# taz.de -- Profifußballer Philipp Lahm: Den Bayern wird er fehlen
       
       > Musterprofi, Bayerns Feiertier und auch ein kritischer Kopf: Philipp Lahm
       > beendet seine Fußballkarriere. Nun ist er sogar Held eines Theaterstücks.
       
 (IMG) Bild: Gibt sein Trikot ab – zumindest symbolisch Gesehen: Philipp Lahm
       
       MÜNCHEN taz | Zwischen Shakespeare und Marivaux haben sie Philipp Lahm
       gesteckt. Kurz vor Weihnachten, am letzten Vorrundenspieltag, hat er
       Premiere. Auf dem Theater. Im hochherrschaftlichen Residenztheater, im
       Herzen Münchens, direkt neben der Oper. Geboten wird dort für gewöhnlich
       Hochkultur auf Champions-League-Niveau, mindestens.
       
       Am 16. Dezember also „Philipp Lahm“. Angekündigt wird das Opus so: „Eine
       Phantasmagorie über das durchschnittliche Leben des
       Ausnahmefußballspielers. Kein Prominenten-Biopic, sondern mit einer
       lakonischen Autorschafts-Volte den hysterischen Kultur- und
       Literaturbetrieb, Zeitgeist und Homestory persifliert und nebenher die
       dramatische Tradition schulterzuckend ins Abseits gestellt. ‚Philipp Lahm‘
       ist die rettende Blutgrätsche gegen die konfliktgeile Dramaturgie toter
       Männer.“
       
       Bäm! Wenn das nicht mal alle Kuttenträger aus der Südkurve anlockt. Aber
       warum gerade Lahm? Autor Michael Decar: „Er ist das Symbol der Nullerjahre
       und der ersten Hälfte der Zehnerjahre. Er verkörpert die BRD wie kein
       Anderer: super korrekt, super schlau. So langweilig, dass es weh tut. Das
       Spiegelbild der Moderne. Es gibt keinen Clash mehr, aber vielleicht doch
       einen Abgrund, der hinter der Fassade lauert.“ Verkörpert wird Lahm von
       Gunther Eckes, der zuletzt den Sheriff von Nottingham gab. Sagen wir mal
       so: Man darf gespannt sein.
       
       Am Samstagnachmittag endet die Karriere des Fußballers Philipp Lahm.
       Blaskapellen und Trachtenvereine werden durchs Stadion marschieren,
       Bayern-Legenden von Beckenbauer bis Ballack – ausgerechnet Ballack … –
       werden gratulieren, es wird Blumen geben vom Rummenigge-Kalle, einen
       irgendwie komischen Händedruck vom Hoeneß-Uli, nach dem Spiel die Schale
       und ein paar Weißbiere über den Kopf, und dann geht’s ein letztes Mal auf
       den Rathausbalkon am Marienplatz, wo die Südkurvler dicke Krokodilstränen
       in ihre Kutten heulen werden. Mei, der Fipsi! So einer kommt so schnell
       nicht wieder!
       
       Wohl wahr. Stellvertretend für das Heer der Schulterklopfer seien die
       warmen Worte des frühen Förderers Hermann Gerland zitiert: „Er gehört auf
       jeden Fall in die Jahrhundertelf des FC Bayern, auf eine Stufe mit den ganz
       Großen. Er war pünktlich, fleißig, hat immer überragend trainiert und nie
       über irgendwelche Spieler geschimpft, weder früher noch jetzt als
       Superstar.“ Na gut, Carlo Ancelotti darf auch noch: „Wir sind traurig, dass
       Philipp seine Karriere beendet. Er ist einer der professionellsten Spieler,
       die ich getroffen habe. Ein Beispiel für andere. Hätten wir 20 Philipp
       Lahms, hätten wir keine Probleme.“ Okay, Pep Guardiola darf auch nicht
       fehlen: „Er ist der intelligenteste Spieler, den ich je trainiert habe.“
       So, jetzt ist aber gut.
       
