# taz.de -- Film-Audiodeskriptionen für Blinde: Farben sind wichtig!
       
       > Sci-Fi, Thriller, Rom-Coms – sie gibt es oft mit akustischer
       > Beschreibung. Dass die Audiodeskription eine eigene Kunstform ist,
       > beachten nur wenige.
       
 (IMG) Bild: Viele blinde Menschen erinnern sich an Farben, und wollen sie auch im Film erfahren
       
       Im Gymnasium liest sie durch dicke Lupen. Auf ihrem Rad fährt sie über
       schmale Landstraßen, denn ohne im Weg herumstehende Busse und Straßenbahnen
       geht das gut. Zehn Jahre ist sie alt, als ihr Vater 1969 den ersten
       Fernseher kauft. Auf dem Teppichboden sitzend, einen halben Meter vom
       Bildschirm entfernt, sieht Barbara Fickert die „Bezaubernde Jeannie“ ihre
       Arme verschränken. Der erste Kinobesuch ist dann ein Erlebnis, erinnert
       sich die heute 57-Jährige weiter und breitet die Arme aus: „Die Leinwand
       und der Kontrast durch den dunklen Kinosaal. Bud Spencer. Terence Hill. Das
       hat mich geprägt.“
       
       Seit ihrer frühen Kindheit hat Barbara Fickert eine Sehkraft von sieben
       Prozent. Anfang der 90er werden ihre Augen langsam schlechter. Hell und
       dunkel erkennt sie noch, das Gesichtsfeld wird kleiner, ihre Lupengläser
       helfen nicht mehr. Und im Kino kann sie auf der Leinwand immer weniger
       erkennen. „Seither hat sich aber viel getan“, erklärt sie und meint damit
       auch Audiodeskriptionen – akustische Kommentare für TV- und Kinofilme, die
       in Dialogpausen das Geschehen beschreiben. 1993 läuft erstmals eine
       Audiodeskription im ZDF. 2013 hört Barbara Fickert ihren ersten Kinofilm
       „Imagine“ über die App GRETA. Mit ihr lassen sich viele Bildbeschreibungen
       downloaden und ähnlich wie bei der Musik-App „Shazam“ automatisch mit dem
       Film synchronisieren. Den Kommentar kann man über Kopfhörer hören – er ist
       rein deskriptiv und enthält keine Filmsounds.
       
       Fickert geht wieder öfter ins Kino. Und schreibt darüber – mithilfe von
       Audio-Software verfasst sie auf ihrem Blog [1][blindgaengerin.com] die
       ersten, sehr persönlichen Hörfilm-Kritiken. „Sind die Bildbeschreibungen
       gut, werden sie einem als Zuschauer kaum bewusst, er kann entspannt der
       Handlung folgen“, erklärt die Film-Bloggerin und lächelt, ihr blauen Augen
       leuchten, die Sonne scheint über einen kleinen See hinter ihrem Haus in
       Berlin-Spandau: „Die Personen sollten zum Beispiel in der ersten halben
       Stunde eingeführt werden – also ihr Aussehen, ihre Mimik und Körpersprache.
       Die Sprecher dürfen nicht zu emotional beschreiben, aber auch nicht wie
       Roboter klingen. Unverschachtelte Sätze sind wichtig.“
       
       Ganz ähnlich lauten die Standards, die die Landesrundfunkanstalten der ARD
       und das ZDF im Jahr 2015 gemeinsam mit „Deutsche Hörfilm gGmbH“, „Hörfilm
       e. V.“ und „Audioskript“ festlegen – denn immer mehr Sendungen der
       Öffentlich-Rechtlichen werden mit Audiodeskriptionen angeboten. Die
       zusätzliche Tonspur kann dabei über die Audiooptionen des Fernsehers oder
       des Mediatheken-Streams eingeschaltet werden. Jede Rundfunkanstalt
       organisiert die Erstellung der Audiodeskriptionen anders: Oft wird mit
       externen Dienstleistern gearbeitet, beim Bayerischen Rundfunk gibt es
       wiederum eine fest angestellte Redakteurin. Dabei ist „die Einbindung von
       blinden und sehbehinderten Autoren wünschenswert.“
       
       ## Oft nicht von Geburt an blind
       
       „Das wird auch in der UN-Behindertenrechtskonvention gefordert: Nichts über
       uns, ohne uns, denn sonst ist es gegen uns“, erklärt Roswitha Röding, die
       seit 1999 als Hörfilmbeschreiberin arbeitet. Im Osten von Berlin sitzt
       Röding an einem großen Küchentisch neben Anke Nicolai, deren Firma
       „Audioskript“ die Bildbeschreibungen für viele öffentlich-rechtliche
       Produktionen sowie Kinofilme erstellt. Ihre Übersetzung des Dramas
       „Familienfest“ gewann im März den Hörfilmpreis. Röding, seit ihrem siebten
       Lebensjahr blind, und Nicolai, sehend, bilden ein Autorinnenduo für
       Audiodeskriptionen.
       
       Jede eine Tasse Tee in der Hand, sitzen die beiden Frauen vor einem Laptop,
       auf dem zwei Fenster geöffnet sind – ein Filmstream und ein Manuskript.
       Röding und Nicolai befinden sich gerade mitten in der finalen Prüfung eines
       Skripts für den ZDF-Film „Zweibettzimmer“. Nicolai drückt auf „Play“, der
       Film zeigt eine Schauspielerin, die im Auto durch die Stadt düst und
       telefoniert. Immer wenn eine Dialogpause kommt, steht an dieser Stelle ein
       Timecode im Skript, und Nicolai beginnt zu lesen.
       
