# taz.de -- Stasi-Experte Booß über Aufarbeitung: „Politisch zu punkten ist nicht das Ziel“
       
       > Dank Stasi-Überprüfung haben demokratieschädliche Seilschaften in
       > Deutschland nie die Bedeutung erlangt wie die Oligarchen in Osteuropa.
       
 (IMG) Bild: Zerrissene Stasiakten warten auf ihre Restauration
       
       taz: Herr Booß, vor 25 Jahren trat das Stasi-Unterlagen-Gesetz in Kraft.
       Was war aus Ihrer Sicht daran entscheidend? 
       
       Christian Booß: Die große Überraschung war, dass Hunderttausende „ihre“
       Akte sehen wollten und wollen. Diese „kleine Aufarbeitung“ hat sich als die
       effektivste Aufarbeitung erwiesen. Darüber hinaus konnten auch Zehntausende
       ehemalige politische Häftlinge und Personen, die berufliche Nachteile durch
       die Deutsche Demokratische Republik erlitten haben, trotz praktischer
       Umsetzungsschwierigkeiten rehabilitiert werden. Die Kommunen, Regierungen,
       Parlamente hatten die Möglichkeit, Personen, die das Vertrauen in diese
       Institutionen nicht rechtfertigen, zu identifizieren.
       
       Aller Unzulänglichkeiten zum Trotz hat diese Überprüfung mit dazu
       beigetragen, dass bei uns demokratieschädliche Seilschaften nie die
       Bedeutung hatten wie die Oligarchen in Osteuropa. Bei den Überprüfungen
       haben zu Recht viele allein wegen falscher biografischer Angaben ihren
       Arbeitsplatz verloren. Insofern ist es unverständlich, dass jetzt mit
       Andrej Holm so einer mit einem Staatssekretärsposten in Berlin belohnt
       werden soll. Er ist kein sozialpolitischer Märtyrer, sondern hat bei der
       Einstellung in den Landesdienst geschummelt.
       
       Was hat sich im Gesetz als gravierender Fehler erwiesen? 
       
       Die Macher des Gesetzes hatten gehofft, dass die Gesellschaft durch einen
       Täter-Opfer-Dialog befriedet wird. Das war zu optimistisch gedacht, denn
       die Täter – ich benutzt hier diesen Begriff, obwohl er nicht immer wirklich
       trifft – haben selten bei diesem Prozess mitgemacht. Über den Debatten ist
       manchmal verloren gegangen, dass es letztlich nicht darum gehen sollte, für
       sein politisches Lager Punkte zu sammeln, sondern demokratische Konsense
       für das Zusammenleben zu finden. Wir müssen auch manchmal feststellen, dass
       nicht jeder Gegner der Diktatur auch schon ein Demokrat ist. Und manche
       Aufarbeiter sollten mehr aufpassen, dass sie nicht – entgegen ihren
       Intentionen – indirekt zum Stichwortgeber für demokratiefeindliche
       Netzwerke werden. Da gibt es noch Herausforderungen für die politische
       Bildung.
       
       Das MfS verstand sich als Schild und Schwert der Partei. Ist die
       Aufarbeitung der SED-Diktatur über die Stasiakten nicht etwas zu einseitig? 
       
       Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist zu stark auf das Ministerium für
       Staatssicherheit fixiert. Die eigentlichen Verantwortlichen für die
       Diktatur waren SED-Funktionäre. Kirchengruppen und Ausreiseantragsteller
       beispielsweise wurden in erster Linie von den Räten für Inneres in Kreisen
       und Kommunen der DDR schikaniert. Die dafür verantwortlichen Mitarbeiter
       haben die Überprüfung meist schadlos überstanden, während kleine
       Inoffizielle Mitarbeiter in Berlin bei der Stadt nicht mal Laub harken
       durften. Das hab ich nie verstanden.
       
       29 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wolfgang Gast
       
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