# taz.de -- Biopic über Winston Churchill: Der Premier als polternder Mann
       
       > „Churchill“ zeigt den „bedeutendsten Briten aller Zeiten“ beim Zaudern am
       > Vorabend des D-Days. Doch der Film verklärt, anstatt zu differenzieren.
       
 (IMG) Bild: Ein Freund großer Gesten: Winston Churchill (Brian Cox) zieht seinen Hut
       
       Von großen Männern erzählt nicht nur die Geschichtsschreibung, sondern auch
       das Kino gern. Es suggeriert, dass das Schicksal von Nationen, ja, der
       ganzen Welt in den Händen eines Mannes liegen kann, der mit seiner Kraft –
       oder seinem Wahn – Völker in den Abgrund reißen oder aus der Not befreien
       kann.
       
       Über diese extrem personalisierte Form der Geschichtsschreibung, die die
       Komplexität von Gesellschaften und politischen Entscheidungen oft
       ignoriert, lässt sich streiten. Für einen mitreißenden Film ist es jedoch
       ohne Frage spannender, wenn all die Facetten der politischen Willensbildung
       Platz machen für das Bauchgefühl der großen Männer.
       
       Wenn da etwa eine Reihe von Männern in Jonathan Teplitzkys biografischem
       Drama „Churchill“ am Abend des 5. Juni 1944 in einem düsteren Raum sitzt,
       sich die Köpfe heißredet, um die Frage zu beantworten, ob der Angriff auf
       die Normandie stattfinden soll oder nicht, meint man den Atem der
       Geschichte zu spüren. Das Leben tausender junger Männer steht in diesem
       Moment auf dem Spiel, aber wenn der Angriff abgeblasen wird, wenn der
       Zweite Weltkrieg noch weiter in die Länge gezogen wird, sterben vielleicht
       zehntausende.
       
       ## Unmögliche Entscheidung
       
       Eine unmögliche Entscheidung also, die andeutet, wie zwiespältig Politik
       sein kann. Dass in diesem vielleicht stärksten Moment des Films die
       Titelfigur eher am Rande bleibt, die Entscheidung über die später als D-Day
       bekannte Invasion von Militärs gefällt wird und nicht vom britischen
       Premier Winston Churchill, sagt manches über die Stärken und Schwächen des
       Films aus und über den Blick auf seine Hauptfigur.
       
       Zum bedeutendsten Briten aller Zeiten wurde Winston Churchill in einer
       Sendung der BBC 2002 gewählt, was wenig überrascht und viel über die
       Bedeutung des Zweiten Weltkriegs für die Selbstwahrnehmung der Briten
       aussagt. Neben den Deutschen ist kein anderes Land so besessen vom Zweiten
       Weltkrieg, vom heroischen Durchstehen des Blitz, dem Sieg in der
       Luftschlacht über England, schließlich der Niederlage Hitlers, Ereignisse,
       die untrennbar mit der Person Winston Churchills verbunden sind.
       
       In der Popkultur ist Churchill momentan omnipräsent. Auftritte in TV-Serien
       wie „Peaky Blinders“ und „The Crown“, nun Teplitzkys Film, in dem Churchill
       von Brian Cox verkörpert wird, Ende des Jahres folgt „Darkest Hour“, da
       wird Gary Oldman in die Rolle des Premierministers schlüpfen. Zufall
       einerseits, andererseits vielleicht auch bezeichnend, verkörpert Churchill
       doch den Typus des großen Staatsmannes, der in den heutigen fragilen Zeiten
       von manch einem trotz allem vermisst wird.
       
       Dabei hat man zu Beginn von Teplitzkys Film noch das Gefühl, einer durchaus
       kritischen Würdigung Churchills zuzuschauen: Als eigenbrötlerischer Mann
       wird der Premier gezeigt, als Kontrollfreak, der seinen Mitarbeitern in
       einem improvisierten War Room mit seinem Verlangen, über jede Kleinigkeit
       auf dem Laufenden gehalten zu werden, gehörig auf die Nerven geht. Noch hat
       er nicht realisiert, dass der Krieg nicht von ihm geführt wird, sondern von
       den Generälen, allen voran der spätere amerikanische Präsident Dwight D.
       Eisenhower (in bester distinguierter Mad-Man-Tradition gespielt von John
       Slattery).
       
       Wie aus der Zeit gefallen wirkt Churchill hier, voller Zögern und Zaudern,
       übervorsichtig ob der drohenden Opfer des D-Days, die ihn an den Ersten
       Weltkrieg denken lassen, an die Schlachten auf Gallipoli, als
       Hunderttausende ihr Leben ließen. Dass Churchill in Bezug auf Opfer auf der
       anderen Seite weit weniger Skrupel hatte, dass er aus dem Geist des
       Kolonialismus heraus agierte, nicht zuletzt das britische Weltreich
       verteidigen und erhalten wollte, all das sind Aspekte, die in Teplitzkys
       Film keinen Platz finden.
       
       ## Befremdlicher Nachgeschmack
       
       Umso mehr dafür der Privatmann Churchill, der mit seiner Frau (Miranda
       Richardson) streitet, ihr regelmäßiges abendliches Ausgehen nur mühsam
       erträgt, es dann aber doch menscheln lässt. Zunehmend artet dieser
       „Churchill“ in eine rechte Hagiografie aus, wird deutlich, dass hier ein
       Bild des Premiers als alternder Mann gezeichnet werden soll, der zwar
       schwierig, aufbrausend ist, aber alles, sein Leben, seine Ehe, seine
       Gesundheit, für den Dienst an der Nation zurückstellt, ganz der große
       Staatsmann, der eben meist besser weiß, was richtig ist, als das Volk.
       
       Wenn da große Reden voller Pathos geschwungen werden, der Lauf der
       Geschichte sich dem schieren Willen eines Mannes zu unterwerfen scheint,
       dann ist das fraglos mitreißendes Kino, dass jedoch nüchtern betrachtet
       einen befremdlichen Nachgeschmack hinterlässt. Allzu schlicht ist dann doch
       der Blick auf einen Machtpolitiker, der selbst für Zeiten, in der das
       Betonen von machistischer Autorität zum Standard gehörte, eine Klasse für
       sich war.
       
       Eine faszinierende Figur ist Winston Churchill ohne Frage, einer der
       bedeutendsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts, über den man gern einmal
       einen differenzierten, auch kritischen biografischen Film sehen würde, der
       nicht zur verklärenden Hagiografie wird, sondern einen Menschen mit Stärken
       und Schwächen zeigt. So eine Darstellung würde dann allerdings nicht in das
       Wunschbild des Politikers als Fels in der Brandung passen, das noch immer
       ein Ideal zu sein scheint.
       
       Am Ende bestätigt somit dann auch „Churchill“ den Satz, dass ein
       Historienfilm weniger über die Zeit erzählt, in der er spielt, sondern mehr
       über die Zeit, in der er gedreht wurde.
       
       24 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Meyns
       
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