# taz.de -- Nach Angriff von Stockholm: Offene Türen
       
       > Nach dem mutmaßlichen Terrorattentat in Stockholm ist ein Verdächtiger in
       > Haft. Die Polizeiarbeit und große Hilfsbereitschaft werden gelobt.
       
 (IMG) Bild: Zeichen der Anteilnahme mit den Opfern
       
       Es war der letzte Auftrag vor dem Wochenende an diesem sonnigen
       Freitagnachmittag. Der Fahrer des Lieferautos der Brauerei Spendrups hatte
       kurz nach 14.30 Uhr seinen LKW in der Nähe des Restaurants Caliente, eine
       Querstrasse von der Drottninggatan in der Stockholmer Innenstadt entfernt,
       geparkt. Er sollte hier noch Getränke ausliefern. Auf dem Weg zur Rückseite
       des Fahrzeugs wo er die Ladebrücke herunterlassen wollte, hörte er
       plötzlich, wie hinter ihm die Fahrertür geöffnet wurde, sah im Umdrehen
       eine Person, die einstieg und sofort den Motor startete.
       
       Der Fahrer lief nach vorn, versuchte ein Wegfahren zu verhindern, wurde
       dabei von der Front des anfahrenden Fahrzeugs gestreift und rannte noch ein
       Stück laut rufend hinter dem LKW her. Konnte dann aber nur noch hilflos
       zusehen, wie dieser mit hoher Geschwindigkeit und quietschenden Reifen um
       die nächste Ecke fuhr.
       
       Nur eine Minute später bog der gekaperte 15-Tonner in die Fussgängerzone
       der Drottninggatan ein, fuhr dann mit wachsender Geschwindigkeit einige
       Hundert Meter weit durch die Menge der PassantInnen in dieser engen
       Einkaufsstrasse, bevor er unmittelbar neben einem Würstchenstand in den
       Eingang des Warenhauses „Åhléns“ krachte, dort zum Stehen kam und Feuer
       fing.
       
       Vier Menschen kamen ums Leben, von 15 Verletzten konnten bis Samstagmorgen
       sechs die Krankenhäuser verlassen. Unter den neun, die dort noch behandelt
       und deren Verletzungen als „ernst“ bezeichnet wurden, befand sich ein Kind.
       
       ## Dringender Tatverdacht
       
       Wenn es kein spontaner Entschluss zu dieser Tat war, dann schien der Täter
       jedenfalls keine Sekunde gezögert zu haben, sie zu verwirklichen. „Unsere
       Arbeitshypothese heisst Terrortat“, erklärte Stefan Hector, kommandierender
       Chef von „NOA“, der operativen nationalen Einheit der schwedischen Polizei
       am Freitagabend um 21 Uhr vor der Presse. Da war eine Stunde zuvor schon im
       nördlichen Stockholmer Vorort Märsta der Mann festgenommen worden, dessen
       Foto die Polizei am Spätnachmittag öffentlich gemacht hatte. Zunächst hiess
       es nur, dass dieser „Verbindungen zu dem Fall“ haben könnte.
       
       Am Samstagmorgen um 6 Uhr teilte die Staatsanwaltschaft dann mit, dass er
       unter „dringendem Tatverdacht des Mordes durch eine Terrorhandlung“ in
       Untersuchungshaft genommen worden sei. Zu weiteren Polizeieinsätzen, die es
       in der Nacht zum Samstag gegeben hatte und einem von Medien gemeldeten Fund
       einer Tasche mit „Explosivstoffen“ im fraglichen LKW, wollte sich die
       Polizei am Samstagvormittag nicht äussern.
       
       ## Verbindung zu ähnlichen Taten
       
       Bezüglich des festgenommenen Tatverdächtigen wurde zunächst nur bekannt,
       dass er aus Usbekistan stammen soll. Laut amtlicherseits nicht bestätigten
       Medieninformationen soll er 39 Jahre alt und Vater von vier Kindern sein.
       Er arbeite in der Baubranche und sei schon länger in Schweden wohnhaft. Auf
       seiner Facebook-Seite soll er Sympathien für den IS geäussert haben.
       
