# taz.de -- Soulsängerin Joy Denalane: Zu Hause auf der ewigen Baustelle
       
       > Mit ihrem neuen Album erinnert sich Joy Denalane auch an ihre Kindheit.
       > „Gleisdreieck“ heißt es – in der Nähe der Haltestelle ist sie
       > aufgewachsen.
       
 (IMG) Bild: Eine Berliner Pflanze ist Sängerin Joy Denalane – aufgewachsen am Gleisdreieck
       
       Joy Denalane ist auf dem Weg zu einer Session. Schläfrig sitzt sie in der
       U1. Starrt aus dem Fenster. Ihr Blick fällt auf den Namen der Haltestelle:
       Gleisdreieck.
       
       Wenn sie müde ist, sei sie besonders zugänglich für bestimmte Dinge, sagt
       sie. In ihrem Kopf wiederholt sie immer wieder das Wort: Gleisdreieck. Ihr
       gefällt der Klang, aber auch die Bildsprache des Wortes: „Gleisdreieck, das
       funktioniert als Metapher für das Leben an sich. Ein Bahnhof, an dem man
       umsteigt, ein Ort der Begegnung, des Abschieds, der Möglichkeiten, der
       Entscheidung. Dass es immer in verschiedene Richtungen gehen kann, man aber
       im Zweifelsfall zurückkehrt an den Knotenpunkt“, sagt die Musikerin, deren
       Name untrennbar mit deutschen Soul und R’n’B verbunden ist. Ihr neues Album
       heißt nun schlicht. „Gleisdreieck“.
       
       Ein Knotenpunkt. Betrachtet man an diesem Tag die vielen Menschen, die im
       Park am Gleisdreieck herumlaufen, stimmt das. Jogger schlängeln sich an
       Spaziergängern vorbei, Pärchen liegen knutschend in der Sonne, Skater
       lassen ihre Bretter durch die Luft tanzen. Noch vor vier Jahren gab der Ort
       ein ganz anderes Bild ab. Die jetzt so einladenden Grünflächen, die
       Schöneberg und Kreuzberg miteinander verbinden, lagen brach.
       
       „Heute vergnügen die Menschen sich hier vielfältig. Das hatten wir früher
       nicht“, sagt Joy Denalane. Für die Sängerin ist das Gleisdreieck nicht
       irgendein Ort. Nicht nur ein Wort, das ihr auf der Suche nach einem
       Albumtitel in der U-Bahn durch den Kopf geistert. Am Gleisdreieck ist sie
       aufgewachsen. „Hinter unserem Haus verlief die Mauer. Das war unsere
       Ballwand“, sagt Denalane.
       
       ## Neugierige Berliner Pflanze
       
       Als drittes von sechs Kindern kommt sie am 11. Juni 1973 in Schöneberg zur
       Welt. Die ersten Jahre lebt sie mit ihrer Familie in einem Altbau, vierter
       Stock, Kurfürstenstraße – direkt am heutigen Gleisdreieck-Park. Als
       Denalane sechs ist, zieht die Familie ein paar Straßen weiter zum
       Hafenplatz nahe dem Anhalter Bahnhof. Eigentlich kein schöner Ort – und
       doch: „Ich hab es als total toll empfunden. Ich hab nie gedacht: ‚Oh Gott,
       wir leben inmitten von Ruinen‘“, sagt sie.
       
       Der Ort ihrer Kindheit fließt nun in ihre Musik ein, auf dem
       „Gleisdreieck“-Album. Eine „Berliner Pflanze“ zu sein, das bedeutete für
       Denalane „zwischen Schutt und Schienen, Schotter und Ruinen. Im Schatten
       der Mauer“ zu wachsen, beschreibt sie im Outro des Werks.
       
       Als Kind sei sie vor allem viel draußen gewesen, durch die Straßen, die
       brachliegenden Flächen gestreunt. Viele Kinder mit verschiedenen sozialen
       Hintergründen kamen dabei zusammen, erzählt sie, während wir durch den Park
       am Gleisdreieck schlendern. „Ein früher pluralistischer Moment“, wie sie
       sagt. Den positiven Blick, mit dem sie durch die Welt gehe, sieht sie in
       der Kindheit am Gleisdreieck begründet. Sie hätte dadurch eine „gewisse
       Lockerheit und Entspanntheit und vor allem Neugierde – auf Menschen, auf
       Neues“ gelernt.
       
       Und auf Musik. Besonders die riesige Plattensammlung ihres Vaters habe es
       ihr als Kind angetan. Stundenlang sucht sie sich in der heimischen Wohnung
       die interessantesten Cover raus, hört auf gut Glück Soul und HipHop, singt
       dazu mit. Ihr Vater, ein gebürtiger Südafrikaner, kommt zum Studieren nach
       Deutschland, lernt ihre Mutter in Heidelberg kennen und zieht mit ihr Mitte
       der 60er Jahre nach Berlin.
       
