# taz.de -- Buch Ökonomie und Flüchtlingspolitik: Suche nach dem dritten Weg
       
       > Sonderwirtschaftszonen für Flüchtlinge: Die Oxford-Professoren Alexander
       > Betts und Paul Collier legen das Buch „Gestrandet“ vor.
       
 (IMG) Bild: Flüchtlinge kommen mit einem Schlauchboot auf Lesbos an (Archivbild März 2016)
       
       Die EU-Länder schotten sich ab, die Flüchtlinge kommen dennoch, die
       ethischen und politischen Fragen dazu sind ungelöst. Die Autoren Alexander
       Betts und Paul Collier versuchen in ihrem Buch „Gestrandet“ einen dritten
       Weg aufzuzeigen jenseits von Abschottung oder „offener Tür“. Sie fordern,
       die reichen Länder müssten die Nachbarstaaten der Krisenländer
       wirtschaftlich und politisch mehr unterstützen, damit diese den
       Flüchtlingen Sicherheit, Arbeit und Autonomie geben können. Die Frage ist,
       inwieweit diese Form der „freundlichen Auslagerung“ praktisch machbar und
       ethisch vertretbar ist.
       
       Betts und Collier, beide Professoren an der Universität Oxford, der erste
       für Migration, der zweite für Ökonomie, beginnen mit einer strengen
       moralischen Abgrenzung: dem Unterschied zwischen Flüchtlingen und
       Migranten.
       
       Das Ziel der Migration sei die „Verbesserung der Lebensqualität“, schreiben
       sie. Flüchtlinge hingegen flüchteten aus ihrer Heimat, weil sie dort
       physisch bedroht seien. Nur diesen Flüchtlingen gelte die Verpflichtung zur
       internationalen Hilfeleistung.
       
       Diese Pflicht bestehe aber nicht in der Verbesserung des Lebensstandards,
       sondern lediglich im Versuch, eine „möglichst ähnliche Normalität“ wie vor
       der Flucht und vor der Bedrohung wiederherzustellen, heißt es. Damit wenden
       sich Betts und Collier gegen jedes Ansinnen, das gigantische globale
       Wohlstandsgefälle über das Asylrecht verkleinern zu wollen. Ohnehin werde
       der Flüchtlingsschutz heute schon nicht gerecht verteilt, argumentieren
       Betts und Collier. Die Ärmsten haben gar nicht das Geld, Schleuser zu
       bezahlen und nach Europa zu reisen.
       
       Die Lösung für die Flüchtlingsfrage sehen die Autoren aber nun nicht darin,
       dass reiche Länder den Anrainerstaaten der Krisenländer Flüchtlinge in
       größerer Zahl abnehmen. Es sei vielmehr leichter, Flüchtlinge „heimatnah“
       zu versorgen, weil sich Sprache, Kulturraum und auch Wirtschaft von
       Nachbarstaaten ähnlicher sind. Die „Sonderstellung“ der deutschen,
       qualitätsorientierten Industrie in der „weltweiten Produktion“ zum Beispiel
       sei „absolut ungeeignet für Flüchtlinge aus einem armen Land“, so die
       Autoren.
       
       Tatsächlich zeigt sich in Deutschland, wie schwer es ist, Leute aus Syrien,
       Afghanistan oder Eritrea, also aus anderen Sprach- und Kulturräumen und
       anderen Bildungssystemen, in hiesige Berufsschulen und hochspezialisierte
       Industriebetriebe zu integrieren.
       
       Betts und Collier verweisen als ein Positivbeispiel für heimatnahe
       Integration auf Uganda, das Hunderttausende von Flüchtlingen aus Somalia,
       dem Sudan, dem Kongo und anderen afrikanischen Staaten ins Land gelassen
       und ihnen das Arbeiten und den Aufbau von Kleingewerbe gestattet hat. Ein
       Vorbild im Buch ist zudem das Jordanien-Abkommen von 2016, das dem Staat
       zollfreien Handel mit der EU, milliardenschwere Kredite der Weltbank und
       hohe Subventionen für Sonderwirtschaftszonen zusicherte, wenn Jordanien im
       Gegenzug 200.000 Flüchtlingen aus Syrien Arbeitserlaubnisse in diesen Zonen
       ausstelle.
       
       Nach Zahlen des jordanischen Arbeitsministeriums vom Februar 2017 wurden in
       Jordanien allerdings erst 38.500 Arbeitserlaubnisse für diese Flüchtlinge
       erteilt. Die Bürokratie ist kompliziert, die Schwarzarbeit schon etabliert
       und das Verkehrsnetz in Jordanien vielerorts zu mangelhaft, um syrische
       Flüchtlinge in die Betriebe der Sonderzonen zu transportieren. Gleichwohl
       profitieren die Einheimischen von diesen Sonderzonen, denn auch sie finden
       dort Arbeit. Für das Aufnahmeland Jordanien ist das Abkommen also
       tatsächlich eine „Win“-Situation.
       
       Betts und Collier liefern einen ambitionierten Vorschlag, aber keine
       Antworten auf die konkreten ethischen Fragen hierzulande. Was tun mit den
       Tausenden, die weiterhin nach Deutschland einreisen und hier keinen
       Flüchtlingsstatus bekommen, die man aber aus verschiedenen Gründen nicht
       ins Herkunftsland zurückschicken kann? Soll man die Geduldeten fördern oder
       besteht deren Zukunft nur aus Parkbank und Heim? Soll man fragile
       Herkunftsstaaten dafür bezahlen, dass man ihre Flüchtlinge gegen ihren
       Willen dorthin zurückbringen kann? Die Flüchtlingsfrage ist kein Feld, um
       sich moralische Lorbeeren zu verdienen.
       
       23 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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