# taz.de -- Neues Gesetz für Pflegebedürftige: Verwirrung in der Pflege
       
       > Im neuen Jahr tritt das neue Pflegestärkungsgesetz in Kraft. Am
       > schlechtesten über die Neuerungen informiert sind offenbar die
       > Pflegebetroffenen selbst.
       
 (IMG) Bild: Komplizierter als die Polizei erlaubt: Das neue Pflegestärkungsgesetz
       
       BREMEN taz | Sabine Schubert (Name geändert) schaut mit gemischten Gefühlen
       dem neuen Jahr entgegen. Ihr Vater, der in einem Altenheim lebt, hat dann
       keine Pflegestufe mehr, sondern einen Pflegegrad – so nennt sich die neue
       Einstufung, mit der der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK)
       den Pflegebedarf ermittelt. „Und da“, sagt Schubert, „ging das Problem
       schon los.“ Denn ihr Vater wurde von seiner Krankenkasse falsch eingestuft.
       Damit ist er möglicherweise nicht allein.
       
       Ab Januar tritt das Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) in Kraft. Dessen
       Eckpfeiler sind laut Bundesgesundheitsministerium „die Einführung des neuen
       Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der sich stärker an den Bedürfnissen jedes
       einzelnen Menschen, an seiner individuellen Lebenssituation und an seinen
       individuellen Beeinträchtigungen und Fähigkeiten orientiert“.
       
       Dem widerspricht Schubert nicht: „Jetzt werden auch Faktoren wie
       eingeschränkte Alltagskompetenz berücksichtigt – bei meinem Vater heißt
       das: Seine Demenz spiegelt sich ab 2017 im Pflegegrad wider.“ Ihr Vater,
       der ohne Demenz von Pflegestufe zwei auf Pflegegrad drei „gerutscht“ wäre,
       wird nun einen Grad höher eingestuft – nämlich auf Pflegegrad vier. „Aber
       dann bekam ich Bescheid von der AOK, dass er nur Pflegegrad drei bekäme –
       das hätte bedeutet: monatlich 500 Euro Pflegegeld weniger.“
       
       Schubert beschwerte sich bei der AOK und bekam Recht: „Die Sachbearbeiterin
       hat eingeräumt, dass es da möglicherweise ein prinzipielles Problem gibt.“
       Ihr Vater ist nun zwar richtig eingestuft, „aber nicht jeder hätte das
       bemerkt“. In der Tat beschäftigt Schubert sich bereits seit Jahren mit dem
       Pflegesystem und ist engagiert in der Bremer Angehörigeninitiative
       [1][„Heim-Mitwirkung“.] „Das PSG II“, sagt sie, „ist sehr kompliziert.“
       
       Und das scheint ausgenutzt zu werden: „Im Pflegeheim meines Vaters riet man
       mir, ihn schnell noch bis Ende Dezember vom MDK eine Pflegestufe höher
       eingruppieren zu lassen – dann nämlich würde er angeblich ab 2017
       Bestandsschutz genießen.“ Das stimmt freilich nur, wenn jemand noch gar
       keine Pflegestufe hat: Bekommt der nämlich noch im alten Jahr eine der
       niedrigen Pflegestufen I oder II, darf er ab 2017 nicht schlechter gestellt
       werden. Wer erst ab 2017 einen entsprechenden Pflegegrad erhält, erhält
       geringere finanzielle Leistungen von der Pflegekasse und der zu zahlende
       Eigenanteil bei einer Unterbringung in einer stationären Pflegeeinrichtung
       wird höher.
       
       Für alle anderen ändert sich nichts, zumindest nicht beim Eigenanteil:
       „Wenn ich meinen Vater nach dem alten System noch im Dezember hätte
       höherstufen lassen, hätte ich allerdings für den Monat Geld nachzahlen
       müssen – und das Heim würde ab dann mehr Geld von der Pflegekasse
       bekommen.“
       
       Für Reinhard Leopold, Initiator der „Heim-Mitwirkung“ und Bremens
       Regionalbeauftragter des Vereins [2][„Bundesinteressenvertretung für alte
       und pflegebetroffene Menschen“ (Biva)], ist das „streng genommen Betrug“.
       Und das Pflegeheim, in dem Schuberts Vater lebt, sei kein Einzelfall: „Mir
       ist über einige Einrichtungen zu Ohren gekommen, dass sie die Leute
       gedrängt haben, sich schnell noch im alten Jahr höherstufen zu lassen“,
       sagt er. „Und die meisten Pflegebetroffenen vertrauen natürlich auf das,
       was man ihnen sagt.“ Denn sie selbst verstünden die Regelungen des PSG II
       oft nicht: „Selbst ich tappe da in vielerlei Hinsicht noch im Dunklen.“
       
       Zum Beispiel bei den Kriterien für die künftigen Einstufungen: „Bisher ist
       da nach den Defiziten der Pflegebedürftigen geschaut worden, jetzt wird
       gesagt: Wir schauen danach, was die Menschen noch können“, sagt Leopold.
       Inwiefern sich daraus der Pflegebedarf ableiten lässt, ist ihm
       schleierhaft: „Er basiert ja nach wie vor auf dem, was ein Mensch nicht
       selber kann – ich habe den Eindruck, da wird einfach mit einer positiven
       Formulierung darüber hinweggetäuscht, dass sich eigentlich nichts ändert.“
       
       Verwirrung stiftet auch das „[3][Informationsportal der Medizinischen
       Dienste zur Pflegebegutachtung ab 2017“]. Dorthin werden laut Leopold
       Betroffene gern verwiesen. In der Tat finden sich dort zum Downloaden die
       neuen Richtlinien zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit – auf ganzen 247
       Seiten. „Die meisten Menschen“, sagt er, „unterschreiben ja schon blind die
       40 Seiten langen Pflegeverträge – wie sollen sie dann erst dieses Werk
       verstehen?“
       
       22 Dec 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.bremen.de/heim-mitwirkung---unabhaengige-selbsthilfe-initiative-fuer-pflegebetroffene-2516589
 (DIR) [2] http://www.biva.de/
 (DIR) [3] https://www.pflegebegutachtung.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
       
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