# taz.de -- taz-Serie Verschwindende Dinge (Ende): „Ein Gefühl von Vertrautheit“
       
       > Souvenirkitsch und Durchsteckschlüssel: 40.000 Objekte lagern im Museum
       > der Dinge. Kuratorin Renate Flagmeier erzählt, was eine Gesellschaft von
       > Dingen lernen kann.
       
 (IMG) Bild: Dinge aus dem Museum der Dinge
       
       taz: Frau Flagmeier, vor einer der Vitrinen hier sagten Sie gerade: Da drin
       seien die „blassen Dinge“. Was ist denn das? 
       
       Renate Flagmeier: Das sind reparierte, selbst gebastelte oder selbst
       gebaute Dinge. In Notzeiten wie nach dem Zweiten Weltkrieg oder auch in
       Mangelwirtschaften wie der DDR hat man vieles nicht einfach weggeworfen,
       wenn es kaputt war, sondern geflickt. Oder eben benötigte Dinge selbst aus
       Fundmaterialien hergestellt. Dazu gehören auch einige große Antennen Marke
       Eigenbau, die wir im Archiv lagern.
       
       So etwas wie der Gegenentwurf zu unserer Wegwerfgesellschaft? Das „Museum
       der Dinge“ ist ja sonst auf industrielle Produkt- und Warenkultur
       ausgerichtet. 
       
       Uns geht es beim Sammeln auch um die Nutzungsgeschichte der Dinge. In
       unserer Generation zum Beispiel wird zu viel konsumiert und entsprechend
       weggeworfen. Vermutlich, um diese schnelle Warenzirkulation zu
       kompensieren, hat seit mindestens 30 Jahren das private Sammeln stark
       zugenommen. Heute entwickelt sich aber auch eine neue Haltung gegenüber dem
       Konsum, etwa in Form von Re- oder Upcycling, eine neue Repair-Kultur sowie
       Aufmerksamkeit gegenüber Ressourcen und Produktionsbedingungen.
       
       In der taz stellten wir gerade in einer Serie lauter Dinge vor, die
       scheinbar aus dem Berliner Alltag verschwunden sind: Fernsprecher,
       Kopfsteinpflaster, Durchsteckschlüssel, Großraumdiskotheken oder Kohlen.
       Haben Sie davon was hier? 
       
       So einen „Berliner Schlüssel“ haben wir hier. In diesem Fall zeigt sich
       deutlich: Wandel hat oft technische Gründe. Diese Schlüssel verschwanden
       vor allem, weil es nun Klingelanlagen gibt und andere Schließsysteme. Man
       kann zwar sagen: Alles gleicht sich an. Aber das Leben verändert sich nun
       einmal, so banal das klingt.
       
       Gibt es überhaupt noch das typische Berliner Ding? 
       
       Wir sind ja nicht ausgerichtet auf Berlin, sondern auf deutsche
       Produktkultur. Ich könnte nicht sagen, wie viele Berliner Produkte wir hier
       haben, mit diesem Fokus haben wir nie gesammelt. Andererseits spiegelt
       unser Haus eine bestimmte kulturpolitische Haltung in der Stadt, das hat
       uns schon seit den 1970er Jahren sehr geprägt. Hier pflegte man immer einen
       anderen Blick auf das, was Kultur sein kann, hatte ein Interesse für
       Unkonventionelles – so etwas wie die „blassen Dinge“ passen genau zu
       Berlin.
       
       Wie kommen Sie eigentlich an Ihr Material? Stöbern Sie in
       Haushaltsauflösungen rum? 
       
       Weniger. Wir bekommen sehr viel angeboten, etwa wenn jemand einen Haushalt
       auflösen muss.
       
       Die kommen dann mit ihren Kartons hier vorbei? 
       
