohnstätte, die Alte
       Spitzenfabrik: Ein junger Mann, der aussieht wie Harry Potter und dessen
       Zauberei einst in Las Vegas von den Magiern Siegfried und Roy preisgekrönt
       wurde. Mit seinen Eltern lebte er einige Jahre in dieser ausrangierten
       Fabrik, sein eigenes „Hogwarts“.
       
       Pumas, Schnee-Eulen und Waschbären zählten zu seinen Weggefährten. Schon
       als Teenager führte ihn seine Illusionskunst um die Welt. Wo Magic Philipp
       heute lebt, ist jedoch offen. Der Spirit dieser magischen Hallen aber
       garantiert ein zauberhaftes taz-Sommerfestival in Grimma.
       
       17 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Torben Becker
 (DIR) Volkan Ağar
 (DIR) Jann-Luca Zinser
 (DIR) Paul Toetzke
       
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