# taz.de -- Festival im Berliner Radialsystem: Subbässe, Dröhnen, Geklacker
       
       > Beim dreitägigen „Syn/Cussion“ treffen ab Freitag Schlagwerkzeuge auf
       > Laptops und Percussions auf Synthesizer.
       
 (IMG) Bild: Eines von neun Duos: Schlagzeugerin Katharina Ernst (Foto) performt mit dem Klangkünstler Andrew Pekler
       
       Ein Beat ist nie einfach nur ein Beat. Eine Erkenntnis, die angehende
       SchlagzeugerInnen spätestens dann machen, wenn sie versuchen, einen
       bestimmten Song oder Track nachzuahmen – und daran verzweifeln. Ist es doch
       genau der gleiche verdammte Rhythmus, den sie da über Tage, Monate,
       vielleicht Jahre eingeübt haben.
       
       Das Problem jedoch – und das ist die nächste frustrierende Erfahrung – ist
       der Klang selbst. Wenn er nicht stimmt, kann der Groove noch so perfekt
       sein: ein rostiges Akustikschlagzeug in einem alten Proberaum klingt nie so
       wunderschön wummernd wie die Drums in einem Rap-Song von Devin The Dude
       oder einem überdrehten, magenerschütternden Jungle-Track wie „Original
       Nuttah“ von UK Apache & Shy FX. In Sachen Sound sind Maschinen den Menschen
       überlegen.
       
       Dass dieselben musikalischen Ereignisse auf dem Notenblatt gleich sind,
       aber dann ganz anders klingen, hat wahrnehmungspsychologische Gründe.
       Rhythmen werden nie nur in einer zeitlichen Dimension wahrgenommen, wie
       findige Musikpsychologen einst herausgefunden haben.
       
       Klänge mit einer ähnlichen Tonhöhe werden vom Gehör automatisch
       „gruppiert“, während weiter auseinander liegende Klänge als einzeln
       wahrgenommen werden. Im besagten Jungle-Track etwa addiert das Ohr die
       Bassmelodie einfach zur Bassdrum hinzu. Das schafft einen völlig anderen
       Gesamtklang, eine ganz andere Atmosphäre und damit: eine ganz neue
       Musikwelt.
       
       Der Berliner Drummer und Elektronik-Musiker Hanno Leichtmann würde dem
       sicher zustimmen. Für den studierten Schlagzeuger war der Sound schon immer
       zentral. Um anders zu klingen, präpariert er sein Schlagzeug mit
       Klangschalen, afrikanischen Trommeln sowie Lederstücken oder
       Herd-Abdeckungen zum Verfremden und Dämpfen der Felle.
       
       Seit 1998 arbeitet der Musiker, der durch seine Kooperation mit Christoph
       Schlingensief für dessen jedoch nie fertiggestellten Soundtrack des Films
       „African Twin Towers“ einem größeren Publikum bekannt wurde, mit einem
       hybriden Setup, also einer Mischung aus elektronischen und akustischen
       Klangkörpern.
       
       ## Reduzierte Rhythmen
       
       Das ermöglicht ihm bis heute eine große Bandbreite an Klangwelten, die er
       in den unterschiedlichen Projekten einbringt. Denseland, sein Trio mit dem
       New Yorker Vokalisten und Komponisten David Moss und dem Bassisten und
       Klangkünstler Hannes Strobl, verschaltet reduzierte Rhythmen mit
       horrorfilmartigen Hintergrunddröhnen und lyrisch-melancholischen, manchmal
       diabolischen Sprechgesang.
       
       Bei seinem anderen Trio Groupshow, zusammen mit Jan Jelinek and Andrew
       Pekler, kommt ein ganzer Maschinenpark aus analogen Synthesizern,
       Perkussionsinstrumenten und Mixern zusammen, mit denen die drei
       krautrockige bis technoide Loops erschaffen. Von Anfang an immer dabei war
       der Drum Synthesizer „Syncussion SY-1“, der, wie Leichtmann sagt, „alle
       seine Produktionen durchstreift“.
       
       Da lag es nahe, das von ihm kuratierte Festival im Radialsystem nach dem
       Gerät zu benennen. Das Motto von „Syn/Cussion“: Schlagzeug trifft auf
       Laptop, Perkussion trifft auf Synthesizer. Neun Duos aus SchlagzeugerInnenn
       und PerkussionistInnen spielen jeweils mit ElektronikerInnen und loten das
       Zusammenspiel von Rhythmus und elektronischen Sounds aus. Das war für
       Leichtmann ein lange gehegter Wunsch: „Mir fiel auf, wie vielseitig
       elektronische und perkussive Setups sind, weil beide meistens aus vielen
       verschiedenen Klangkörpern bestehen.“
       
       Im Zentrum stehe der Dialog. Alle Beteiligten haben in diesen
       Konstellationen noch nie zusammen gespielt und müssen sich demnach, wie im
       Jazz, spontan mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen. Leichtmann kennt als
       umtriebige Figur in der freien Musikszene die meisten persönlich. Einige
       habe er gefragt, mit wem sie gerne mal zusammen spielen würden, bei anderen
       war ihm von Anfang an klar: „Die und die beiden müssen auf jeden Fall mal
       zusammen spielen.“
       
       ## Radikal experimentell
       
       Das Programm ist entsprechend innovativ: Die österreichische Schlagzeugerin
       Katharina Ernst performt mit dem in Berlin lebenden US-amerikanischen
       Klangkünstler Andrew Pekler. Der australische Drummer Will Guthrie wird
       erstmals mit dem britischen Computermusiker Mark Fell zusammen spielen.
       Fell, der gerne T-Shirts mit Slogans wie „unusual electronic music
       typically without academic affiliations“ trägt, ist bekannt für seine
       radikal experimentelle (ein Begriff, den er hasst) Herangehensweise an
       Musik – was sicher für verwirrte Ohren sorgen wird.
       
       Am Festival-Sonntag treffen dann mit dem Free Jazz-Schlagzeuger Sven-Åke
       Johansson und dem Elektronikmusiker Jan Jelinek zwei der klassischen
       Improvisation zugeneigte Musiker zusammen. Dichotomien zwischen Pop oder
       Kunst gibt es hier keine. Hanno Leichtmann, der hinsichtlich jener
       Unterscheidung in Berlin sicher als Ikonoklast gelten kann, wird nicht
       live, sondern mit einer Soundinstallation vertreten sein. Sie dauert rund
       18 Minuten und basiert ausschließlich auf Klängen des „SY-1“-Synthesizers.
       
       „Irgendwo zwischen Subbässen, Tinnitus, hochfrequentem Geklacker und John
       Carpenter-Sountracks“, fasst Leichtmann zusammen. Eine Aussage, die besagte
       DrummerInnen vielleicht beruhigt. Greift einfach zu Maschinen – oder spielt
       mit ihnen, dann klappt es auch mit dem richtigen Sound.
       
       Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg
       immer Donnerstags in der Printausgabe der taz
       
       4 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Rhensius
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jazz
 (DIR) Techno
       
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