       Manchmal, ja. Grundsätzlich bitten wir vorher um Fotos der Gegenstände und
       prüfen, was zu unserer Sammlung passt. Und fragen uns dann etwa, ob wir
       wirklich noch einen Heizlüfter brauchen. Erst recht, wenn wir genau das
       Modell schon haben. Gerade bei Geräten ist es heikel. Auch wenn wir gerade
       eine große Sammlung alter Mobiltelefone angenommen haben: Wir sind kein
       Technikmuseum.
       
       Sind Sie eine Abladestation für die, die nichts wegwerfen können? 
       
       Auf keinen Fall. Aber man spürt im Kontakt mit den potenziellen Spendern,
       dass ein Museum auch eine entlastende Funktion hat – wenn man erbt, will
       man nicht alles wegwerfen, aber behalten eben auch nicht. Man versucht
       stattdessen, Dingen eine Dauer zu verleihen und wendet sich damit an uns.
       
       Was kommt da zum Beispiel? 
       
       Alles von Telefonkarten, Feuerwehrautos und Zollstöcken bis zu Kaufläden
       und Stühlen. Die Sammler sind für uns sehr wichtig. Sie haben in ihrem
       Bereich oft eine größere Expertise als wir, da unser Spektrum so groß ist.
       Wir müssen allerdings aufpassen, nicht überfrachtet zu werden. Wir haben
       drei Außendepots und etwa 40.000 Objekte, Konvolute mitgezählt. Aber wir
       sind am Limit und überlegen auch bei manchen Objekten, ob wir sie an andere
       Museen abgeben könnten. Einen alten Citroën haben wir etwa dem
       Technikmuseum überlassen, da passt er besser hin – und er nahm viel Platz
       weg.
       
       Sie sitzen in der Kreuzberger Oranienstraße, in einem multikulturellem
       Kiez: Inwieweit spiegelt sich diese Diversität Berlins und Deutschlands
       hier im Archiv? 
       
       Wir setzen uns damit auf verschiedenen Wegen auseinander, haben auch schon
       entsprechende Ausstellungen gemacht, aus denen wir Dinge übernommen haben.
       Für dieses Jahr organisieren wir ein Projekt mit einem türkischen Fokus.
       Das Sammeln der Gegenwart ist aber generell kompliziert. Wenn wir nach
       einer Ausstellung merken, dass es eine starke Resonanz gibt, wissen wir,
       dass wir eigentlich dran bleiben und tiefer gehen müssten. Aber das ist bei
       einer kleinen Einrichtung nicht einfach.
       
       Sammeln Sie auch privat? 
       
       Ja, aber rein ästhetisch. Ich habe eher Ansammlungen von Dingen: Muscheln,
       Knöpfe, Steine, so was.
       
       Sie haben Kunstwissenschaft studiert – über welches Objekt sind Sie denn
       bei der Produktgeschichte gelandet? 
       
       Mich hat das Verhältnis von Kultur- und Technikgeschichte sehr
       interessiert. Etwa wenn sich technische Entwicklung oder Bewegung in der
       Gestaltung spiegelt, wie bei der Stromlinienform. In einer meiner ersten
       Installationen im Rahmen der Ausstellung „Absolut modern sein“ ging es
       darum, die Welt von oben zu betrachten: In der modernen Fotografie der
       1920er Jahre zeigten sich neue Perspektiven, die erst durchs Fliegen und
       dank hoher Gebäude möglich wurden.
       
       Sie arbeiten nun hier seit 25 Jahren als Kuratorin. Wie hat sich Ihre
       Haltung zur Dingwelt verändert? 
       
       Eigentlich nicht grundsätzlich. Allerdings habe ich momentan ein stärkeres
       Interesse für das Unsichtbare oder Versteckte entwickelt.
       
       Was wäre das? 
       
       Zum Beispiel die Inlays von Warenverpackungen. Niemand achtet darauf. Man
       öffnet Verbrauchsgüter und schmeißt dann das Drumherum einfach weg.
       Überhaupt wurde die ganze Verpackungsästhetik lange zu wenig beachtet.
       