       ## Scho au schade
       
       All diese Sätze kann man sich nämlich sparen. Weil jeder, der sich auch nur
       ansatzweise für Fußball interessiert, diesen Philipp Lahm kennt. Ihn vor
       dem geistigen Auge auf ewig die Linie lang flitzen sieht und sich kein
       Stück wundert, dass er einem dieser gegelten Flügelflitzer mal wieder den
       Ball vom Zauberfuß stibitzt und mit tausendprozentiger Verlässlichkeit nach
       vorne gepasst hat, nur um zweieinhalb Sekunden später schon wieder den
       eigenen Rechtsaußen zu hinterlaufen, kurz aufzuschauen und maßgerecht zum
       Kopfballtor zu flanken: So geht Philipp Lahm. Immer wieder. Ab
       Samstagnachmittag: nie mehr wieder. Scho au schade, wie Jogi Löw sagen
       würde. Nur gut, dass sein Jahrhunderttor im WM-Eröffnungsspiel unverrückbar
       im kollektiven Gedächtnis gespeichert ist.
       
       Klar sieht Lahm auch mit 33 noch so aus, als läge seine Rente in einer sehr
       fernen Zukunft. Natürlich gönnt ihm jeder diesen Abschied auf höchstem,
       wenn auch nicht mehr allerhöchstem Niveau. Denn kein Mensch will ihn noch
       mal in einem so bedauernswerten Zustand sehen wie nach dem Pokal-Aus gegen
       Dortmund, als ihm doch tatsächlich mal der Ball versprungen war und er sich
       das Allerweltsmalheur im TV-Studio noch mal ansehen musste. Neben dem
       verlorenen „Finale dahoam“ wohl einer der bittersten Momente seiner
       Karriere. Aber auch in diesem Moment war er halt Philipp Lahm: nicht
       kneifen, nicht jammern, sondern Stellung beziehen, auch wenn’s weh tut.
       
       Klar, das ist sein Job als Mannschaftskapitän. Doch auch diese leidigen
       Pflichten erledigte er konzentriert, vergleichsweise floskelarm, redete
       nicht irgendwie daher, sondern antwortete konkret auf die gestellte Frage,
       schaute dem Reporter dabei in die Augen und nicht in unendliche Weiten wie
       so mancher seiner Vorgänger. Klingt alles selbstverständlich, ist es aber
       leider nicht.
       
       ## Adretter Herr ohne Undercut
       
       Philipp Lahm, der Musterschüler, der brave Spießer. Dieses Etikett klebt an
       ihm wie das Bad-Boy-Image an den Arbeitskollegen Basler, Balotelli oder
       Ibrahimovic. Deren Schlagzeilenfrequenz in der Boulevardpresse ist bei dem
       adretten Herrn aus dem sehr bürgerlichen Stadtteil Nymphenburg so erwartbar
       wie ein Undercut, ein Tribal-Tattoo oder ein Flügeltürencabrio.
       
       Logisch, dass er in seiner letzten Woche als Profi noch in Zusammenarbeit
       mit einer Krankenkasse auf „Philipp Lahm Schultour“ geht: eine bayernweite
       Initiative, um die Gesundheit der Fünftklässler von Real- und Mittelschulen
       zu fördern. Selbstverständlich hat er zum Abschied für jeden
       FCB-Mitarbeiter an der Säbener Straße ein persönliches
       Überraschungsgeschenk besorgt. Klar, dass er für sein letztes Spiel am
       Samstag vor den eigenen Fans mehr Tickets als sonst bestellt hat – aber
       selbstverständlich kein einziges Kärtchen mehr als erlaubt: „Ich bewege
       mich immer im Rahmen des Erlaubten.“ Kein Zweifel, nirgends.
       
