# taz.de -- Freundschaft in der Politik: „Die Deutschen sind konsenssüchtig“
       
       > Angela Marquardt ist links, Hugo Müller-Vogg hingegen erzkonservativ. Die
       > beiden sind Freunde. Wie geht das denn?
       
 (IMG) Bild: „Müller-Vogg ist speziell, ich bin speziell – vielleicht verbindet uns das“, sagt Angela Marquardt
       
       taz.am wochenende: Frau Marquardt, Herr Müller-Vogg, warum sind Sie
       Freunde? 
       
       Angela Marquardt: Wir mögen uns, und wir streiten gern. Müller-Vogg fordert
       mich heraus, weil er völlig andere Meinungen hat. Weil wir uns so gut
       kennen, denke ich: Sei genau! Aus Streit nimmst du was mit.
       
       Hugo Müller-Vogg: Ich finde es interessanter, mich mit Leuten zu
       unterhalten, die anderer Meinung sind, als mit Gleichgesinnten. Und die aus
       einer anderen Welt kommen.
       
       Der eine ein Konservativer, die andere eine Linke: Frau Marquardt, Sie
       arbeiten in der SPD seit Jahren an Rot-Rot-Grün. Ist der Traum jetzt
       ausgeträumt? 
       
       Marquardt: Rot-Rot-Grün ist kein Traum, sondern …
       
       Müller-Vogg: … ein Albtraum!
       
       Marquardt: Ja, Herr Müller-Vogg, für Sie ist es ein Albtraum. Ich nenne es
       eine Möglichkeit.
       
       Was brächte eine rot-rot-grüne Bundesregierung? 
       
       Marquardt: Es gibt einige Projekte, etwa wenn ich an die Bürgerversicherung
       denke …
       
       Müller-Vogg: … die Zwangs-AOK …
       
       Marquardt: … an eine andere Rüstungspolitik, an Änderungen bei Hartz IV, an
       das Thema Rente oder eine sozial gerechte Umweltpolitik.
       
       Müller-Vogg: Wir würden uns in außenpolitische Abenteuer stürzen, eine
       Politik ohne oder gar gegen die Nato versuchen. In Europa würden wir andere
       Volkswirtschaften, die sich selbst ruiniert haben, mit deutschen
       Steuergeldern aufpäppeln. Deutschland würde ein Betreuungs- und
       Bevormundungsstaat, finanziert durch eine gigantische Umverteilung.
       
       Marquardt: Spannend, dass Sie Gerechtigkeit und Chancengleichheit mit
       Bevormundung verbinden. Ich komme aus einem Land, das seine Menschen extrem
       bevormundet hat und wenn ich eins überhaupt nicht, nicht mal im Ansatz in
       mir trage, dann ist es, Menschen bevormunden zu wollen. Ich will etwas
       anbieten.
       
       Müller-Vogg: Mit Bevormundung meine ich staatlich verordnete Political
       Correctness.
       
       Frau Marquardt, was befürchten Sie, falls Angela Merkel noch mal mit Union
       und FDP regieren könnte und Ihre SPD in der Opposition landet? 
       
       Marquardt: Die Demokratie würde leiden. Sie würde noch mehr ausgehöhlt,
       aber auch langweiliger und ermüdend. Spannend ist doch an der
       Rot-Rot-Grün-Debatte, dass sich alle mit dieser Möglichkeit
       auseinandersetzen. Auch wenn die einen sagen: Dann regiert die Stasi mit!
       Rot-Rot-Grün könnte demokratische Prozesse wiederbeleben, weil sich viele
       stark an dieser Politik reiben würden. Politik sollte wirklich gestalten
       nicht nur verwalten. Ich wünsche mir einen Aufbruch.
       
       Müller-Vogg: Mich stört das Argument Langeweile. Die spannendste,
       dramatischste Konstellation, die wir in Deutschland je hatten, war die Wahl
       am 5. März 1933. Es gab eine extrem hohe Wahlbeteiligung. Viele saßen auf
       gepackten Koffern, weil sie wussten: Wenn das schiefgeht, dann ist die
       Demokratie zu Ende. Sie hatten ja auch recht mit ihrer Befürchtung. Auf die
       Art von Spannung kann ich verzichten. Da habe ich lieber eine stabile
       Demokratie, die ein bisschen langweilig ist.
       
       Wenn man Ihnen zuhört, ist da jede Menge Dissens, trotzdem sind Sie
       Freunde. Was fangen zwei wie Sie überhaupt miteinander an? 
       
