# taz.de -- Landwirtschaft von morgen: Hightech im Bioland
       
       > Der Westhof in Dithmarschen produziert Öko-Gemüse, und das vegan, denn er
       > kommt ohne Rinder und Schweine aus. Den Dünger erzeugt eine Biogasanlage.
       
 (IMG) Bild: Ganz schön flott: Abgepackte Möhren flitzen übers Förderband
       
       Friedrichsgabekoog taz | In der Packhalle des Westhofs im
       schleswig-holsteinischen Dithmarschen sieht es aus wie bei der
       Automobilindustrie. Ein übermannshoher gelber Roboterarm greift sich vier
       Klappkisten mit Möhrenbeuteln, schwenkt um 180 Grad und setzt sie auf eine
       Palette. „Sie können sich das gerne anschauen, aber bleiben Sie bitte vor
       der Markierung“, warnt Rainer Carstens, Geschäftsführer und Eigentümer des
       Westhofs, beim Betreten der Halle. Würden vier Mann die schweren Kisten
       umsetzen, hätten sie Mühe mitzuhalten.
       
       Der Westhof liegt im Friedrichsgabekoog, in der Nähe von Heide. Das
       Marschland, das zum Teil der Nordsee abgerungen wurde, ist bekannt für
       seinen Kohlanbau. Der Westhof baut Gemüse und Getreide an. Dabei bringen
       Carstens und seine Mitarbeiter das Kunststück fertig, nicht nur ohne
       Kunstdünger auszukommen, sondern auch ohne Nutztiere. Die Kühe oder
       Schweine, die auf Biohöfen normalerweise gebraucht werden, um Dünger zu
       liefern, ersetzt eine Biogasanlage.
       
       Carstens hat Hightech mit Highbio verbunden – nicht nur, indem der Westhof
       den Standard des Bioland-Anbauverbands erfüllt, der anspruchsvoller ist als
       EU-Bio, sondern auch durch die ausgeklügelten Prozesse, mit denen der Hof,
       der eigentlich eine Unternehmensgruppe ist, funktioniert.
       
       Carstens kniet auf einer dunkelgrünen Wiese und fasst mit der Hand ins
       Gras. Anfang April sieht das hier noch recht eintönig aus. Dabei haben
       seine Mitarbeiter hier 20 bis 30 Blütenpflanzen ausgesät – regionale
       Sorten, die von einem Umweltverband empfohlen wurden. „Wir passen die
       Mischung immer wieder an, weil nicht alles gedeiht“, sagt der Landwirt.
       
       Die Blühwiesenphase ist Teil einer sechsjährigen Fruchtfolge, die es
       verhindern soll, dass sich Schädlinge, die auf bestimmte Pflanzen
       spezialisiert sind, auf einem Acker festsetzen. Es folgen im Wesentlichen
       Kohl, Möhren, Erbsen und Getreide aufeinander. In den zwei Jahren Blühwiese
       wächst Klee und Gras auf den Feldern und die Erde kann sich erholen. Der
       Klee bindet den Stickstoff aus der Luft, das Gras nimmt ihn auf. Zehn
       Prozent des Düngerbedarfs werde auf diese Weise gedeckt, sagt Carstens.
       
       ## Schälreste werden Biogas
       
       Die übrigen 90 Prozent kommen aus der Biogasanlage des Hofs, die im Kern
       aus zwei ringförmigen Gebäuden mit spitzen Kuppeln besteht. Gras und Möhren
       liegen im Einfüllschacht eines Containers, aus dem diese beiden Gärbehälter
       gefüttert werden. „Wir wollen in der Biogasanlage nur Produkte verfüttern,
       die nicht als Nahrungsmittel verwendet werden können“, sagt Carstens. Dazu
       gehören das zweimal im Jahr gemähte Gras, Schälreste aus der
       Gemüseverarbeitung und Wurzeln, die zu krumm sind, um sich vermarkten zu
       lassen.
       
       Die Biomasse wird in den Gärbehälter transportiert und dort in einen
       hellbraunen Brei gerührt, aus dem Blasen aufsteigen – Methangas, erzeugt
       von Archaeen, Lebewesen, die so heißen, weil sie drei bis vier Milliarden
       Jahre alt sind. Bei der Methanproduktions greifen sie auf die Vorarbeit
       eines gemixten Bakteriencocktails zurück, der Kohlehydrate, Eiweiße und
       Fette in handlichere organische Verbindungen zerlegt hat.
       
       Das Methan (CH4) sammelt sich unter einer Folie in der Kuppel der Anlage.
       Es wird abgepumpt, entschwefelt, entwässert und in einem Blockheizkraftwerk
       verbrannt, einem großen Gasmotor, dessen Erzeugnisse – Kohlendioxid (CO2),
       Wärme und Strom – wiederum auf dem Hof verbraucht werden. Für den
       mineralstoffreichen und kohlenstoffarmen Gärrest stehen Trecker mit großen
       gelben Tankanhängern Schlange, um ihn hinaus auf die Felder zu fahren.
       