       Heben Sie so was denn auf? 
       
       Ja, wenn die Verpackungsinlays interessant sind, weil die Vertiefungen ein
       gleichmäßiges Raster ergeben oder wenn jeder Gegenstand in der Verpackung
       individuell umhüllt ist wie in einem Etui, nur eben aus Kunststoff.
       Besonders gefallen mir schlicht gestaltete Warenverpackungen für
       Lebensmittel. Wenn ich reise, gehe ich deshalb sehr gern in Supermärkte.
       
       Was erzählen uns die Verpackungen denn? 
       
       Sie erinnern mich an die Körperhaftigkeit, an das Substanzielle, das man
       verbraucht. Denn die Verpackung verweist schließlich auch auf die
       Warensubstanz, wenn sie schon aufgegessen, abwesend ist. Wie sich das
       Interesse an Verpackung verändert, lässt sich auch an der Mode der
       „Unpacking“-Videos bei Youtube feststellen: vor allem Männer, die sich
       dabei filmen, wie sie ihre technischen Geräte sorgfältig auspacken und
       präsentieren.
       
       Sie haben einmal in einer Ausstellung das Thema „Ladenhüter“ bearbeitet –
       auch die bleiben ja letztlich unsichtbar. 
       
       Ladenhüter symbolisieren als gescheiterte Produkte die Schnittmenge
       zwischen Geschäft und Museum, sie wollen nicht am Warenkreislauf
       teilnehmen. Solche Aspekte faszinieren mich.
       
       Wie verändern sich Gegenstände denn, wenn Sie aus dem Alltag verschwinden
       und bei Ihnen im Museum landen? 
       
       Die Dinge werden aus ihrem ursprünglichen Nutzungskontext herausgenommen
       und im Museum zu Anschauungsobjekten ästhetisiert. Die von uns gesammelten
       Objekte sind zumeist nicht mit persönlichen Erinnerungen bestimmter
       Personen verknüpft. Sie sind so zugänglich für neue Interpretationen und
       Assoziationen, manchmal hebt man nur ein Merkmal hervor. Nehmen Sie die
       Vitrine, in der wir all die orangefarbenen Dinge zeigen: Allein an der
       Farbe sieht man sofort – typisch 70er Jahre.
       
       Apropos orange: Wie kommt es, dass wir auch Dinge erhalten wollen, die uns
       nerven? 
       
       Man bewahrt sie auf, um kulturhistorische Zusammenhänge und Geschichte zu
       vermitteln. Sie bilden eine Brücke zu anderen Zeiten und Orten.
       
       Heben Sie selbst denn Dinge auf, die Sie nerven? 
       
       Eher nicht. Ich gebe immer wieder Sachen weg, etwa via Kleidertausch. Ich
       finde es gut, wenn man jemanden findet, der wertschätzt und nutzt, was ich
       nicht mehr brauche. Man muss Dinge ja nicht horten, die für einen selbst
       keine Funktion haben. Aber sich von Sachen trennen – das muss man eben auch
       können.
       
       Ist das ein Plädoyer für das Weggeben oder Sammeln? 
       
       Wir sind geprägt durch die Dinge unserer Umgebung, viele wollen dieses
       Gefühl von Vertrautheit erhalten, bestimmte Objekte sind mit Erinnerungen
       verknüpft – ohne geht uns ein Teil unserer Identität verloren. Ich bin an
       dem Punkt etwas gespalten, denn diese nostalgische Haltung sehe ich
       durchaus kritisch. Aber wir müssen uns eben fragen, ob Veränderung immer
       auch Verbesserung heißt. Was zum Beispiel nach der Wende mit Dingkulturen
       passierte, hat deutlich gemacht: Es ist wichtig, wie man mit Wandel umgeht.
       
       17 Jan 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Haeming
       
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