       Müller-Vogg: Ich fand Angela Marquardt schon bei der ersten Begegnung
       interessant und sympathisch. Uns verbindet die „Lindenstraße“ (Müller-Vogg
       lacht laut). Konservative wie ich müssen einmal in der Woche 28 Minuten
       konzentriertes Gutmenschentum erleben. Eine Serie, wo die Männer alle
       Luschen sind und nur die Frauen stark, die Arbeitgeber Verbrecher …
       
       Marquardt: … der Vermieter ist auch ein Verbrecher.
       
       Müller-Vogg: Ja, genau. In der „Lindenstraße“ übernimmt niemand
       Verantwortung für das, was er macht. Ob man mit 16 schwanger wird oder
       durchs Abitur fällt, weil der Arsch von Lehrer, wie es dann heißt, die
       falschen Fragen gestellt hat. Mich amüsiert das. Wir kommentieren manchmal
       die „Lindenstraße“ live per SMS.
       
       Warum gucken Sie „Lindenstraße“, Frau Marquardt? 
       
       Marquardt: Richtig eingestiegen bin ich in den Neunzigern, weil Klausi
       Beimer Nazi war. Das interessierte mich, wie die Geschichte aufbereitet
       wird, weil es damals Thema war und weil mich als Linke solche Leute auch
       konkret attackiert haben. Uns verbindet auch das Kochen, ich hab schon mal
       gekocht für ihn.
       
       Müller-Vogg: Nein, zweimal. Und jedes Mal hervorragend, sage ich Ihnen.
       
       Was gab es? 
       
       Marquardt: Beim ersten Mal Seeteufel im Pancettamantel.
       
       Müller-Vogg: Ich hab die Gerichte fotografiert und meiner Frau geschickt,
       als Vorlage zum Nachkochen.
       
       Herr Müller-Vogg, als Frau Marquardt 1971 in Mecklenburg geboren wurde,
       haben Sie gerade in Mannheim Ökonomie studiert. Wie sahen Sie damals die
       DDR? 
       
       Müller-Vogg: Ich war mit einer Gruppe der katholischen Jugend das erste Mal
       in Ostberlin, Mitte der Sechzigerjahre. Ich spürte eine gewisse Faszination
       des Perversen: die Mauer, der Todesstreifen, diese rigorosen
       Passkontrollen. Danach bin ich oft, wenn ich in Berlin war, rüber. Ich habe
       dort eine junge Frau kennengelernt, wir haben uns auch geschrieben. Und
       beide die Erfahrung gemacht, dass Briefe geöffnet wurden – von der Stasi
       wie vom Verfassungsschutz.
       
       Mädchen aus Ostberlin: wie im Lied von Udo Lindenberg. 
       
       Müller-Vogg: Von dem Mädchen habe ich erfahren, welche Nachteile etwa
       kirchentreue Christen hatten. Später bin ich oft auf die Leipziger Messe
       gefahren, da war ich in einem Privatquartier bei einer Familie, mit der ich
       mich angefreundet hatte. Ich habe denen vor einer Reise nach Leipzig ein
       großes Paket geschickt. Wie es das Schicksal wollte, kam das Paket
       gleichzeitig mit mir an. Ich werde nie vergessen, wie die Frau das
       ausgepackt hat und aus dem Packpapier die Adresse und den Absender
       herausschnitt. Als ich sie fragte, warum, antwortete sie: Wenn ich das
       jetzt in die Mülltonne tue, weiß der Hausmeister, wer ein Westpaket
       bekommen hat. So klein machten die ihre Leute.
       
       Frau Marquardt, wie finden Sie Hugo Müller-Voggs DDR-Bild? 
       
       Marquardt: Er hat die DDR zu einer Zeit erlebt, die ich nicht erlebt habe.
       Aber was soll ich dazu sagen? Das ist ja ein richtiges Bild. Ich habe als
       Kind keine Westpakete bekommen. Mein Opa hatte zwar Verwandtschaft im
       Saarland, aber er hat die Pakete immer zurückgeschickt. Mein Opa wollte
       diese Pakete nicht annehmen.
       
       Nach der Wende gingen Sie in die PDS. Was hielten Sie von der FAZ, bei der
       Müller-Vogg damals Karriere machte? 
       
       Marquardt: Ich habe Medien erst richtig wahrgenommen, als ich in Berlin
       gelebt und im Vorstand gearbeitet habe. Meine damalige Partei, die PDS, ist
       nirgends gut weggekommen und ich oft auch nicht.
       