       Und ganz bestimmt stimmt auch die Anekdote, dass er als Zwölfjähriger von
       seinem Jugendverein Freie Turnerschaft Gern zu Bayern und nicht zu 1860
       wechselte, weil er beim Probetraining bei den Sechzigern Löcher im Fangzaun
       gesehen hatte. Schon der ganze kleine Lahm wusste: Bei dem Klub ist was
       faul.
       
       ## Der Letzte auf Partys
       
       Dass das Bild vom braven Bubi gar nicht mal so korrekt ist, davon kann
       nicht nur Ex-Capitano Michael Ballack seit der WM 2010 ein paar Geschichten
       erzählen. Im Jahr darauf kritisierte Lahm in seinem Buch „Der feine
       Unterschied: Wie man heute Spitzenfußballer wird“ ehemalige Mitspieler und
       Trainer, was ihm eine Rüge des DFB einbrachte. Bei Bayern bekommt Uli
       Hoeneß wahrscheinlich heute noch Ausschlag, wenn er an Lahms Flirt mit dem
       FC Barcelona und an das vom Verein nicht genehmigte Interview mit der
       Süddeutschen vor ein paar Jahren denkt. Und auf den zahllosen Meisterpartys
       soll Lahm ja immer derjenige sein, der als Letzter zusperrt.
       
       Er wird den Bayern fehlen, keine Frage. Nicht nur, weil es in der
       Weltauswahl allmählich eng wird für eine gescheite Schafkopf-Runde. Er wird
       auch auf dem Platz fehlen, klar. Und auch neben dem Platz. Dass er sich in
       Sachen job description mit dem Allmächtigen Hoeneß nicht einig wurde, ist
       so nachvollziehbar wie unglücklich für den Klub, der nun von einem
       65-Jährigen (Hoeneß) und einem 61-Jährigen (Rummenigge) geführt wird. Lahm
       wird es erwarten können, bis der eine irgendwann Ehrenvorsitzender der
       Basketballabteilung und der andere am Ende des Tages Rhetorikvorträge
       halten wird. Bis dahin hat Lahm zu tun, nicht nur, weil nun das zweite Kind
       unterwegs ist.
       
       Wenige Kicker haben schon während der Zeit in kurzen Hosen so stringent an
       der Karriere danach gearbeitet. Der seit Jahren von dem durchaus sperrigen
       Ex-Bayern-Kicker Roman Grill beratene Weltmeister hat sich breit
       aufgestellt, wie man so schön sagt: Gesellschafter eines Müsliherstellers,
       eines Produzenten von Kühlsprays, Massageöl und Cremes gegen wunde Haut
       sowie Gesellschafter einer Berliner Berateragentur, die „Sparringspartner
       des Top-Managements großer und mittlerer Unternehmen, Verbänden und
       politischer Gremien im deutschen Gesundheitswesen“ sein will. Außerdem
       gehören ihm 40 Prozent eines Nürnberger Anbieters von betrieblicher
       Gesundheitsvorsorge. Nur der Kauf der Modefirma von Willy Bogner im Rahmen
       eines Investorenkonsortiums hat nicht geklappt.
       
       Dann ist da noch seine eigene Stiftung, die Unterstützung der
       SOS-Kinderdörfer, der Initiative „Medienbewusst.de“, des „Bündnisses für
       Kinder“ und des „Lilalu“-Projekts „Mädchen an den Ball“ sowie
       Botschafterjobs beim Welt-Aids-Tag und bei der Stiftung Lesen. So
       langweilig, dass es weh tut? Nun ja.
       
       Ob sich Philipp Lahm im Dezember die „rettende Blutgrätsche“ im
       Residenztheater antut? Warum denn nicht? Weitet bestimmt den Horizont, und
       Selbstreflexion hat auch noch niemandem geschadet. Dass er irgendwann
       wieder im Fußballgeschäft auftauchen wird, davon ist auszugehen. Deshalb
       heißt es am Samstagnachmittag auch nicht „Adieu“, sondern eher „Bis bald“!
       
       19 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Becker
       
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