       Was in Stockholm geschah, entspreche nahezu „lehrbuchmässig dem, was
       al-Qaida und IS empfehlen“ kommentierte Hans Brun, Terrorforscher an der
       schwedischen Verteidigungshochschule. Sein Kollege Magnus Ranstorp sprach
       von der „hohen Vermutung“ einer Verbindung zum IS: „Aber das wissen wir
       erst, wenn wir die Person des Täters kennen.“ Man habe es offenbar mit
       einer Tat ähnlich wie in Nizza, Berlin und London zu tun, erklärte auf
       einer Pressekonferenz auch Anders Thornberg, Chef des schwedischen
       Verfassungsschutzes SÄPO: Ein Lastwagen, der als Waffe benutzt wird, „eine
       Tat, vor der wir mehrfach gewarnt haben“, aber auch eine Tat, „die
       unheimlich schwer zu verhindern ist“.
       
       Im Gegensatz zum letzten Terroranschlag in Stockholm, bei dem sich am 11.
       Dezember 2010 der im Irak geborene schwedische Bürger Taimour Abdulwahab in
       einer Seitenstrasse der Drottninggatan in die Luft gesprengt hatte und
       danach stundenlang Chaos in der City herrschte, hatten die
       Sicherheitskräfte die Lage diesmal deutlich besser im Griff. Erste
       Kommentare bezeichneten den Polizeieinsatz als „lehrbuchmässig“.
       Polizeikräfte waren binnen kurzer Zeit zur Stelle, handelten offenbar gut
       vorbereitet und planmässig und konnten in der Bevölkerung so schnell ein
       Gefühl von Sicherheit verbreiten. Laut Polizeiquellen hatte es erst eine
       Woche zuvor eine Stabsübung gegeben, der ein ganz ähnliches Szenario
       zugrunde gelegen hatte.
       
       ## Flaggen auf Halbmast
       
       Vorbildlich reagierten aber auch die StockholmerInnen. Nachdem die Polizei
       kurz nach der Tat den gesamten U- und S-Bahn-Verkehr in der Hauptstadt
       gestoppt und den Hauptbahnhof abgeriegelt hatte, sassen Zehntausende, die
       in der Innenstadt gearbeitet oder sich dort aufgehalten hatten, fest und
       konnten sich allenfalls zu Fuss auf den Nachhauseweg machen. Unter
       #openstockholm gab es umgehend eine grosse Welle von Hilfsbereitschaft.
       Kirchen und Büros wurden geöffnet, Privatleute posteten mit Adresse und
       Telefonnummern Angebote für Übernachtungsmöglichkeiten und Einladungen zu
       Kaffee und Pizza.
       
       „Stockholm beugt sich dem Terror nicht, schrieb der Schauspieler Mikael
       Persbrandt auf Instagram und in den sozialen Medien verbreitete sich bald
       der Slogan „We are Swedes, we are not afraid!“. Ministerpräsident Stefan
       Löfven griff dies auf, als er am Freitagabend kurz vor 22 Uhr vor die
       Presse trat, im Hinblick auf die Polizei, das Personal des Gesundheitswesen
       und die Stockholmer überhaupt äusserte, „Schweden ist stolz auf euch“ und
       gerichtet an Terrortäter erklärte: „mit solchen Taten werdet ihr in
       Schweden kein Glück haben. Ihr werdet nicht gewinnen.“
       
       Am Samstag wehten in ganz Schweden die Flaggen auf halbmast. „Nicht ein
       Morgen wie jeder andere“, twitterte ein Zeitschriftenredakteur am
       Vormittag, „aber in Stockholm sind die Leute unterwegs und im
       Kungsträdgarden-Park blühen die Kirschbäume.“
       
       8 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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