       Müller-Vogg: Erschwerend hinzu kam Ihre grüne Punkfrisur (lacht).
       
       Marquardt: Ja, ich fühlte mich zuweilen ungerecht behandelt, weil unwahre
       Dinge über mich geschrieben wurden. So was wie: Sie verherrlicht Gewalt,
       sie ist die Verbindung zwischen Autonomen und der PDS – das waren so die
       Neunzigerdebatten.
       
       1998 kamen Sie in den Bundestag. Bald lernten Sie den FAZ-Herausgeber Hugo
       Müller-Vogg kennen. 
       
       Müller-Vogg: Das war 2000 in Heidelberg, eine Art Sommeruniversität, es
       ging um Medien und Digitalisierung. Wir waren beide eingeladen. Ich bin da
       hin, mit allen Vorurteilen, die man so gegenüber einer PDS-Punkerin hat.
       Dann haben wir uns aber auf dem Podium ganz vernünftig unterhalten.
       
       Marquardt: Ich wusste erst mal gar nicht, wer er ist. Mein medialer Fokus
       waren Junge Welt, Neues Deutschland, später Jungle World.
       
       Müller-Vogg: Wiedergetroffen haben wir uns am 2. Oktober 2000, als Gregor
       Gysi wieder mal eine Abschiedsfeier gab, diesmal vom Fraktionsvorsitz. Ich
       war da platziert mit irgendwelchen Vertretern sozialistischer
       Bruderparteien. Und plötzlich tippt sie mir auf die Schulter und sagt:
       „Tach, Herr Müller-Vogg.“
       
       Und dann? 
       
       Müller-Vogg: Wir haben den ganzen Abend geklönt und was getrunken. Und dann
       hat sie mir erklärt, dass sie in der PDS demnächst die Macht übernimmt und
       bis Ende 2008 entweder Parteivorsitzende ist oder Ministerpräsidentin in
       Ostdeutschland. Darauf haben wir gewettet.
       
       Marquardt: Die sechs Flaschen Champagner gingen an ihn.
       
       Müller-Vogg: Sie hat mir den Karton vorbeigebracht, er war innen und außen
       mit der Bild-Zeitung beklebt, mit einer Ausgabe, in der eine Kolumne von
       mir drin war. Das fand ich ganz toll. Eine Flasche haben wir zusammen
       getrunken.
       
       Kommen wir auf die Politik zurück. Ist die AfD rechtsextrem? 
       
       Marquardt: Diese Partei stellt die Demokratie infrage. Wenn mir jemand in
       Diskussionen in Wahlkämpfen erklärt: Es ist egal, mit wem ihr regiert, ihr
       macht sowieso nichts für die Leute. Damit ihr das endlich merkt, wähle ich
       AfD. Da gehe ich rein – da dürfen Sie gern lachen, Herr Müller-Vogg – und
       sage: Aber deswegen darf man doch keine Nazis wählen.
       
       Müller-Vogg: Ich lache, weil ein Teil der Leute, die Sie jetzt als Nazis
       kritisieren, vorher die Linken gewählt haben. Damals fanden Sie das gar
       nicht so falsch.
       
       Marquardt: Aber wie Sie wissen, sind die AfD und die Linken nicht gleich.
       
       Müller-Vogg: Doch: Protestwähler sind sich sehr ähnlich. Hauptsache gegen
       die da oben.
       
       Marquardt: Es ist ein Unterschied, ob ich aus Protest Nazis wähle oder ob
       ich Leute wähle, die für Steuererhöhung, bedingungsloses Grundeinkommen,
       kostenfreie Kitas, für Antirassismus stehen.
       
       Müller-Vogg: In der AfD gibt es Nationalkonservative, Ex-CDU-Leute,
       Rechtspopulisten, Rechtsradikale, NPD-Fans, Völkische, eine wilde Mischung.
       Die generell als Nazis zu bezeichnen, ist mir zu pauschal – und ihre Wähler
       erst recht.
       
       Marquardt: Ich habe nicht gesagt, dass alle AfD-Wähler Nazis sind.
       
       Aber Sie würden die AfD als Nazi-Partei bezeichnen? 
       
       Marquardt: Ja, dabei bleibe ich auch. Da brauche ich mir nicht nur Höcke
       anzusehen. Es reicht, sich die Parteidiskussionen anzugucken, die
       Pamphlete, die Anträge. Die Zählung von Homosexuellen, das ganze
       Familienbild – das ist für mich rechtsextrem.
       
