# taz.de -- Gedenken an Luís Vaz de Camões: Ein Humanist, der nichts ausließ
       
       > Am 10. Juni feierten Portugiesischsprechende in aller Welt den Dichter
       > Luís Vaz de Camões. In Deutschland war er mal so bekannt wie Shakespeare.
       
 (IMG) Bild: Sandskulptur des Dichters Luis de Camoes in Armacao de Pera, Portugal, im Mai 2012
       
       In Portugal, vor allem in Lissabon, kommt man an Luís Vaz de Camões kaum
       vorbei. Nicht nur, weil der Nationaldichter Lusitaniens durch prächtige
       Denkmäler verewigt wurde wie auf der Praça Luís de Camões, einem hübschen
       Platz mitten im Zentrum der Atlantikküsten-Metropole. Als er die „Lusiaden“
       schrieb, ein opulentes Epos in der Tradition von Homers „Odyssee“ und
       Vergils „Aeneis“, schuf der Weltreisende aus dem 16. Jahrhundert das wohl
       wichtigste Werk der portugiesischen Literatur überhaupt.
       
       Jeder Portugiese kennt Camões, jeder die „Lusiaden“. Sie gehören in der
       Schule zur Pflichtlektüre wie bei uns Goethes „Faust“ – und Goethe las
       dieses schillernde Opus seinerzeit mit größter Bewunderung. Seit 1989
       verleihen das portugiesische Instituto Camões und die brasilianische
       Fundação Biblioteca Nacional jährlich gemeinsam den „Prémio Camões“, den
       nach ihm benannten höchsten Literaturpreis des portugiesischen Sprachraums.
       Sein Todestag, der 10. Juni, wird nicht nur in Portugal als
       Nationalfeiertag – als Dia de Portugal, de Camões e das Comunidades
       Portuguesas – begangen, sondern auch in den ehemaligen portugiesischen
       Kolonien oder von Portugiesen, die sich im Ausland niedergelassen haben.
       
       Camões („Kamäusch“ ausgesprochen) – was weiß man von ihm? Nicht sonderlich
       viel. 1524 oder 1525, zu Renaissance-Zeiten, erblickte er in Coimbra oder
       Lissabon das Licht der Welt, als ein Spross niederen Adels. Erzogen durch
       Dominikaner und Jesuiten, studierte der Zeitgenosse Michel de Montaignes,
       Pierre de Ronsards und Miguel de Cervantes Saavedras an der Universität von
       Coimbra und wurde als humanistischer Pädagoge am Königshof tätig, den er
       nach einer aufgeflogenen Liaison mit einer Hofdame allerdings schleunigst
       wieder verlassen musste. So jedenfalls geht die Legende.
       
       Nachdem er in einer Schlacht gegen die Mauren ein Auge verlor, bereiste er
       die damaligen portugiesischen Kolonien in Asien, er kam bis nach Goa und
       Macao – wenn er nicht gerade aufgrund von Schulden oder tätlichen Angriffen
       auf königliche Offiziere respektive Duellen im Gefängnis steckte. 1579 oder
       1580 starb er in Lissabon in völliger Verarmung an der Pest. Als Dichter
       aber stieg er in den literarischen Olymp auf. Ein berühmtes Porträt zeigt
       ihn entsprechend gekrönt mit einem Lorbeerkranz. Die „Lusiaden“ sind
       unbestritten Weltliteratur.
       
       ## Adoptivsohn der Romantik
       
       In Deutschland ist Camões heute fast nur noch Spezialisten ein Begriff. Im
       18. und frühen 19. Jahrhundert war das noch ganz anders. Sein Ruhm war mit
       demjenigen William Shakespeares oder Torquato Tassos zu vergleichen. Es gab
       kaum einen Kulturschaffenden, der ihn nicht kannte. Ganz Portugal schien
       damals näher zu liegen. Unter anderem weil das weltbewegende Lissabonner
       Erdbeben von 1755 „die Meinungen erschütterte und das Denken in Bewegung
       setzte“ (Horst Günther).
       
       Der westlichste Zipfel Europas lag plötzlich im Trend. Als Erster machte
       Voltaire, den Friedrich der Große an seinen Hof nach Potsdam-Sanssouci
       geholt hatte, hierzulande auf Camões aufmerksam.
       
