# taz.de -- Neues Album von Arca: Als würde jemand zuschlagen
       
       > Der venezolanische Elektroproduzent Arca kehrt mit einem brutal
       > emotionalen Album singend sein Innerstes nach außen. Ein Rat dazu kam von
       > Björk.
       
 (IMG) Bild: Was zählt, ist das Experiment: Arca und Björk bei einer gemeinsamen Show in Mexiko
       
       „Selbstverletzung“. So schlicht, so drastisch beschreibt der
       Elektronikproduzent Arca sein neues, ganz nackt „Arca“ betiteltes Album mit
       eigenen Worten. Denn es gehe unangenehm tief. Und die Tiefen, die
       Stimmungsschwankungen des Alejandro Ghersi sind ungestüm, in ihnen
       offenbart sich Verletzlichkeit, das Wesen eines sensiblen Künstlers. Das
       emotionale Auf und Ab hat der Venezolaner auf der musikalischen Ebene zu
       einem Wechselspiel an Sounds arrangiert, damit wird klar, das dritten
       Soloalbum von Arca geht unter die Haut.
       
       Bisher versteckte der 1990 geborene Musiker in seinem Sound das
       organischste Ausdrucksmittel: die eigene Stimme. Den Schritt, auch mit
       Gesang sein Inneres nach außen zu kehren, vollführt er nun auf spektakuläre
       Weise. Zwar hatte der in London lebende Künstler in seinen Anfängen
       gelegentlich gerappt und immer wieder gesprochene Samples in seine Tracks
       eingebaut, zu singen lehnte er jedoch stets ab.
       
       Erst Björk, deren letztes Album er produzierte, musste ihn ermutigen, seine
       Stimme melodiös einzusetzen und damit weitere Klangfarben hinzuzufügen, bei
       Arca geht es immer darum, dass er etwas von sich preisgibt. Da er durch die
       Kooperation mit der Isländerin inzwischen mit ihr befreundet ist, sagt er,
       habe er sich Björks Rat zu Herzen genommen.
       
       Arca singt auf Spanisch, auch das macht seine Musik eigenwillig. Die neuen
       Songs sind – für Arca typisch – unbestimmt, sie variieren in den
       Anmutungen. Mal ertönen klassische Balladen, mal eher abstrakt klingende
       elektronische Kompositionen: Schiebt Arca einen Song mit Motiven und Sounds
       Richtung Pop, sodass man denkt, die Musik stilistisch einordnen zu können,
       zerstört er im nächsten Song jede Wiedererkennbarkeit und lässt uns in eine
       atonale Klangwelt eintauchen.
       
       Er spielt mit theoretischen Songstrukturen, wie man sie in der Schule
       lernt, und folgt dabei nur seiner eigenen emotionalen Logik. Die Lieder und
       Balladen, die er auf „Arca“ veröffentlicht, sind deshalb immer noch nicht
       radiotauglich. Dafür wirken sie glaubwürdig in ihrer Emotionalität. Schon
       im Auftaktsong „Piel“ singt er davon, seine Haut abzustreifen.
       
       Auch in früheren Veröffentlichungen ging es bei Ghersi immer um die eigene
       Identität. In Venezuela musste er seine Homosexualität als Teenager stets
       negieren und sich anpassen. Erst 2007, als er für sein Studium am Clive
       Davis Institute of Recorded Music nach New York zog, konnte er offen damit
       umgehen. Während dieser Zeit entstand sein Künstleralias Arca.
       
       ## In Arcas Gefühlswelt
       
       Diese Identitätsfindung agiert Ghersi mit seinem neuen Album nun noch
       markanter aus. Durch die Direktheit seines Gesangs fühlt man sich sofort
       mit einbezogen in Arcas Gefühlswelt. Im Studio habe er die Gesangsmelodien
       immer improvisiert. Diese Aussage erklärt auch das Schluchzen, das
       Dünnerwerden seiner Stimme am Ende vieler Songs. Arcas Rohheit klingt
       ergreifend, sie ist mutig, bei aller Gemachtheit, nie gekünstelt.
       
       In „Piel“ wird Arcas fragile Kopfstimme nur von Feedback und später
       einsetzenden Bässen begleitet. Dieses Arrangement führt er immer weiter,
       sodass sich die Musik auf dem Album allmählich zu einem Ganzen verbindet.
       Ein emotionaler Höhepunkt lässt sich in der Mitte des Albums finden:
       „Castration“ ist brutal und aufwühlend. Die Kickdrum, die unregelmäßig
       einsetzt, klingt, als würde jemand zuschlagen. Langsam baut sich das Lied
       auf und mit dem Titel des Songs im Hinterkopf wirkt es, als ob Arca dabei
       Körperverletzung andeutet.
       
       In Interviews erklärt der Musiker stets, von Brutalität und deren Folgen
       fasziniert zu sein. Bei Fotoshootings posiert er gern mit einem blauen
       Auge. Dabei sollte das nicht falsch verstanden werden – Ghersi geht es
       nicht um Gewaltverherrlichung, sondern um das Danach – wie geht man mit den
       Folgen von Verletzungen um? Bei Arca scheinen sogar die Harmonien von den
       brutalen Bassdrumkicks betroffen zu sein: In „Castration“ zerfließen sie
       quasi leidend in disharmonische Frequenzen und wanken wieder zurück.
       
       Es ist genau das, was Arca ausmacht, er schafft es mit elektronischer
       Musik, Gefühle zu übertragen. Auf dem Albumcover, gestaltet von Arcas
       Londoner Mitbewohner, dem Designer Jesse Kanda, prankt sein Gesicht in
       Nahaufnahme – die Augen halb geschlossen, blau und rot umrandet, wie
       geschändet. Ghersi zeigt ihm zugefügte Gewalt und blickt die Betrachter an.
       Man blickt zurück und versteht sofort, dass Musik für Arca Katharsis
       bedeutet. Man kann nur staunen und hoffen, dass Ghersi noch mit vielen
       weiteren Alben sein Seelenwesen zeigt.
       
       28 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lorina Speder
       
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