       Sie gehen da nicht mit, Herr Müller-Vogg? 
       
       Müller-Vogg: Nein. Ich halte es für unerträglich, dass die AfD es nicht
       schafft, Antisemiten wie Gedeon rauszuwerfen. Oder dass sie den Höcke seine
       Ansichten verbreiten lässt, weil sie wissen, der bindet einen Teil der
       Wähler. Genauso, wie ich es für unerträglich halte, dass sich Ihr früherer
       Verein, Frau Marquardt, nicht aufraffen kann zu sagen, die DDR war ein
       Unrechtsstaat. Einen solchen Schnitt wagt die Linke nicht, und auch die AfD
       nicht.
       
       Es fällt auf, Herr Müller-Vogg, dass Sie, wenn Sie nach der AfD gefragt
       werden, kurz streifen, was an der AfD noch nicht so richtig läuft, und dann
       zur Linken übergehen. 
       
       Müller-Vogg: Ich weiß, die Gleichbehandlung der ganz Rechten und ganz
       Linken gefällt Ihnen nicht. Ich bin ein entschiedener Gegner der AfD, ich
       wäre froh, die rutschten unter fünf Prozent. Aber ich finde es genauso
       schlimm, dass die Linke nicht wenige in ihren Reihen hat, die heute noch
       Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl für sozialistischen Fortschritt
       halten.
       
       Marquardt: Es hilft nur der Debatte gar nicht, wenn wir über die AfD
       diskutieren, sofort den Bogen zur Linkspartei zu machen.
       
       Müller-Vogg: Na, Sie wollen doch mit denen regieren.
       
       Bleiben wir mal bei der DDR-Vergangenheit. Herr Müller-Vogg, als Sie 2002
       gehört haben, dass Angela Marquardt von der Stasi als Informantin geführt
       wurde, wie haben Sie da reagiert? 
       
       Müller-Vogg: Ich vertrete ja die These der Sozialisation, der Prägung durch
       das Umfeld: Wer in einer politischen Familie groß wird, wird von den Eltern
       beeinflusst, oder er rebelliert. Ich wurde sozialisiert in einer
       katholischen CDU-Familie in Mannheim, hatte ein sehr gutes Verhältnis zu
       meinem Vater. Wäre derselbe Vater in Rostock in der SED gewesen, bin ich
       nicht sicher, ob ich in den Widerstand gegangen wäre. Deswegen bin ich weit
       davon entfernt, jemandem seinen Werdegang vorzuwerfen.
       
       Frau Marquardt, wie ist das für Sie, eine Geschichte zu haben, die nie
       vergeht? 
       
       Marquardt: Das, was mir 2002 passiert ist, möchte ich so nicht noch einmal
       erleben. Bis ich vor zwei Jahren mit Miriam Hollstein mein Buch über meine
       Jugend und die Stasi geschrieben und mich auf diese Weise meiner Geschichte
       gestellt habe, habe ich eine Riesenangst mit mir rumgeschleppt.
       
       Dass immer jemand die Stasiakte zieht? 
       
       Marquardt: Ja. Ich bin damals sogar öffentlich angespuckt worden. Diese
       Zeit hat sich in mein Hirn eingebrannt. Im Bundestag hingegen sind 2002
       viele auf mich zugegangen, Guido Westerwelle und andere. Aber die
       Allgemeinheit hat nicht auf das Alter geschaut, darauf, dass ich eine
       Jugendliche war, als ich verpflichtet wurde. Die hat nur Stasi gesehen.
       Aber die Verantwortung für mein Handeln als Jugendliche will ich schon
       übernehmen.
       
       Steht nicht Ihr Freund Hugo Müller-Vogg genau für diese Denkschule:
       Menschen aus der DDR genauso zu beurteilen wie im Kalten Krieg? 
       
       Marquardt: Er sieht meine Geschichte differenziert.
       
       Müller-Vogg: Ich war von Ihrem Buch sehr angetan und zugleich sehr
       betroffen.
       
       Marquardt: Aber Ihnen gefiel das Cover nicht. Ich hätte mich von der
       falschen Seite fotografieren lassen. Er meinte das Piercing und sagte: Sie
       wollen doch ernst genommen werden.
       
       Müller-Vogg: Ich vermutete, dass Sie mit dem Piercing bei manchen
       SPD-Genossen nicht gut ankommen.
       
       Andere Leute irritiert ein Einstecktuch, Herr Müller-Vogg. 
       
       Müller-Vogg: Deshalb trage ich extra für die taz heute eine Krawatte.
       
