# taz.de -- Kolumne Rollt bei mir: Menschen auf Abstand
       
       > Bin ich ein Kinderwagen für Sechslinge? Nein, an mir klebt ein Rollstuhl.
       > Erschrecken muss man vor mir trotzdem nicht.
       
 (IMG) Bild: Achtung! Gefahrguttransport!
       
       Überall in der Großstadt sind sie zu finden: Menschen. Mal schlendern sie
       scheinbar ziel- und orientierungslos wie auf dem Weihnachtsmarkt, mal
       bewegen sie sich vollkommen fokussiert und blenden dabei alles um sich
       herum aus – so lange, bis ich komme.
       
       Wenn ich mit dem Rollstuhl unterwegs bin, habe ich den Eindruck, mein
       Erscheinen kommt für einige vollkommen unerwartet, anders kann ich mir das
       Zucken oder Erstarren einiger meiner Mitmenschen nicht erklären.
       
       Auch wenn ich mit eher mäßiger Geschwindigkeit vor mich hinfahre, erstarren
       einige für einen kurzen Augenblick, um dann schnell zur Seite zu springen.
       Manche entschuldigen sich noch dazu. Wofür?
       
       Wenn dann noch die Begleiter mitgezogen werden, komm ich mir schon sehr
       blöd vor. Man fragt sich, ob man wirklich so sperrig und der eigene Radius
       wirklich so unberechenbar ist.
       
       ## 50-Zentimeter-These
       
       Dieses Stehenbleiben, erst mal gucken, wo ich hinmöchte und dann noch
       unnötig viel Platz machen, ist ermüdend. Ist all diesen Menschen schon mal
       ein/e RollstuhfahrerIn über die Füße gefahren – oder warum verhalten sie
       sich so?
       
       Irgendjemand hat doch mal diese 50-Zentimeter-These aufgestellt, als
       Abstand der zwischen fremden Menschen herrschen soll, damit sie sich noch
       wohlfühlen. Für RollstuhlfahrerInnen scheinen diese nicht zu gelten, es ist
       eher das Doppelte, und wenn ich dann auch noch fahre, scheint der
       Wohlfühlabstand noch einmal deutlich größer.
       
       Bei engen Platzverhältnissen ist das Problem besonders auffällig.
       FußgängerInnen können nur schwer abschätzen, wie viel Platz ich zum
       Rangieren brauche. Mal teilt sich die Masse, als ob jemand mit einem
       Kinderwagen für Sechslinge durch möchte, ein anderes Mal bleiben Leute in
       der Tür stehen und ziehen den Bauch drei Zentimeter ein, damit ich
       vorbeikomme.
       
       Rangieren, das klingt schon so komisch – fehlt nur noch ein Schild hinten
       an der Lehne: „Überlänge: Bitte 1 m Rangierabstand lassen“.
       
       ## Elefant im Porzellanladen
       
       Ich vergesse sogar manchmal, dass an mir ein Rollstuhl klebt, doch das
       Verhalten von Leuten um mich herum ruft es mir wieder in Erinnerung. Ich
       bin gleich nach dem Elefanten der größte Schreck eines jeden
       Porzellanladenbesitzers. Der Albtraum eines jeden Verkäufers, der im
       Klamottenladen die Sachen ordentlich auf die Bügel gehängt hat, bevor ich
       mich durch die engen Gassen quetsche.
       
       Wenn es mit der physischen Nähe manchmal schon holprig ist, wie ist dann
       mit der emotionalen? Auch dort ist, besonders bei frischen
       Bekanntschaften, der Rollstuhlfilter hinderlich, die 50 Zentimeter, die der
       Rollstuhl um mich herum schafft, sind auch dort schwer zu knacken.
       
       Bei Leuten, deren Oma/Tante/Freundin irgendetwas mit Krankheit/Behinderung
       zu tun hatten, sei es durch ein gebrochenes Bein oder Pflegebedürftigkeit,
       scheint es leichter zu sein. Aber das hat manchmal auch ein Geschmäckle,
       wer möchte schon mit Krankheit oder Gebrechen verbunden werden. Der
       Rollstuhl bleibt in erster Linie ein Hilfsmittel, das für viele ungewohnt
       sein mag, aber nicht abschrecken sollte.
       
       27 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Judyta Smykowski
       
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