# taz.de -- Alternative zum Kirchentag: „Wir denken, dass Streit nötig ist“
       
       > Jörg Machel bietet mit seiner Gemeinde ein alternatives Programm zum
       > Kirchentag an. Der offizielle „Mainstream“ brauche kontroverse
       > Ergänzungen, findet der Kreuzberger Pfarrer.
       
 (IMG) Bild: Pfarrer Jörg Machel vor seiner Kirche am Lausitzer Platz
       
       taz: Herr Machel, am Mittwoch beginnt der Evangelische Kirchentag in
       Berlin. Doch Ihre Kreuzberger Gemeinde macht ihren eigenen Kirchentag.
       Warum? 
       
       Jörg Machel: Wir haben das schon 2003 gemacht, als der Kirchentag auch in
       Berlin stattfand. Das hat uns viel Spaß gemacht. Außerdem habe ich mich
       geärgert, dass Eugen Drewermann, ein renommierter Theologe mit spannenden
       Positionen zu Friedens- und Ökonomiefragen, nicht mehr zum Kirchentag
       eingeladen wird. Drewermann ist 2005 aus der katholischen Kirche
       ausgetreten und hat sich immer mit den Hierarchien angelegt. Vielleicht
       wollte man die gute ökumenische Linie zwischen Katholiken und Evangelen
       nicht stören. Damit wollten wir uns nicht abfinden und haben ihn
       eingeladen.
       
       Sie greifen den Titel des Kirchentags auf – „Du siehst mich“ und fügen
       „auch im Streit“ hinzu. Eine Ansage an die Organisator*innen? 
       
       Eher eine Ansage an die Weltlage: Wir denken, dass Streit nötig ist. Er
       muss bloß nach bestimmten Regeln erfolgen. Viele in der Gemeinde sind
       engagiert in der Mediation. Als Streitschlichtungsverfahren gibt diese uns
       Handwerkszeug, damit wir in Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung nicht
       durch Ausklammern von Streit, sondern durch seine Bearbeitung vorankommen.
       
       Und das machen Sie auch in Ihrem Programm? 
       
       Wir rufen verschiedene Streitpunkte auf – zum Beispiel Asylrecht oder
       Gentrifizierung. In der Asylfrage sind wir hoch engagiert. Wir haben hier
       als Kirche etwa 80 der Flüchtlinge aufgenommen, die damals vom Oranienplatz
       vertrieben wurden. Um die haben wir uns über Monate gekümmert – mit
       Ehrenamtlern, mit Geldspenden, mit Wohnungen. In diesen Themen haben wir
       Kompetenz erworben.
       
       Gentrifizierung ist aber doch eher ein sehr weltliches Thema, oder? 
       
       Wir sind hier eine Gemeinde im Kiez, wir haben zwischen Kirche und Welt nie
       eine Grenze gezogen. All die Dinge, die hier in Kreuzberg passieren,
       betreffen uns sehr direkt. Zum Beispiel die Gentrifizierung: Es müssen
       tatsächlich Leute aus dem innersten Gemeindekreis diesen Bezirk verlassen,
       weil sie durch Sanierungsmaßnahmen oder unfaire Kündigungen aus ihren
       Wohnungen gedrängt werden: Leute, die sich irgendwann nicht mehr zu wehren
       wissen gegen die vielen Prozesse, die gegen sie angestrengt werden – bloß,
       damit die Wohnung leer ist und dann teuer verkauft werden kann. Das sind
       Dinge, mit denen wir konfrontiert sind, und da engagieren wir uns und hören
       zu. Die Lebensumstände der Menschen sind immer auch Thema der Kirche und
       auch der Religion.
       
       Ist Ihr „alternativer“ Kirchentag nicht auch ein Kokettieren mit dem Bild
       des widerständigen Kreuzberg, das sich von oben nichts sagen lässt? 
       
       Wir sind nicht darum bemüht, uns von der anderen Kirchenlandschaft zu
       distanzieren. Die Frage, die Sie eigentlich stellen wollen, ist
       wahrscheinlich: Warum seid ihr nicht Teil des offiziellen Kirchentages? An
       dieser Stelle sind wir als Kreuzberger zu freiheitsliebend. Um Teil des
       offiziellen Programms zu werden, müssten wir x Anträge stellen. Jede
       einzelne Veranstaltung müsste von Gremien beschlossen werden. Wir wollten
       aber ein Programm aus einem Guss machen. Dieses verstehen wir als
       ergänzendes, an manchen Stellen auch über den Mainstream des Kirchentags
       hinausgehendes Angebot. Aber wenn Besucher bei uns hängen bleiben und
       sagen: „Das war ein toller Kirchentag“, dann werden wir nicht sagen: „Aber
       wir waren doch gar nicht der Kirchentag“.
       
       Sie legen einen großen Schwerpunkt auf das Thema Frieden. Wie geht der
       offizielle Kirchentag mit dem Thema um? 
       
       Bei einem früheren Kirchentag war ich völlig entsetzt. Da hatte die
       Bundeswehr den größten Stand auf dem Markt der Möglichkeiten, und die
       Friedensbewegungen und pazifistische Initiativen tummelten sich an kleinen
       Tischen. Das war für mich nicht ausgewogen. Die Bundeswehr hat natürlich
       die finanziellen Mittel und das Personal, um so zu werben. Ich denke aber,
       wir als Kirche müssen da andere Akzente setzen.
       
       Und zwar? 
       
       Natürlich gibt es Bundeswehrpfarrer, die mit Traumatisierten in Afghanistan
       hervorragende Arbeit machen. Meine Kritik gilt nicht der Arbeit des
       Einzelnen. Ich denke aber, dass wir als Kirche auch andere Möglichkeiten
       hätten, um Soldaten in ihren Nöten zu begleiten, als selbst Teil der Armee
       zu werden. Mein Jesus war Bausoldat oder Zivi. In Uniform hätte er nichts
       als Ärger.
       
       21 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dinah Riese
       
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