       Ist es nicht einfach auch ein guter Deal? Das Dissensduo: viel
       interessanter als Müller-Vogg oder Marquardt allein. 
       
       Marquardt: Das hat Hugo Müller-Vogg nicht nötig.
       
       Müller-Vogg: Angela Marquardt ebenso wenig. Aber ich bin schon mehrfach bei
       SPD-Veranstaltungen von hochrangigen Genossen sehr distanziert begrüßt
       worden, wenn ich zusammen mit ihr auftauchte, auch kürzlich beim
       Vorwärts-Fest. Derselbe SPD-Mann hat sich später mit mir allein sehr
       freundlich unterhalten.
       
       Marquardt: Ich vergesse nie, wie ich für eine Rot-Rot-Grün-Veranstaltung
       vorgeschlagen habe, ihn als Moderator zu gewinnen. Die haben mich alle
       total entsetzt angeguckt. Der Toni Hofreiter ist Sturm gelaufen (sie
       grinst). Aber wir fanden niemanden. Und Hugo Müller-Vogg sagte sogar: Für
       Sie mache ich es ohne Honorar.
       
       Und waren die Rot-Rot-Grünen mit dem Moderator zufrieden? 
       
       Marquardt: Toni Hofreiter hat danach jedenfalls gesagt, okay, ich hab mich
       getäuscht.
       
       Müller-Vogg: Er hat mich hinterher sogar im Bundestagsauto mitgenommen.
       
       Wenn Ihr Freund als Kommentator auftritt: Haben Sie da gar keine
       Schmerzgrenze, Frau Marquardt? 
       
       Marquardt: Ich mag zum Beispiel nicht, was er bei Tichys Einblick über
       Flüchtlinge und dass er dort überhaupt schreibt. Roland Tichy bedient in
       seinen Beiträgen rhetorisch Pegida und die AfD. Leider unterstützt er sie
       aktiv mit seinem Magazin. Ich finde das verantwortungslos,
       antidemokratische Bewegungen in ihrem eindimensionalen Weltbild zu
       bestätigen.
       
       Müller-Vogg: Ich schreibe ja nicht nur für Tichys Einblick, sondern auch
       für Huffington Post oder Cicero. Tichys Einblick ist ein
       liberal-konservatives Onlinemagazin, in dem auch Necla Kelek, Norbert Blüm,
       Hamet Abdel-Samad, Kristina Schröder oder Nicola Beer schreiben. Weil es
       mit vier Millionen Impressions im Monat erfolgreich ist, wird es in die
       rechte Ecke gerückt – eine auf der politischen Linken erprobte Methode. Ich
       bin auch nicht mit allen Beiträgen dort einverstanden.
       
       Marquardt: Da bin ich aber froh …
       
       Können Sie sich auf Müller-Vogg verlassen? 
       
       Marquardt: Als ich aus der PDS draußen und in der SPD noch nicht richtig
       angekommen war, niemand etwas von mir wollte und mir auch niemand einen Job
       gegeben hat, da hat Herr Müller-Vogg gesagt: Ich schau, was ich tun kann.
       Er hat dann im Wahlkampf 2009 dafür gesorgt, dass ich mit ihm ein
       Video-Battle für N24 machen konnte. Das war wichtig für mich. Die berühmte
       Solidarität, die die Linken immer vor sich her tragen, da wartet man
       manchmal lange drauf. Müller-Vogg hält Wort.
       
       Herr Müller-Vogg, Sie sind 2001 bei der FAZ geschasst worden als
       Herausgeber – vielleicht nach einer Auseinandersetzung mit ihrem damaligen
       Kollegen Frank Schirrmacher … 
       
       Müller-Vogg: Es gab überhaupt keine offene Auseinandersetzung, weder mit
       Schirrmacher noch mit einem anderen Herausgeber. Ich wurde im Dunkeln
       erdolcht – von hinten.
       
       Und Sie, Frau Marquardt, haben sich entfremdet von der PDS, sind 2003
       ausgetreten. Diese Entfremdung von, dieser Bruch mit Institutionen, von
       denen Sie jeweils lange geprägt wurden, ist das Ihre Gemeinsamkeit? 
       
       Müller-Vogg: Nein. Ich weiß ja bis heute nicht, warum die Herren
       Herausgeberkollegen mich bei der FAZ rausgeworfen haben. Frau Marquardt
       hingegen hat sich bewusst entschieden, mit der PDS Schluss zu machen. Der
       Vergleich stimmt nicht.
       
