# taz.de -- Afrikas größtes Filmfestival: Geschichten über Unsichtbare
       
       > In Burkina Faso läuft noch bis Samstag das Fespaco. Nie zuvor standen in
       > der 48-jährigen Geschichte Frauen so sehr im Mittelpunkt wie heute.
       
 (IMG) Bild: Kino in Burkina Faso: Impression vom Fespaco 2013
       
       Ouagadougou taz | Sie werden fast wie Popstars gefeiert, und nach der
       90-minütigen Vorführung applaudiert das Publikum im vollbesetzten Saal des
       Ciné Burkina laut und lange. Als die vier Hauptdarstellerinnen des Films
       „Frontières“ gemeinsam mit der Macherin Apolline Traoré endlich nach
       draußen gelangen, bildet sich eine große Journalistentraube um sie. Die
       fünf Frauen müssen viele Hände schütteln und versuchen auf die Schnelle zu
       erklären, warum „Frontières“ so gut beim Publikum ankommt.
       
       Damit hat zum ersten Mal der Streifen einer Filmemacherin das Fespaco, die
       bedeutendste Zusammenkunft für die Branche innerhalb Afrikas, eröffnet.
       Auch wenn es nie offizielles Motto des 25. Fespacos war, ist es ein
       weibliches Filmfestival. Gleich, auf welches Plakat man schaut, mit welcher
       KritikerIn oder mit welchen ZuschauerInnen man spricht: Eine Woche lang
       stehen in Ouagadougou Frauen im Mittelpunkt, meist allerdings mit ihren
       Sorgen, Ängsten und Nöten.
       
       Burkina Fasos Premierminister Paul Kaba Thieba will es nach der Vorstellung
       von „Frontières“ lieber positiv ausdrücken. Er zeige „die Kraft der
       afrikanischen Frauen“, sagt er und lobt: „Ich war sehr beeindruckt von der
       Qualität. Das hatte ich nicht erwartet.“ Das klingt nett, kann aber auch
       heißen, dass er der Macherin sowie den Darstellerinnen so viel gute Arbeit
       nicht zugetraut hat.
       
       Unwana Udobang steht einige Meter entfernt, strahlt über das ganze Gesicht
       und gibt ein Interview nach dem anderen. Sie ist die einzige Nigerianerin
       und englischsprachige Hauptdarstellerin von „Frontières“, das ein
       westafrikanisches Roadmovie ist. Vier Frauen reisen aus unterschiedlichen
       Gründen vom Senegal bis in die Millionenmetropole Lagos, erleben massive
       Gewalt, Korruption an den Grenzen, obwohl der Grenzübertritt innerhalb der
       Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas eigentlich geregelt und
       kostenfrei ist, letztendlich aber auch Zusammenhalt und Gemeinschaft.
       
       ## Einschüchterungen und Schikanen
       
       Für die Schauspielerin, die in Lagos hauptsächlich als Journalistin
       arbeitet und Gedichte verfasst, war es eine neue Erfahrung: „Ich bin ja nie
       auf der Straße durch Westafrika gereist“, sagt sie. „Ich hätte nicht
       gedacht, dass es zu so vielen Schikanen kommt.“ Drohungen zum Beispiel,
       jemanden nicht weiterreisen zu lassen, wenn er sich weigert, 2.000 oder
       3.000 CFA-Francs (3 bis 4,5 Euro) zu zahlen. Oder die illegalen Zölle auf
       Handelswaren, angeblich fehlende Papiere, etwas Plastikschmuck, der mit
       minimalem Gewinn im Nachbarland verkauft werden soll.
       
       In Kauf nehmen die Einschüchterungen und kleinen Erpressungen meist Frauen,
       die mit den Geschäftsreisen das Studium ihrer Kinder finanzieren, Geld für
       ihre Hochzeit zurücklegen oder Männern einen Dienst erweisen. Egal, ob in
       der malischen Hauptstadt Bamako, am Straßenrand irgendwo in Burkina Faso
       oder an einem Busbahnhof in der Elfenbeinküste. Sie sind diejenigen, die
       unterwegs sind und mit meist bescheidenen Gewinnen – wenn überhaupt – etwas
       ändern wollen und trotzdem unsichtbar bleiben.
       
