# taz.de -- Nach der Wahl in Frankreich: System auf Abruf
       
       > Die französische Politik steckt in Schwierigkeiten. Es gibt keine
       > eindeutigen Mehrheiten mehr, die Wähler haben Lust auf Veränderung.
       
 (IMG) Bild: Bei dieser Wahl in Frankreich war alles anders als die knapp fünfzig Jahre zuvor
       
       Außer 2002 lag die Wählerbasis der beiden vorn liegenden Kandidaten noch
       nie so nah beieinander: 23,7 Prozent für Emmanuel Macron gegen 21,9 Prozent
       für Marine Le Pen. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass viele aus
       stragischen Gründen für den Anführer der Bewegung En Marche ! gestimmt
       haben. Dank des Leitspruchs „Alles außer Le Pen“ dürfte Macron in der
       zweiten Runde gewählt werden, wenn keine krasse Überraschung eintrifft.
       
       Aber dieser Sieg bedeutet nicht, dass er in Zukunft beliebt sein wird. Das
       Phänomen ist schon von der Wahl François Hollandes im Jahr 2012 bekannt.
       Kaum war er gewählt, sogar mit absoluter Mehrheit im Parlament, schmolzen
       seine Beliebtheit und das Vertrauen in ihn dahin. Es war fast mechanisch.
       Alles weist darauf hin, dass sich das in noch brutalerer Art und Weise
       wiederholt und damit noch destabilisierender sein wird.
       
       Zum ersten Mal in der Geschichte der V. Republik haben die beiden
       traditionellen Parteien, die das politische System seit fast fünfzig Jahren
       bestimmen, zusammen nur 26 Prozent der Wählerstimmen erhalten. 2007 waren
       es 57 Prozent, 2012 ebenfalls noch 56 Prozent.
       
       Das ist ein Verlust von 30 Prozentpunkten, wegen der Stärke des Front
       National, des Durchbruchs von Jean-Luc Mélenchon und des Auftauchens
       Emmanuel Macrons. Indem diese sich gegen das System stellten, haben sie den
       tief sitzenden Wunsch nach Veränderung in der Bevölkerung eingefangen – ein
       Streben, das gegen die dicken Mauern der V. Republik schlägt.
       
       Ohne dass überhaupt Zeit war, über die Konsequenzen eines
       Drei-Parteien-Systems nachzudenken, gab es in diesem Wahlkampf einen bisher
       unbekannten Wettbewerb zwischen fünf zentralen politischen Angeboten. Auch
       wenn man nicht das Resultat der zweiten Wahlrunde und die möglicherweise
       für Macron nützliche Dynamik unterstellt, könnte die Parlamentswahl im Juni
       die Politik derart umstürzen, dass es keine eindeutigen Mehrheiten mehr
       gibt. Das würde eine neue Ära bedeuten: eine ungewisse und instabile Zeit
       der parlamentarischen Koalitionen.
       
       Viele Franzosen haben bei dieser Wahl ihre Wut zum Ausdruck gebracht, um
       nicht zu sagen, ihre Ablehnung gegenüber der etablierten politischen
       Klasse. Sie sagen, dass ihnen nicht zugehört wird, dass sie nicht
       verstanden werden. Sie wollen, dass ihre Meinung mehr berücksichtigt und
       respektiert wird. Sie erteilen der personalisierten Macht eine Absage, aber
       stimmen zu 42 Prozent für Fillon oder Le Pen.
       
       Unter den vier vorn liegenden Kandidaten hatte nur ein einziger in seinem
       Programm vorgesehen, die Institutionen komplett zu reformieren – nämlich
       Jean-Luc Mélenchon. Alle vier haben sich als Gottgesandte dargestellt, wie
       schon lange vor ihnen Charles de Gaulle. Als wenn es heutzutage keine
       Alternativen zu diesem Gründungsmythos gäbe. Auch wenn der V. Republik also
       langsam die Puste ausgeht: Die VI. Republik liegt noch in weiter Ferne.
       
       Übersetzung aus dem Französischen: Belinda Grasnick
       
       24 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Grégoire Biseau
       
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