       Sind Sie beide Außenseiter? 
       
       Müller-Vogg: Wir sind beide unabhängig, das kann man schon sagen. Natürlich
       haben mich einige Opportunisten nach meinem Rauswurf nicht mehr gekannt. So
       what? Dafür sind viele neue freundschaftliche Beziehungen entstanden. Wenn
       Sie die Gästeliste meines jährlichen Saumagen-Essens in Bad Homburg
       kennten, würden Sie mich nicht für einen angeblichen Outcast halten.
       
       Marquardt: Mein Freundeskreis geht von Gregor Gysi bis Hugo Müller-Vogg.
       Das würde ich nicht als Außenseitertum bezeichnen. Ich würde mich und
       meinen Weg eher speziell nennen. Hugo Müller-Vogg ist speziell, ich bin
       speziell, vielleicht verbindet uns das. Und wir wollen beide was. Er will
       gehört werden. Und ich möchte vorankommen. Ich bin noch zu jung, um nur
       speziell zu sein. Vor ein paar Jahren hätte ich das so sicher nicht
       ausgesprochen, ich hatte Ängste in mir. Heute weiß ich, was ich kann und
       dass ich mehr kann. Und das würde ich in der Politik gern stärker unter
       Beweis stellen.
       
       Ist die Gesellschaft streitscheu? 
       
       Marquardt: Eher streitmüde, weil Streit so negativ konnotiert ist. Scheu
       sind die Leute dort, wo sie keine Argumente haben. Dort grenzt man lieber
       aus.
       
       Müller-Vogg: Die Deutschen sind konsenssüchtig. Die Leute reden eher über
       ihre Sexualpraktiken als darüber, wen sie wählen. Wer würde bei uns ein
       Wahlplakat in den Vorgarten stellen, wie das in den USA praktiziert wird?
       Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Deutschen große Koalitionen mögen.
       Das hat eine lange Tradition. Schon Hindenburg ließ im
       Präsidentschaftswahlkampf eine Münze verteilen, auf der stand: Für den
       Staat beide Hände. Aber keine für die Parteien.
       
       Ist es in den letzten Jahren seltener geworden, dass Menschen sich mögen,
       die politisch sehr weit auseinander sind? 
       
       Müller-Vogg: Im Bundestag gibt es einige Freundschaften über Parteigrenzen
       hinweg. Mich erinnert der Bundestag da manchmal an Professional Wrestling.
       Die legen sich aufs Kreuz, die schreien vor Schmerz – und anschließend
       gehen sie ein Bier trinken.
       
       Warum siezen Sie beide sich eigentlich? 
       
       Müller-Vogg: Ich bin mit dem Du sehr sparsam. Sie Rindvieh, das sagt man
       nicht so leicht wie: du Rindvieh. Ich habe einen guten Freund, mit dem bin
       ich seit fünfzig Jahren per Sie, da wäre es auch komisch, das noch zu
       ändern.
       
       Marquardt: Mit der Schauspielerin Inge Meysel, mit der ich befreundet war,
       hab ich mich auch gesiezt. Sie hatte dann irgendwann mal du gesagt, das
       rutschte ihr so raus, aber ich habe sie trotzdem weiter gesiezt.
       
       Das Sie ist Ihnen ein Zeichen der Wertschätzung? 
       
       Müller-Vogg: Bei mir ja. Frau Marquardt respektiert, dass ich als der viel
       Ältere ihr das Du noch nicht angeboten habe. Wenn wir unser Zwanzigjähriges
       feiern, können wir mal drüber reden.
       
       20 Jun 2017
       
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 (DIR) Wohlfühlmagazin „hygge“: Ganz einfach glücklich sein
       
       Slow living, Achtsamkeit, im Hier und Jetzt sein. Um 16 Uhr Feierabend
       machen. „hygge“ ist Papier gewordener Eskapismus – und das ganz bewusst.
       
 (DIR) Dämpfer für Mitte-Links-Koalition: Letzte Lebenszeichen von R2G?
       
       Bei der SPD liegen die Nerven blank. Treffen mit der Linken sollen am
       besten unterbleiben. Das „jährliche r2g-Sommerfest“ findet trotzdem statt.
       
 (DIR) Rot-rot-grünes Sondierungsgespräch: Das wird keine Liebesheirat
       
       Abgeordnete der drei Parteien diskutieren über mögliche Bündnisse.
       Schuldzuweisungen unterbleiben, aber Sympathie sieht anders aus.