       „Sie werden einfach nie wahrgenommen“, sagt eine Zuschauerin im Herausgehen
       fast beiläufig zu sich selbst. Schauspielerin Unwana Udobang, die sich
       selbst als Frauenrechtlerin bezeichnet, war auch deshalb so von dem
       Drehbuch angetan. „Die Chance meines Lebens“, sagt sie, gibt aber auch zu:
       „Ich war abenteuerlich.“ Einen besseren Einblick in den Alltag vieler
       Frauen hat ihr der Film auf jeden Fall gebracht.
       
       Davon gibt es zahlreiche weitere Filme, etwa „L’Arbre sans fruit“ („Der
       Baum ohne Früchte“) aus dem Niger, den Aïcha Macky gedreht hat. Hinter dem
       poetischen Titel verbirgt sich eine Dokumentation, die die ungewollte
       Kinderlosigkeit in den Mittelpunkt rückt. Die gibt es zwar überall, doch in
       Mackys Heimatland, dem Niger, wo mit 7,6 Kindern eine Frau so viele Kinder
       hat wie nirgendwo sonst auf der Welt, drängt sie gerade Frauen im
       besonderen Maße aus der Gesellschaft. Männern geht es nicht unbedingt
       besser. In einem muslimisch geprägten Land, in dem Polygamie sehr üblich
       ist, haben sie aber etwas mehr Hoffnung, mit einer zweiten oder dritten
       Frau ein Kind zu bekommen.
       
       „Eine Realität und meinen Alltag“ nennt die junge Senegalesin Fatou Touré
       Ndiaye, selbst Muslima, die Vielehe. Egal, ob im Senegal, in Burkina Faso,
       dem Niger oder Nigeria: Sie ist da, und Frauen müssen sich damit abfinden.
       Öffentlich klagt niemand darüber. Umso überraschender war vor zwei Wochen
       der Vorschlag des Emirs von Kano, Muhammadu Sanusi II., einem der
       wichtigsten muslimischen Meinungsführer in Nigeria. Er sagte, Männer
       sollten bei der Heirat einer Zweitfrau künftig zumindest nachweisen müssen,
       ob sie diese auch finanzieren können.
       
       ## Kaum eine Frau teilt gerne
       
       Wie es jedoch Frauen geht, wenn der Mann zum zweiten, dritten oder vierten
       Mal heiratet, danach fragte er – selbst dreimal verheiratet – freilich
       nicht. Fatou Touré Ndiaye tut es nun mit dem Kurzfilm „La Promesse“ und
       zeigt eigentlich nur das, was ohnehin längst klar war, aber nie
       ausgesprochen wird: Kaum eine Frau teilt gerne.
       
       Auf dem Fespaco werden jedoch nicht nur Filme gezeigt, die eine zwar
       unschöne Realität abbilden, mit der man sich aber im Notfall irgendwie
       arrangieren kann. Sie zeigen auch massive Gewalt. Der Film „Aisha“ aus
       Tansania handelt davon. Anfangs kommt er daher wie ein Streifen über
       Zwangsehen, was jedoch nur am Rande thematisiert wird.
       
       Tatsächlich geht es um die Gruppenvergewaltigung einer Frau, die für ein
       paar Tage zurück in ihr Dorf geht. Das Tragische ist, dass die Täter
       bekannt sind, es kein Einzelfall ist und sowohl der Bruder als auch der
       Ehemann mehr auf Ansehen und Familienehre bedacht sind als auf Aufklärung,
       Aufarbeitung oder sogar Verurteilung. Letztendlich sind es wieder Frauen,
       die sich zusammenschließen und eine Bestrafung einfordern. Ein Appell an
       die Solidarität unter Frauen und daran, sich endlich mehr mit Missbrauch
       und sexueller Gewalt auseinanderzusetzen.
       