       Als eigentlicher Entdecker aber darf der Frühromantiker Friedrich Schlegel
       gelten. In seinem Nachwort zu einer Lusiaden-Ausgabe erhält ihr Verfasser
       sogar den Titel eines „Adoptivsohns der deutschen Romantik“. Neben den als
       Shakespeare-Übersetzern berühmten Schlegel-Brüdern wagten sich etliche
       Dichter und Denker an Nachdichtungen, Johann Gottlieb Fichte etwa oder
       später August Graf von Platen. Alexander von Humboldt war naturgemäß ein
       begeisterter Fan des Seefahrers oder „Seemalers“, wie er ihn nannte, und
       verewigte ihn in seinem „Kosmos“.
       
       Die Deutschen, die damals selbst noch keine Nation bildeten,
       identifizierten sich mit dem ausgeprägten Nationalbewusstsein des
       Portugiesen, der in seinem Epos nicht nur Vasco da Gamas sagenhafte
       Entdeckung des Seeweges nach Indien besingt, sondern die portugiesische
       Geschichte im Allgemeinen – gespickt mit Anleihen aus der griechischen und
       römischen Mythologie.
       
       ## Das Phänomen Camões, es lebt
       
       Die einst progressiv gemeinte, antifeudale und in Ansätzen demokratische
       Begeisterung der Romantiker für das Nationale ist uns heute – allem
       neunationalistischen Getöne zum Trotz, das mit dem frühen Nationalismus des
       19. Jahrhunderts ohnehin nicht zu verwechseln ist – eher fremd. Nicht
       zuletzt auch deshalb konnte Camões derart in Vergessenheit geraten. Hinzu
       kommt das Genre: Die „Lusiaden“ sind ein Vers-Epos. Zur „Goethe-Zeit“
       verstand der Leser es noch spielend, Verse zu lesen. Uns fällt es heute
       schwerer.
       
       Einen Lektüre-Schlüssel aber gibt uns der kongeniale Camões-Übersetzer
       Hans-Joachim Schaeffer, der dem Werk des Portugiesen sein halbes Leben
       widmete, zusammen mit einer Gesamtübersetzung der „Lusiaden“ (der ersten
       seit über 100 Jahren) gleich mit an die Hand. Er beschreibt sie als eine
       „Kette aus kostbaren Perlen“, eine „Folge von mehr als tausend einzelnen
       Gedichten“. Leichter zugänglich und zudem sehr lustig sind die Komödien,
       die Camões verfasste, besonders die musikalisch beschwingten
       „Amphitryonen“, auch wenn sie Heinrich von Kleists Bearbeitung des antiken
       Stoffes auf deutschen Bühnen auch in Zukunft kaum Konkurrenz bereiten
       dürften. Vielleicht aber wäre es einmal einen Versuch wert, eine
       Inszenierung zu stemmen?
       
       Als Einstieg in den sagenhaften Camões-Kosmos eignet sich der Gedichtband
       „Com que voz?/Mit welcher Stimme?“, der neben wunderschönen Sonetten, Oden
       oder Elegien unter anderem auch Auszüge aus den „Lusiaden“ enthält – in
       Übersetzungen aus vier Jahrhunderten. Die Sammlung erschien vor einigen
       Jahren im kleinen, sehr rührigen Berliner Elfenbein-Verlag, in dem auch die
       Gesammelten Werke in einer sorgfältig kommentierten zweisprachigen Ausgabe
       erscheinen (darin enthalten ist Schaeffers Gesamtübersetzung der
       „Lusiaden“).
       
       Der Titel „Com que voz?“ geht übrigens auf ein verzweifeltes Liebesgedicht
       zurück, das Camões zugeschrieben wird, seitdem es von der berühmten
       Fado-Sängerin Amália Rodrigues gesungen wurde. Die Portugiesen behaupten
       hartnäckig die Autorschaft des Lusiaden-Dichters. Das Phänomen Camões, es
       lebt. Zeit, ihn auch in Deutschland wiederzuentdecken.
       
       11 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Schwartz
       
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