# taz.de -- Blick hinter die Vereins-Kulissen: „Ich lebe mit dem HSV in Trennung“
       
       > Manfred Ertel war Mitglied des Aufsichtsrats beim Fußball-Bundesligisten
       > Hamburger SV, bis der seine Profi-Abteilung ausgliederte. Seine
       > Erfahrungen reflektierte er in einem Buch.
       
 (IMG) Bild: Haben es nicht leicht: Fans des Fußball-Bundesligisten HSV
       
       taz: Herr Ertel, könnten Sie heute, wenn sie noch einmal zehn Jahre alt
       wären, Fan des Hamburger SV werden? 
       
       Manfred Ertel: Ich glaube schon. Die Faszination Fußball begeistert vor
       allem junge Leute und Kinder. Sie lechzen nach Helden und Vorbildern. Wenn
       ich heute ins Stadion gehe, stelle ich fest, dass der HSV offenbar immer
       noch junge Leute fasziniert, während viele meiner älteren Freunde nicht
       mehr da sind.
       
       Sie beschreiben Ihre Leidenschaft für Ihren Verein als einen Virus. Fühlt
       sich das Fan-Sein wie eine Krankheit an? 
       
       Nein. Überzeugter Fan zu sein, ist vergleichbar mit Liebe. Rational ist das
       nicht zu erklären. Man hängt an dieser Liebe bis zu dem Punkt, wo sie einen
       enttäuscht und man sich trennen muss. Dann wird Fan-Sein zu Liebeskummer.
       
       Ihr Buch „Hört die Kurve“ trägt den Untertitel „Vom Ende eines
       Fußball-Traums“. Wovon haben Sie geträumt? 
       
       Einerseits hatte ich immer wieder darüber nachgedacht, ob ich mich mit
       meinen Fähigkeiten und Qualifikationen einbringen und für meinen Verein
       nützlich machen kann. Der andere Traum war, dass Werte im Fußball, zum
       Beispiel Identifikation und Transparenz, trotz der zunehmenden
       Kommerzialisierung zumindest in meinem Verein bewahrt und erhalten werden
       können. Doch das Gegenteil ist der Fall.
       
       Geht es beim HSV noch um Fußball? 
       
       Schwierige Frage. Es sollte so sein. Allerdings sind die Grundpfeiler, die
       den HSV mal ausgemacht haben, brüchig geworden. Dazu gehört die
       Identifikation mit dieser Stadt, der Region und der besonderen sozialen
       Verpflichtung, Bindeglied zwischen vielen Generationen und
       Bevölkerungsschichten zu sein. Und es geht um leidenschaftlichen Fußball
       für die eigenen Fans. Der HSV von heute spaltet. Und er steht nicht mehr
       für viel, womit sich Fans und Zuschauer identifizieren können.
       
       2011 sind Sie vom Fan zum Aufsichtsrat geworden und damit selbst Teil des
       Fußballgeschäfts. Was hat diese Zeit mit Ihnen gemacht? 
       
       Angetrieben hatte mich das Gefühl, dass die Basis, also die Menschen, die
       den Verein ausmachen, also die Fans, Mitglieder und Amateursportler, in
       seiner ganzen Breite abgebildet sein muss. Ich bin überzeugt, dass auch wir
       Fans die unterschiedlichen Qualifikationen mitbringen können, um gute
       Kontrolleure für den HSV zu sein. Was die Zeit mit mir gemacht hat, ist
       jedoch das Schlimmste, was einem Fan passieren kann. Der Blick hinter die
       Kulissen hat mich mehr denn je abgeturnt.
       
       Was haben Sie denn gesehen? 
       
       Intrigen, Machenschaften und ein Fegefeuer der Eitelkeiten, die in mir den
       Eindruck bestärkten, dass zu viele Leute rund um den HSV Interessen
       verfolgen, die nicht im Sinne des Vereins sind. Mein emotionales Verhältnis
       zum Sport im Allgemeinen und zum HSV im Speziellen wurde dadurch tief
       erschüttert.
       
       Waren Sie überzeugt davon, dieser Entwicklung mit Ihrer Arbeit als
       Aufsichtsrat Einhalt gebieten zu können? 
       
       Der damalige Aufsichtsrat hat, wie man heute erleben kann, eine viel
       bessere Arbeit geleistet, als man ihm öffentlich zuschreiben wollte. Viel
       Kritik an diesem Aufsichtsrat hat sich daran entzündet, dass aus Sicht des
       einen oder anderen Mediums die falschen Leute darin saßen, nämlich wir
       Fans. Dennoch waren wir auf einem guten Weg, den Verein mit
       unterschiedlichen Maßnahmen zu gesunden. Wir haben es nur nicht durchhalten
       können, weil das Interesse Einzelner Fehler begünstigt und die
       Geschlossenheit des Gremiums infrage gestellt hat.
       
       Nehmen die Medien rund um den HSV mehr als nur die Rolle der begleitenden
       Berichterstatter ein? 
       
       Mein Verhältnis zum aktuellen Journalismus ist durchaus gespalten, weil ich
       kritische Veränderungen im Bezug auf Seriosität, Faktenreichtum sowie die
       Einhaltung ethischer und moralischer Grundsätze feststelle. Vor diesem
       Hintergrund sehe ich den Sportjournalismus besonders gefährdet, da er in
       vielen Fällen Teil des von Kampagnen lebenden Fußballsystems ist und sich
       nicht ausreichend allein seiner Verpflichtung zu Information und Aufklärung
       stellt. Insofern ist er für meine Berufsgattung nicht gerade ein Vorbild.
       
       Eine große Kampagne hat 2014 zu einer Neustrukturierung und Ausgliederung
       des Profifußballs und zum Ende Ihres Engagements geführt. Ist seitdem
       irgendetwas besser geworden? 
       
       Die Kampagne hat uns gelehrt: Wer am lautesten schreit, hat längst nicht
       immer recht. Keines der vielen Versprechen wurde gehalten, sportlich und
       finanziell ist die Bilanz desaströs. Ich empfinde als Gegner der
       Ausgliederung aber keine Genugtuung, sondern bin einfach nur wütend, weil
       die Initiatoren von damals heute nichts mehr damit zu tun haben wollen.
       Nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Vieles, was
       damals gelaufen ist, hatte mit Fairplay und Demokratie wenig zu tun.
       Leidtragende sind der HSV und seine Fans.
       
       Hat Ihnen diese Entscheidung den Rest gegeben? 
       
       Es ist wie im wahren Leben: Einer großen Liebe trauert man lange Zeit
       hinterher. Ich lebe mit dem HSV in Trennung, wir sind aber noch nicht
       geschieden. Es tut nicht mehr ganz so weh, aber immer noch ein bisschen.
       
       30 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Jovanov
       
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