# taz.de -- Champions-League-Männerfinale: Zocker an der Linie
       
       > Juventus Turin galt als ausgelaugt. Bis Trainer Allegri eine ziemlich
       > geniale Strategie entwickelte. Er selbst ist nicht unumstritten.
       
 (IMG) Bild: Ein Mann in Rage – schon als Spieler war Allegri für seine aufbrausende Art bekannt
       
       Turin taz | Man muss Massimiliano Allegri nicht mögen. Mit dem, was
       gemeinschaftliches Zusammenleben erst möglich macht, dem Einhalten
       gewisser Regeln, hat er es nicht so. Vor 17 Jahren wurde der damalige
       Zweitliga-Kicker vom AC Pistoiese erwischt, als er mit sieben anderen
       Profis ein Spiel des italienischen Pokals verschoben – und fleißig darauf
       gewettet hatte.
       
       Allegri ist Zocker, sein Unrechtsbewusstsein ist nicht allzu stark
       ausgeprägt. Das sieht man auch an seinen Rumpelstilzchentänzen am
       Spielfeldrand, wenn Referees mal wieder gegen seine Mannschaft pfeifen.
       Aktenkundig wurde er auch als Verkehrsrowdy. Als ihn eine Polizeistreife
       wegen überhöhter Geschwindigkeit stoppte, meinte er nur: „Ihr seid
       schlimmer als die Roten Brigaden.“
       
       Da schlug die Herkunft aus dem roten Livorno durch, einer einstmals
       kommunistischen Bastion. In den Gerichtsakten steht auch, dass Allegri,
       damals vom Serie-A-Klub Cagliari frisch als Trainer verpflichtet,
       vorgetäuscht hat, geschlagen worden zu sein, und theatralisch zu Boden
       ging. Ein Schwalbenkönig auch im normalen Leben.
       
       Allegris lange Karriere als Spieler und als Zocker hat ihm aber auch zu
       einem enormen Systemwissen verholfen, das er jetzt als Trainer auf geradezu
       geniale Art und Weise einsetzt. Die zwei wichtigsten Entscheidungen dieser
       Saison jedenfalls traf Allegri in Krisensituationen. Seine Juventus-Truppe
       wirkte im Winter fade, berechenbar und furchtbar überheblich. Resultat war
       eine 1:2-Niederlage beim AC Florenz. In den Stunden nach dieser Niederlage
       tüftelte Allegri dann ein Offensivsystem mit vier Angreifern aus: dem
       Dreiersturm aus Mario Mandzukic, Paulo Dybala und Juan Cuadrado sowie dem
       davor als Spitze agierenden Gonzalo Higuain. Das war eine Revolution im
       italienischen Fußball, wo man so gerne auf Balance zwischen den
       Mannschaftsteilen setzt und dabei oft die Defensive bevorzugt.
       
       Allegris Wette auf die Qualität derer, die dann die Lücken schließen müssen
       – den Hauptjob hat hier Sami Khedira – ging aber auf. Und seine Prognose:
       „Dieses Offensivsystem birgt Risiken, es wird uns aber in der Champions
       League helfen“, bewahrheitete sich.
       
       Die zweite Schlüsselentscheidung traf Allegri nur vier Wochen später. In
       der Mannschaft rumorte es. Vor dem wichtigen Champions-League-Spiel gegen
       den FC Porto suspendierte er mit Abwehrchef Leonardo Bonucci einen der
       Wortführer des Aufruhrs. Bonucci sah, auf einem Hocker sitzend, von der
       Tribüne, wie seine Kollegen auch ohne ihn erfolgreich waren. Von diesem
       Zeitpunkt an war Juventus eine Mannschaft ohne Angst, eine Mannschaft, die
       sich ihrer Mittel sicher ist. Eine Mannschaft aber auch, die leiden kann.
       
       ## Der Flexibilisierer
       
       Tüftler Allegri hat ihr eine einzigartige taktische Flexibilität
       antrainiert. Die Bianconeri können dominieren. Sie beherrschen
       Konterfußball. Und sie haben die wohl unangenehmste Abwehrkette Europas.
       
       Ausprobiert hat Allegri all dies auf den Fußballplätzen der Provinz. Der
       Serie-B-Aufstieg von Sassuolo, sein erstes großes Werk, war Frucht einer
       Spielkultur, die selten gesehen ward in Italiens unteren Ligen. Sein
       Gesellenstück lieferte er 2009 mit Cagliari ab. Da verlor der Underdog zwar
       3:4 beim damals noch großen AC Mailand. Wie die Mittelklassekicker aus
       Sardinien die Millionarios aus Mailand aber auseinandernahmen, überzeugte
       Milan-Eigner Silvio Berlusconi so sehr, dass er Allegri umgehend
       engagierte. Der musste dem Forza-Italia-Chef nur noch versichern, kein
       Kommunist zu sein.
       
       Der Rest ist sattsam bekannte Fußballgeschichte. In seinem Debütjahr bei
       Milan holte Allegri den Titel – der letzte größere Erfolg des Klubs. Danach
       verfeinerte er bei Juve den bewährten Kraftfußball und schuf ein Juventus,
       das so geschmeidig und kaltblütig zugleich agiert wie nicht einmal in den
       Zeiten, in denen sein heutiger Rivale Zinedine Zidane in Weiß und Schwarz
       die Strippen zog.
       
       3 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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