       ## Inspiration Freundeskreis
       
       Später, bei ihrem 2002 erscheinenden Debütalbum „Mamani“, wird Denalanes
       südafrikanischer Background einfließen: Sie singt darauf auch in der
       südafrikanischen Sprache isiXhosa. In ihrer Jugend orientiert sie sich dann
       viel an ihren zwei größeren Brüdern, auch musikalisch, und hat früh den
       Wunsch auszuziehen. Mit 16 lebt sie in einer WG. Mit 19, noch vor dem
       Abitur, nimmt sie an einem Vorsingen teil: der erste Schritt auf dem Weg
       ins professionelle Musikgeschäft.
       
       Fast ihr ganzes Leben verbringt Denalane in Berlin. Nur drei Jahre lang,
       von 1999 bis 2001, wohnt sie in Stuttgart. In dieser Zeit schafft sie
       musikalisch den Durchbruch. Mit ihrem späteren Mann, dem Rapper und
       Produzenten Max Herre, und seiner HipHop-Band Freundeskreis produziert sie
       den erfolgreichen Song [1][„Mit dir“]. Die spätere Zusammenarbeit mit der
       Plattenfirma Four Music, dem Label der Band Die Fantastischen Vier, und mit
       Herre beschreibt sie als die „zwei Säulen in ihrem musikalischen
       Werdegang“.
       
       Jetzt also „Gleisdreieck“, nach sechs Jahren kehrt Denalane mit dem vierten
       Album auf die Bühnen in Deutschland zurück. An diesem sonnigen Tag posiert
       sie in der Flottwellstraße, nahe dem Gleisdreieck-Park, wirft ihre
       voluminösen braunen Locken von einer Seite zur anderen, lacht immer wieder.
       Besonders erheitert sie, dass ausgerechnet in diesem Moment ihr Nachbar
       beim Gleisdreieck vorbeikommt – Berlin sei eben doch nur ein Dorf.
       
       ## Ausgrenzung trotz Pioniergeist
       
       Inzwischen ist Denalane 43 Jahre alt, Mutter von zwei Söhnen, lebt in
       Charlottenburg. Ihre Heimatstadt bleibt für sie ein Sehnsuchtsort: „Berlin
       ist einfach die Stadt des Wandels. Ewige Baustelle, die Stadt der Pioniere,
       in der Träume wahr werden können.“
       
       Für Denalane ist klar: „Die Energie dieser Stadt basiert darauf, dass
       Menschen von überall herkommen und das, was sie können und wissen, mit in
       die Stadt einfließen lassen, sie kulturell reicher machen.“ Umso mehr stört
       sie es, dass sie sich trotzdem noch häufig mit Vorurteilen konfrontiert
       sieht: „Es ist mir schon passiert, dass ich auf Englisch angesprochen
       wurde, dann auf Deutsch geantwortet habe, und die zweite Frage war erneut
       auf Englisch. Ich weiß dann nicht, wie ich das bewerten soll. Es ist eine
       Ignoranz, die auf der Vorstellung basiert, dass Deutschland ein weißes Land
       und keine multiethnische Gesellschaft ist.“
       
       Auf „Gleisdreieck“ schlägt sie deshalb auch nachdenklichere Töne in Bezug
       auf ihr „Zuhause“ an: Der [2][gleichnamige Song] ist als Zwiegespräch mit
       ihrer früh verstorbenen Mutter konzipiert. Das Stück schrieb Denalane nach
       einer Begegnung mit zwei Frauen, die über Geflüchtete geschimpft hätten.
       „Dabei haben sie mir provokant in die Augen geschaut, weil ich auch so
       aussehe, wie ‚so eine‘. Und ich hab mich gefragt: Wo gehöre ich eigentlich
       hin? Und wieso muss ich mir diese Frage immer wieder stellen?“
       
       Musikalisch beantwortet Denalane die Frage nach dem „Wo gehöre ich hin?“
       mit „Gleisdreieck“ erneut mit gefühlvollem, aber gerade textlich eher
       unspektakulärem deutschem Soul und R’n’B.
       
       Eher unnötig dabei die Autotune-Spielereien auf dem Album, die Denalanes
       stimmliche Kraft stören, mit der sie Begeisterung transportiert. Wie sehr
       Berlin in ihre Musik einfließe? „Ich“, sagt die Sängerin bestimmt, „fließe
       in meine Musik ein, nicht die Stadt.“ Trotzdem sei sie natürlich aus
       Berlin, daher fließe die Stadt immer ein wenig mit ein. Den Weggabelungen
       des Gleisdreiecks hat sie jetzt ein ganzes Album gewidmet.
       
       24 Apr 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=HoeQCQKK_lU
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=78olT6rYOsM
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Linda Gerner
       
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