       „Eine Frau fährt durch Berlin. Anja Kling als Konstanze“ – Nicolais sanfte
       Stimme wechselt in einen seriösen Sprecherton. Immer wieder klinkt sich
       Röding ein, macht Ergänzungen oder stellt Fragen: „Wie telefoniert sie
       denn? Hat sie ein Handy in der Hand oder spricht sie über eine
       Freisprechanlage?“ Nicolai nickt und sagt: „Stimmt, da muss
       Freisprechanlage stehen.“ Im Vorfeld der Audiodeskription werden alle
       Details genau recherchiert: Augenfarben der Schauspieler, technische
       Begriffe in Dokumentationen, Rituale in historischen Filmen. Nicolai tippt
       und liest weiter – nun steht ein „s+“ im Manuskript, sie muss also
       schneller lesen, damit der Text in die nächste nur kurze Dialogpause passt.
       
       „Hier ist von einem Mädchen in einem Buggy die Rede, es ist aber schon
       bestimmt sechs oder sieben Jahre alt, ich schreibe besser,großes Mädchen'“,
       meint Nicolai zu Röding. Ein gutes Gefühl für Sprache, Timing und das, was
       Blinde nicht sehen, aber hören können, sind auch für sehende Autoren
       wichtig. Als Tochter eines blinden Vaters ist Anke Nicolai seit ihrer
       Kindheit geübt darin, alles in Worte zu fassen. „Was viele gar nicht
       wissen“, erklärt Röding, „die meisten Blinden sind nicht von Geburt an
       blind, sondern erblinden später. Ich zum Beispiel erinnere mich an Farben,
       und wenn da ein Blumenstrauß im Bild zu sehen ist, dann will ich nicht nur
       diesen Fakt, sondern auch erzählen, ob das rote Tulpen sind.“
       
       ## Horrorfilme sind schwierig
       
       Ein Beispiel für Fehler bei Audiodeskriptionen? „Wenn jemand schreibt,Die
       Frau hat eine schönes Gesicht.' Was ist denn,schön'? Das sind doch
       Idealvorstellungen“, erklärt Röding. Auch andere Begriffe wie „Close-up“
       oder „Split-Screen“ seien reine Sehenden-Begriffe, die für blinde Menschen
       kaum Bedeutung hätten. Sie werden durch präzise Beschreibungen ersetzt.
       Wechselt der Film etwa die Zeitebene, ist nicht von einem „Flashback“ in
       den Audiodeskriptionen die Rede, sondern es wird zum Beispiel die Vokuhila
       einer Figur in Worte gefasst – so erkennt der blinde oder seheingeschränkte
       Zuschauer auch indirekt, dass es sich um die 80er Jahre handelt.
       
       Und manchmal, da braucht es gar keine Wörter, dann genügt es zu lauschen.
       Eine Stimme ertönt in der Ferne, von links hupt ein Auto, Reifen
       quietschen, Vögel zwitschern, hier ergibt sich über verschiedene
       Lautstärken und Verortungen der Töne ein Klangbild. Das gilt zum Beispiel
       für Actionfilme wie George Millers „Mad Max: Fury Road“ – der mit seinen
       Verfolgungsjagden so rasant geschnitten ist, dass die Audiodeskription mit
       den Erklärungen kaum hinterherkommt.
       
       Auch der Horrorfilm ist kein leicht zu beschreibendes Filmgenre – arbeitet
       er doch mit dem, was der Zuschauer nicht sieht. Und wenn jemand in „Scream“
       um die Ecke springt, lässt sich das nicht immer spannend mit „Jemand
       springt um die Ecke“ in Worte fassen. Sci-Fi-Filme zeichnen wiederum vor
       allem futuristische Welten, für die teils das geeignete Vokabular fehlt.
       „Auch deshalb habe ich die,Vereinigung der Deutschen Hörfilmbeschreiber'
       gegründet“, erklärt Autorin Nicolai. „Wir treffen uns zweimal um Jahr, um
       Neues auszuprobieren. Etwa zu derselben Szene unterschiedliche
       Audiodeskriptionen zu texten.“
       
       „Damit sich diese Kunstform weiterentwickeln kann, braucht sie mehr
       Öffentlichkeit“, findet auch Filmbloggerin Barbara Fickert auf ihrer
       Terrasse sitzend. „Auch in anderen Filmkritiken.“ Außerdem: Seit 2013
       dürfen die deutschen Filmförderanstalten zwar nur noch Filme mit
       Audiodeskription fördern, aber unter den zehn erfolgreichsten Filmen, die
       2016 in Deutschland liefen, ist mit „Willkommen bei den Hartmanns“ gerade
       mal eine deutsche Produktion. Die Leute schauen und reden über Filme wie
       „Fantastische Tierwesen“ oder „The Revenant“. Internationale Filme werden
       immer noch selten mit deutschen Audiobeschreibungen veröffentlicht – mit
       Ausnahme von Produktionen des Verleihs Universal Pictures (19
       Audiodeskriptionen in 2016) und Disney (5 in 2016).
       
       „Auf meinem Blog und auch außerhalb des Blogs spreche ich gerade die
       Politik und die Filmbranche an, damit blinde Menschen nicht aus diesen ganz
       alltäglichen Gesprächen über Filme ausgeschlossen werden“, erklärt Barbara
       Fickert und schaut entschlossen. Dann lehnt sie sich im Gartenstuhl zurück,
       klemmt eine hellbraune Haarsträhne hinter das linke Ohr und erklärt, warum
       sie die Monster in Zhang Yimous „The Great Wall“ so toll fand. Die
       Beschreibungen der großen Kopffühler, mit denen die Wesen kommunizieren –
       großartig. Dann streckt sie wieder die Arme aus.
       
       1 May 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.blindgaengerin.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christine Stöckel
       
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