       Vereinzelt gibt es über den Kontinent verteilt dazu zwar Initiativen. In
       Botswana richtete die Polizei schon vor Jahren spezielle Befragungsräume
       für Frauen ein, die Opfer häuslicher und/oder sexueller Gewalt geworden
       waren. Doch das Thema bleibt mit wenigen Ausnahmen in den meisten Ländern
       ein Tabu.
       
       ## Ein neuer Zugang zu einem Tabu
       
       Dabei wurde erst vor ein paar Monaten während einer Konferenz in Äthiopien
       geschätzt, dass vermutlich jedes vierte Kind auf dem Kontinent Opfer von
       sexueller Gewalt wird. In Nigeria bezeichnete Justice for All, ein Programm
       des British Council, kürzlich ebendiese als das häufigste Verbrechen
       gegenüber Frauen. Mit dem tristen Film „Aisha“, der zwar versöhnlich, aber
       nicht gut ausgeht, könnte ein neuer Zugang zu diesem Tabu gefunden werden.
       
       Gemeinsam ist den zahlreichen starken Filmen, die auch im Wettbewerb um den
       Filmpreis „Étalon de Yennanga“ laufen, der am Samstag verliehen wird, dass
       Frauen in aller Regel Opfer und Männer Täter sind. Für den belgischen
       Filmemacher Thierry Michel, der seine knapp zweistündige Dokumentation über
       den Gynäkologen Denis Mukwege außerhalb des Wettbewerbs präsentiert,
       spiegelt dieses Verhältnis auch die Realität.
       
       „Frauen tragen Afrika auf ihrem Rücken. Trotzdem sind sie die schlimmsten
       Opfer in allen Kriegen. Es sterben mehr Zivilistinnen als bewaffnete
       Soldaten“, erklärt Michel, dessen Film in zahlreichen Ländern für
       Gesprächsstoff gesorgt hat und in Ouagadougou viele Zuschauer fast verstört
       zurücklässt. Die Täter sind auch hier männlich.
       
       Im Vergleich zu vielen anderen Filmen ist es hier auch der Held und die
       Hauptfigur: Doktor Mukwege hat 40.000 Opfern sexueller Kriegsverbrechen im
       Ostkongo das Leben gerettet. Und genau dafür verehren ihn die Frauen in
       seiner Heimat.
       
       3 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Burkina Faso
 (DIR) Filmfestival
 (DIR) Gewalt gegen Frauen
 (DIR) MTV
 (DIR) Festival
 (DIR) Film
 (DIR) Burkina Faso
 (DIR) Kamerun
 (DIR) Burkina Faso
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Liebeserklärung: Gleiche Chance für alle
       
       Kann das weg? In der Film- und Fernsehbranche werden Preise meist nach
       Geschlechterkategorien unterteilt. MTV hat es anders gemacht.
       
 (DIR) Festival in der Elfenbeinküste: Klapperschlangen und Tränengas
       
       Beim größten afrikanischen Musikfestival ringt der Kontinent um seine
       Zukunft. Präsentiert wird zeitgemäße Popmusik.
       
 (DIR) Frauenfilmfestival in Dortmund: Militärkörper freilegen
       
       Beim Internationalen Frauenfilmfestival gab es vielfache Bezüge zwischen
       Spielfilm und Videokunst zu entdecken – samt Sprengkraft.
       
 (DIR) Islamistische Angriffe in Burkina Faso: Special Effects in der Wüste
       
       In Burkina Faso laufen gerade ein Filmfestival und das größte
       US-Militärmanöver Afrikas. Abermals ist das Land Ziel von islamistischen
       Angriffen.
       
 (DIR) Filmemacher über Kamerun: „Der Präsident ist im Paradies“
       
       Zensur, Repression, kaum Filme: Warum es sich trotzdem gerade jetzt lohnt,
       für das Kino zu kämpfen. Ein Gespräch mit dem Filmemacher Jean-Pierre
       Bekolo.
       
 (DIR) Filmfestival Fespaco in Burkina Faso: Leinwand auf Wanderschaft
       
       In Westafrika gibt es kaum noch Möglichkeiten, Filme im Kino zu sehen. Umso
       wichtiger ist das 1972 gegründete Filmfestival Fespaco.