# taz.de -- Todesopfer nach Geiselnahme 2004: Russland wegen Beslan verurteilt
       
       > Der schlecht koordinierte militärische Sturm auf eine von Terroristen
       > gekaperte Schule hat Menschenrechte verletzt.
       
 (IMG) Bild: Gedenken an die Geiselnahme in der zerstörte Schule am dritten Jahrestag 2007
       
       Karlsruhe taz | Russland hat 2004 bei der Befreiung einer von Terroristen
       gekaperten Schule in Beslan das „Recht auf Leben“ verletzt. Der Staat muss
       den Opfern nun insgesamt umgerehnet knapp drei Millionen Euro Entschädigung
       zahlen. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
       Straßburg.
       
       Am 1. September 2004 griff eine Gruppe von 30 tschetschenischen und
       inguschischen Terroristen eine Schule in der nordossetischen Kleinstadt
       Beslan an. Dort wurde an diesem Tag der Beginn des Schuljahres gefeiert, so
       dass neben den Schülern und Lehrern auch viele Eltern in der Schule waren.
       
       Die Terroristen nahmen 1.100 Menschen als Geiseln, davon 800 Kinder. Die
       Angreifer forderten den Rückzug russischer Truppen aus Tschetschenien, die
       Freilassung von inhaftierten Terroristen sowie den Rücktritt von Präsident
       Wladimir Putin.
       
       Als Verhandlungen scheiterten und die Terroristen die Geiseln bei großer
       Hitze weitgehend unversorgt ließen, stürmten russische Sicherheitskräfte
       die Schule. Am Ende von mehrstündigen Feuergefechten waren rund 330
       Menschen tot, auch fast alle Geiselnehmer.
       
       ## Klage von 409 Opfern und Angehörigen
       
       In Straßburg klagten 409 ehemalige Geiseln und Angehörige von Getöteten.
       Sie wurden teilweise von der Menschenrechtsgruppe Memorial unterstützt. Das
       Urteil sprach eine siebenköpfige Kammer unter Vorsitz des griechischen
       Richters Linos-Alexandre Sicilianos.
       
       Einstimmig stellten die Richter fest, dass die russischen Behörden zu wenig
       getan hatten, um den terroristischen Angriff zu verhindern. Obwohl es
       Informationen gab, dass in der Gegend ein Angriff im Zusammenhang mit dem
       Schuljahresbeginn geplant war, waren die Sicherheitsmaßnahmen an den
       Schulen nicht erhöht worden. Auch waren Schulen und Öffentlichkeit nicht
       gewarnt worden.
       
       Mit fünf zu zwei Richterstimmen monierten die Richter eine mangelhafte
       Planung und Koordination der Sicherheitsmaßnahmen nach dem Angriff. Da es
       keine klare Kommandostruktur gegeben hatte, arbeiteten die
       unterschiedlichen Sicherhheitskräfte teilweise unkoordiniert nebeneinander
       her. An der Befreiung der Schule waren Polizei, Armee, Omon-Sondereinheiten
       und FSB-Geheimdienstkräfte beteiligt.
       
       ## Kritik am Einsatz militärischer Waffen
       
       Ebenfalls mit fünf zu zwei Richterstimmen kritisierte Straßburg den Einsatz
       militärischer Waffen wie Panzerkanonen, Granat- und Flammenwerfer. Die
       Europäische Menschenrechtskonvention verbiete den Einsatz von Gewalt,
       soweit er nicht absolut notwendig ist.
       
       Der Einsatz von militärischen Waffen habe zu unnötigen Todesopfern geführt,
       insbesondere weil Terroristen damit nicht gezielt angegriffen werden
       konnten. Möglicherweise war auch der Einsturz des Schuldachs auf den
       Einsatz dieser Waffen zurückzuführen.
       
       ## Gericht: Aufklärung mangelhaft
       
       Auch die Aufklärung der tragischen Ereignisse hielten die Straßburger
       Richter für mangelhaft. Bei einem Drittel der Opfer konnte nicht geklärt
       werden, wie und von wem sie getötet wurden.
       
       Bis heute gebe es auch keine gesetzlichen Regeln, die den Einsatz von
       Gewalt sinnvoll begrenzen. Stattdessen könne die Zusicherung von
       Straflosigkeit bei Anti-Terror-Maßnahmen dazu führen, dass aus dem Desaster
       von Beslan nicht ausreichend gelernt wird.
       
       Russland kritisierte das Urteil umgehend. Die Schlussfolgerungen des
       Gerichts seien inakzeptabel. Russland kann jetzt gegen den Richterspruch
       noch Rechtsmittel zur 17-köpfigen großen Kammer des Gerichtshofs für
       Menschenrechte einlegen.
       
       Az.: 26562/07 u.a.
       
       13 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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