# taz.de -- Menschenrechtlerin über Terror-Opfer in Beslan: Behandelt wie Ausgestoßene
       
       > Fast alle Kinder, die Geiseln beim Terroranschlag von Beslan waren, sind
       > heute krank. Die Regierung hat kein Interesse, den Menschen zu helfen,
       > sagt die Menschenrechtlerin Ella Lessajewa.
       
 (IMG) Bild: Auch nach fünf Jahren ist die Trauer in Beslan nicht verarbeitet.
       
       taz: Frau Kessajewa, Sie haben 2004 um ihre 13-jährige Zarina gezittert,
       die eine der Geiseln war. Wie leben Sie heute? 
       
       Ella Kessajewa: Diese Erinnerungen prägen mein Leben. Ich hoffe aber, dass
       unsere Arbeit Früchte trägt. Gerade wir Opfer müssen unsere Passivität
       ablegen, für unsere Rechte kämpfen. Die Passivität der Gesellschaft ist
       eine Ursache des Terrors.
       
       Wie geht es den Kindern? 
       
       Viele weinen, leiden an Depressionen. Wir müssen dafür kämpfen, dass sich
       Derartiges nicht wiederholt und die Machthabenden begreifen, dass man auf
       Geiseln nicht schießen darf.
       
       Und wie geht es Zarina? 
       
       Meine Tochter ist heute 17 Jahre alt und wie fast alle ehemaligen Geiseln
       krank. Sie besucht die Schule, in den Ferien lässt sie sich medizinisch
       behandeln.
       
       Wie ist die Betreuung? 
       
       Es gibt bei uns kostenlose medizinische Behandlung, doch auf niedrigem
       Niveau. Nur durch Spenden habe ich Zarina helfen können. Eine Niere hat
       sich um vier Zentimeter verkleinert. Ihr Sehvermögen ist eingeschränkt,
       eine Folge der Explosionen.
       
       Sie haben "Die Stimme Beslans" mitgegründet. Mit welchem Ziel? 
       
       Wir kämpfen, dass eine neue Untersuchung eingeleitet wird. Keiner der
       Mitarbeiter des Einsatzstabes wurde zur Verantwortung gezogen. Als man bei
       der Stürmung der Turnhalle mit Panzern und Granatwerfern feuerte, war sie
       voller Geiseln. Nur einem einzigen überlebenden Terroristen, Nurpascha
       Kulajew, wurde der Prozess gemacht. Zu viele Fragen blieben offen. Wir
       kritisieren, dass diejenigen, die den Beschuss zu verantworten haben, nicht
       vor Gericht standen.
       
       Wie reagiert die Regierung? 
       
       Der Staat geht uns aus dem Weg. Als Präsident Medwedjew im August in
       Südossetien war, wollte wir ihm einen Brief überreichen. Doch der
       Sicherheitsdienst hat das verhindert. Wir werden wie Ausgestoßene
       behandelt. Die Kinder sind heute fast alle krank. Doch in ihren
       Krankenakten heißt es, sie seien vorher krank gewesen. Das zeigt, dass man
       vor den Folgen die Augen verschließt.
       
       Was sind Ihre Forderungen? 
       
       Wir wollen, dass die Opfer von Beslan und die weiteren Opfer anderer
       Anschläge vom Staat Hilfe erhalten. Wir wollen, dass die Eltern der
       Getöteten eine Rente bekommen. Damit es auf diese Hilfe einen
       Rechtsanspruch gibt, fordern wir ein Gesetz zum Status von Opfern.
       
       Wie wollen Sie das erreichen? 
       
       Wir haben uns mit mehr als 60 Klagen an alle Instanzen gewandt. Das ist der
       Weg, um für unsere Rechte zu kämpfen.
       
       Wie sieht die Schule heute aus? 
       
       Wir wollten, dass die Schule als Ruine erhalten wird. Und wir waren
       erfolgreich. In Zusammenarbeit mit der deutschen Firma KnaufKassel soll sie
       nun konserviert werden.
       
       Hat sich das Verhältnis zwischen Osseten und Inguscheten verschlechtert?
       Viele der Terroristen sollen ja Inguscheten gewesen sein. 
       
       Während des Prozesses gegen Nurpascha Kulajew forderten viele die
       Todesstrafe. Wir lehnen sie ab. Rache ist ein falscher Weg. Wir denken,
       dass Nationalität oder Glauben von Terroristen nicht wichtig sind. Wenn
       dies so wäre, dann müsste man auch nach der Nationalität der
       Panzerbesatzungen fragen. Die Tragödie muss uns alle vereinen, unabhängig
       von Glauben und Nationalität.
       
       Wie reagiert der Staat auf Ihre Kritik? 
       
       Heute wird viel von der Bedrohung durch Terrorismus gesprochen. Doch daraus
       wurden keine Lehren gezogen. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass es auch
       anderswo Anschläge gebe, die sich auch nicht verhindern ließen. Dies zeigt,
       dass man nicht nach den Wurzeln sucht. Hierin zeigt sich eine
       Verantwortungslosigkeit. Ein Menschenleben bedeutet in Russland nicht viel.
       
       Sie haben einmal gesagt, Terror und Staatsterror würden sich gegenseitig
       bedingen? 
       
       Zuerst haben die Terroristen Geiseln genommen. Das war Terror. Doch der
       Beschuss durch Streitkräfte war Staatsterrorismus. Wer auf ein Gebäude mit
       Kindern schießt, begeht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das muss
       man untersuchen. Doch niemand tut das, Richter und Staatsanwälte sind
       selbst Teil der Macht. Sofort nach der Katastrophe haben wir uns als Zeugen
       zur Verfügung gestellt. Und wir waren geschockt, als man uns der Lüge
       bezichtigte. Da begann unser Konflikt mit den staatlichen Machtstrukturen.
       
       Vor kurzem wurde in Tschetschenien die Menschenrechtlerin Natalja
       Estemirowa ermordet. Haben Sie sie gekannt? 
       
       Ja, wir haben uns mit ihr oft getroffen. Wir arbeiten auch mit anderen
       Menschenrechtlern aus Dagestan, Tschetschenien, und Inguschetien zusammen.
       Der Mord war für mich ein Schlag.
       
       Was erwarten Sie von den NGOs im Westen? 
       
       Wir würden uns freuen, wenn uns die westlichen Zivilgesellschaften mehr
       einbeziehen würden. Niemand kann über die Lage im Nordkaukasus besser
       berichten als wir. Gleichzeitig haben westliche NGOs Erfahrungen, die wir
       nicht haben. Wir würden uns freuen, wenn wir davon lernen könnten. Und ein
       Letztes: Vergesst unsere Kinder nicht. Sie brauchen medizinische und
       psychologische Hilfe.
       
       2 Sep 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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