       ## Sortieren, Verpacken, Verschicken
       
       Für die eigentliche Landwirtschaft beschäftigt der Westhof mit seinen 1.000
       Hektar Land nur zwölf fest angestellte Mitarbeiter. Dazu kommen 100
       Saisonkräfte, die in dem großen bungalowähnlichen Bauernhaus verpflegt
       werden. 35 Festangestellte arbeiten dagegen für den Handel, vor allem für
       das Sortieren, Verpacken und Versandfertigmachen eigenen und zugekauften
       Gemüses.
       
       Vor dem Betreten der Halle drückt Carstens seinen Gästen eine Schirmmütze
       in die Hand. Niemand will ein Haar an der Möhre finden. 30.000 Tonnen
       Gemüse verarbeitet der Westhof im Jahr. 40 Prozent davon sind Möhren. Für
       jedes Feld gibt es einen eigenen Bunker, sodass Fehler zurückverfolgt
       werden können. Davor hängen mannshohe, trichterförmige Edelstahlbehälter,
       die rhythmisch Kilo um Kilo Möhren in Plastikbeutel fallen lassen.
       
       Von dort aus kommen sie auf ein Band und werden etikettiert. Die Tüten
       seien nötig, weil Bioland sicherstellen wolle, dass es sich um
       zertifizierte Ware handelt, erzählt Carstens. Aus Umweltschutzgründen würde
       er gern darauf verzichten und experimentiert deshalb mit Alternativen, etwa
       einer Banderole.
       
       Der Westhof ist mit den großen Supermarktketten im Geschäft. Da ist
       Effizienz und ein fehlerfreier Produktionsprozess entscheidend. Das Gemüse
       wird nicht nur vollautomatisch verpackt, sondern zuvor auch
       maschinell-optisch auf Fehler untersucht und ausgelesen.
       
       ## Wenn der Jätroboter kommt
       
       Zusammen mit der Fachhochschule Westküste arbeitet der Westhof gerade an
       einem Jätroboter, der einige Dutzend Saisonarbeitskräfte arbeitslos machen
       würde. Weil er auf Pflanzenschutzmittel verzichtet, muss Carstens bei
       Möhren 150 Stunden pro Jahr und Hektar jäten lassen.
       
       Den Hof haben Carstens’ Eltern 1972 mit 60 Hektar und einer Biogasanlage
       übernommen. 1989 stellte Carstens auf Bio um, wie er erzählt. Weil in den
       drei Umstellungsjahren der Getreidepreis einbrach, investierte er in Gemüse
       und in der Folge in Kühlhäuser, eine Aufbereitungsanlage und einen
       Biofrostbetrieb. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat der Westhof 20
       Millionen Euro investiert.
       
       Eines der jüngeren Projekte ist ein vier Hektar großes Gewächshaus, das die
       technische Steigerung und Kontrolle biologischer Landwirtschaft auf die
       Spitze treibt. Wer hier rein will, muss auf einem kleinen Bürstenfließband
       seine Schuhe säubern lassen, während die Hände wie in einem Trockner
       desinfiziert werden. Arbeitsanweisungen hängen in Deutsch, Englisch und
       Polnisch an der Wand. Dazu gibt es den Hinweis, Glasbruch auf jeden Fall zu
       melden.
       
       In das eigentliche Gewächshaus dürfen nur die Mitarbeiter mit roten
       Sweatshirts und vier Katzen zur Nagerjagd – die aber auch nicht raus
       dürfen. Denn hier wachsen Tomaten, Gurken und Paprika zwar in jährlichem
       Wechsel, aber auf engstem Raum. Die Gefahr, dass eingeschleppte Krankheiten
       eine Ernte vernichten, ist groß.
       
       ## Konkurrenzfähige Paprika
       
       Im Gegensatz zu konventionell bewirtschafteten Gewächshäusern wurzeln die
       Pflanzen nicht in einem Nährstoffschwamm, sondern in echter Dithmarscher
       Erde. Hummeln bestäuben die Pflanzen, Schwebfliegen und Raubwespen
       vertilgen die Schädlinge.
       
       Und um in Dithmarschen überhaupt konkurrenzfähig Paprika ziehen zu können,
       muss man sich etwas einfallen lassen: Das Spezialglas des Gewächshauses
       lässt 96 statt wie üblich 85 Prozent des Sonnenlichts durch. Die Halle ist
       sieben Meter hoch, sodass sie seltener gelüftet werden muss.
       
       Die Wärme kommt vom Blockheizkraftwerk der Biogasanlage, wie auch das CO2,
       das die dicht gedrängten Pflanzen zum Wachsen brauchen. Je mehr Licht
       einfällt, desto mehr CO2 wird eingeleitet – aber nicht mehr als auch
       natürlicherweise in der Atmosphäre vorkommt.
       
       Das Blockheizkraftwerk orientiert sich am Wärmebedarf des Frostbetriebes
       und am CO2-Bedarf des Gewächshauses. Daneben produziert es mehr Strom, als
       der Hof benötigt, sodass Carstens ein weiteres Geschäftsfeld erschließen
       will: die Direktvermarktung. Statt Milch gibt es bei ihm dann Strom vom
       Bauernhof.
       
       Der Text basiert auf einer Pressereise der Agentur für Erneuerbare
       Energien.
       
       8 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gernot Knödler
       
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