# taz.de -- Die Grünen in der Krise: Mehr Mitglieder, weniger Pepp
       
       > Die Ausgangslage ist günstig für einen grünen Wahlsieg, doch die Partei
       > profitiert nicht von der Polarisierung der WählerInnen. Woran liegt das?
       
 (IMG) Bild: Martin Schulz müsste man sein, denken sich die Grünen
       
       Berlin taz | Im Kölner Karneval machte Katrin Göring-Eckardt gute Miene zum
       bösen Spiel – verkleidet als Martin Schulz. Auch jenseits des rheinischen
       Frohsinns gibt sich die grüne Bundestagsfraktionsvorsitzende in diesen
       Tagen betont gelassen. „Sie sehen mich sehr gut gelaunt“, ist dann so ein
       Satz, den sie zum Besten gibt. Es bestehen berechtigte Zweifel, dass er der
       Wahrheit entspricht.
       
       Die Grünen haben derzeit allen Grund, keine gute Laune zu haben.
       SPD-Kanzlerkandidat Schulz hat sie auf dem völlig falschen Fuß erwischt.
       Vor seiner Inthronisierung erhofften sie sich noch ein „deutlich“
       zweistelliges Ergebnis bei der kommenden Bundestagswahl.
       
       Als sie Mitte Januar ihr Spitzenduo Göring-Eckardt und Cem Özdemir
       präsentierten, kamen sie bei den Meinungsforschungsinstituten auf bis zu 10
       Prozent. Mittlerweile dümpeln sie zwischen 6,5 und 8 – so wenig wie seit
       vielen Jahren nicht mehr. Es ist offenkundig: Die grüne Partei hat ein
       Problem.
       
       ## Kurioses Problem
       
       Es ist schon kurios: Eigentlich sind die Ausgangsvoraussetzungen geradezu
       prädestiniert für einen grünen Wahlerfolg. Schließlich bedroht der
       europaweite Aufschwung des Rechtspopulismus und -extremismus ebenso wie
       die Präsidentschaft des rassistischen Nationalisten und Klimaleugners
       Donald Trump in den USA massiv die weltoffenen, liberalen, ökologischen und
       auch sozialen Grundwerte der grünen WählerInnenklientel.
       
       Dem gegenüber steht eine ermattete Große Koalition, die auf die rechte
       Gefahr inzwischen mit einer anpasslerischen Abschottungs- und
       Abschiebungspolitik sowie dem Abbau von BürgerInnenrechten reagiert, die
       ebenso die ökologische wie die soziale Frage sträflich Kapitalinteressen
       unterordnet und mit ihrer brachialen Austeritätspolitik die EU in eine
       tiefe Krise gestürzt hat.
       
       Wann, wenn nicht jetzt, ließe es sich da begründen, dass eine Partei
       möglichst stark im Bundestag vertreten sein sollte, die für sich in
       Anspruch nimmt, konsequent für Grund- und Freiheitsrechte, für die
       europäische Idee, für Geschlechtergerechtigkeit, für eine soziale
       Gesellschaft und selbstverständlich für Ökologie einzutreten – also das
       exakte Gegenprogramm zu Trump, Le Pen, Strache, Wilders, Petry & Co? Aus
       gutem Grund ist keine Partei unter den AfD-AnhängerInnen so verhasst wie
       die „linksversifften Gutmenschen“ von den Grünen.
       
       Tatsächlich haben die in den vergangenen Monaten einen satten
       Mitgliederzuwachs zu verzeichnen. Mit inzwischen knapp 61.600 Mitgliedern
       sind sie so groß wie noch nie in ihrer Geschichte. Doch bei den WählerInnen
       scheinen sie von der Polarisierung nicht zu profitieren. Liegt das nur an
       Schulz?
       
       ## Gefahr, zerrieben zu werden
       
       Es sei „gut für die Demokratie“, wenn neben der Kanzlerschaft Angela
       Merkels auch eine Kanzlerschaft von Martin Schulz möglich sei, übt sich der
       grüne Parteivorsitzende Cem Özdemir in Gelassenheit. Das mache „den
       Wahlkampf wieder spannend“. Auch wenn es Özdemir nicht zugeben mag: Für das
       grüne Spitzenpersonal ist das ein Problem. Denn der „anatolische Schwabe“
       und die „bürgerliche Ostdeutsche“ drohen zwischen der Union und der SPD
       zerrieben zu werden.
       
       Der von ihnen propagierte Kurs der „Eigenständigkeit“, der während der
       langen Schwächeperiode der SPD durchaus Sinn gemacht hat, könnte gegen sie
       schlagen. Denn beide gelten als Verkörperung jener schwarz-grünen Vision,
       von der im Realo-Lager schon lange geträumt wird. Wenn es Schulz gelingt,
       seine Ambitionen auf das Kanzleramt glaubhaft aufrechtzuerhalten, laufen
       die Grünen Gefahr, dass sich rot-grüne WechselwählerInnen für die SPD
       entscheiden.
       
       Deswegen betonen Özdemir und Göring-Eckardt inzwischen, dass ihnen eine
       rot-grüne Regierung die liebste wäre. Das erinnert an die Wahlkämpfe der
       SPD-Spitzenkandidaten Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, die auch
       von Rot-Grün geredet haben, um nicht über Rot-Rot-Grün sprechen zu müssen.
       Bei beiden blieb letztlich nur die Botschaft, dass sie eigentlich doch eine
       Koalition mit der Union anstreben.
       
       ## Inhaltlich nachjustieren
       
       Özdemirs und Göring-Eckardts bisheriges Konzept, sich alle Optionen offen
       zu lassen und bloß nicht allzu sehr anzuecken, um auch bloß keine
       WählerInnen zu verschrecken, könnte sich in sein Gegenteil verkehren.
       Offene Kritik an ihnen wird aber selbst vom linken Flügel bisher nicht
       geübt – immerhin wurden die beiden in einer Urwahl von der Parteibasis
       gewählt. Außerdem schweißt Not zusammen.
       
       So sind es eher die Zwischentöne, die aufhorchen lassen. „Die Zeichen in
       Deutschland stehen auf Wechsel“, sagt Sven Lehmann, der
       nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Grünen. Die Grünen würden für
       einen „Politikwechsel“ eintreten. „Sollte die Chance bestehen, Horst
       Seehofer und seine CSU aus der Regierung abzuwählen, werden wir Grüne diese
       Chance ergreifen“, versichert Lehmann, der auch für den Bundestag
       kandidiert. „Darauf können sich die Wählerinnen und Wähler verlassen.“ Eine
       klare Ansage.
       
       [1][Allerdings werden die Grünen auch inhaltlich ihre Wahlstrategie
       nachjustieren müssen]. So kritisiert der grüne Bundestagsabgeordnete Volker
       Beck, „zu viel auf Nichtanecken und Gefälligkeit gesetzt“ zu haben. „Damit
       wollte man neue Wählerschichten erschließen und hat den Kern frustriert,
       das rächt sich jetzt.“ Als bürgerrechtliches Korrektiv müssten die Grünen
       Mut zur Auseinandersetzung haben, beispielsweise „wenn es um Racial
       Profiling, Gefährderhaft oder sichere Herkunftsstaaten geht“.
       
       2 Mar 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pascal Beucker
       
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