# taz.de -- Psychologe über Wahl in Österreich: „Als ob man fliegen könnte“
       
       > Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer über den Kuschelfaktor bei Norbert
       > Hofer, die Euphorie der Neurechten und ihren Hass auf die böse
       > Staats-„Mutti“.
       
 (IMG) Bild: FPÖ-Vorsitzender HC „Sexgott“ Strache und FPÖ-Präsidentschafts-Kandidat Norbert „Kuschel“ Hofer
       
       taz: Herr Ottomeyer, am Sonntag wählt Österreich einen neuen
       Bundespräsidenten. Wenn Sie den Kandidaten der FPÖ, Norbert Hofer,
       beschreiben sollten für jemandem, der den langen Wahlkampf nicht verfolgt
       hat – was ist das für ein Mensch? 
       
       Klaus Ottomeyer: Wenn er in der Rolle des Staatsmanns im Fernsehen
       auftritt, dann wirkt er ausgesprochen ruhig und freundlich, fast erstarrt,
       mit einer lächelnden Maske. Ich glaube, dass er damit auf viele Leute in
       einer Welt, die sich immer schneller dreht, wirkt wie ein Ruhepol: Jemand,
       auf den man sich verlassen kann, der ‚authentisch‘ ist in seiner Ruhe. Er
       hat aber noch eine andere Teilpersönlichkeit, die er im offiziellen
       Gespräch vor der Kamera nicht zeigt. Ein Teil, der schwärmt für die
       deutsche Nation. Er ist ja Mitglied in einer [1][Verbindung], die das Wort
       Germania im Namen führt. Als Burschenschaftler vertritt er auch ein
       bestimmtes Bild von Männlichkeit.
       
       Das zeigt er aber dann eher im Privaten? 
       
       Er ist auch Mitherausgeber eines [2][Buches], in dem ganz offen
       rechtsextreme Gedanken ausgebreitet werden, dass die Frauen eher dem
       Brutpflegetrieb folgen sollen etwa; und es gibt aggressive Äußerungen von
       ihm gegen Muslime, aber da dementiert er sich dann ständig selber.
       
       Ist das das Erfolgsgeheimnis sogenannter populistischer Politiker? 
       
       Ja: Die Politik des folgenlosen Dementis. Wenn man Hofer mit seinen
       problematischen Äußerungen konfrontiert, übergeht er das einfach.
       
       Bei Ihren früheren [3][Analysen] zu den FPÖ-Politikern Jörg Haider und
       Heinz-Christian Strache hatten Sie eine gewisse Sexualisierung der Politik
       festgestellt. Liefert Hofer da auch? 
       
       Er strahlt eher was Kuscheliges aus, wie eine Puppe mit großen Augen. Weil
       er durch einen Paragleiterunfall eine Behinderung hat, gibt es vielleicht
       Leute, die diesen großen Jungen in den Arme nehmen wollen. Charmant würde
       ich ihn nicht nennen, weil er so unbewegt ist. Er sieht nett aus, das muss
       man schon sagen, er ist ja auch noch nicht so alt wie sein Konkurrent
       Alexander Van der Bellen.
       
       Führende österreichische und deutsche Neo-Nationalisten gehören der selben
       Generation an: Hofer ist Jahrgang 1971, Frauke Petry 1975, der
       AfD-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag Björn Höcke 1972, Beatrix von
       Storch 1971, AfD-Ideologe Marc Jongen 1968, Heinz-Christian „HC“ Strache
       1969. Ist das ein Zufall? 
       
       Das sind die Kinder der 68er – ob die Eltern nun selber welche waren oder
       ob sie eher passiv geprägt worden sind durch das Aufbrechen alter
       patriarchaler Familienstrukturen durch die sexuelle Revolution. Die Idee,
       das man sich emanzipieren, dass man sich trennen kann von einem Partner,
       dass Sexualität schön sein und befreit gelebt, aber auch von der
       Sexindustrie vereinnahmt werden kann – davon ist diese Generation besonders
       bewegt und auch beunruhigt worden. Ich glaube, dass diese jüngeren
       Neurechten sich alle eine Stabilisierung wünschen. Es taucht in den
       Programmen und Gedanken immer auf die Rückkehr zu stabilen Familien und ein
       „Ende des Genderwahnsinns“ auf. Frau Petry und Herr Strache und auch Herr
       Hofer sind dabei aber alle ein- bis zweimal geschieden, sie leben real in
       Patchworkfamilien.
       
       Wenn ich mich mal als Hobbyfreudianer betätigen darf: Das Über-ich gibt
       Aufträge, die das Ich und das Es schon längst nicht mehr erfüllen können? 
       
       So würde ich das auch sagen. Sie wollen Stabilität, sie wollen die Erosion
       der patriarchalen Rollen und Normen rückgängig machen. Das funktioniert
       aber nicht; und wenn sie merken, dass diese biedermeierliche Welt sich
       nicht mal im Eigenen, im Privaten wiederherstellten lässt, dann braucht man
       äußere Schuldige. Das sind dann die Einwanderer. Der zerstörerische Teil
       der eigenen Sexualität wird auf die Flüchtlinge projiziert, ob das die
       angeblich vergewaltigenden Mexikaner in den USA sind oder die jungen,
       alleinreisenden Männer hier, obwohl die Statistik das schlicht nicht
       hergibt.
       
       Wenn man bei Thilo Sarrazin das Neurechte noch eher im Status der
       Depression verorten konnte – ein älterer, wenig viril erscheinender Mann,
       der unlesbare Bücher schreibt und halt so vor sich hinmosert –, dann muss
       man heute doch einen Status der Euphorie, des Aufbruchs, der aggressiven
       Begeisterung diagnostizieren und der entsprechend intensiven Wahrnehmung in
       Gesellschaft und Politik. Wie sollen wir damit umgehen? 
       
       Ich denke, es geht ganz stark um den Wunsch nach Anerkennung, den viele
       Menschen haben, der aber in ihrem Alltag auf der Strecke bleibt. Die
       Neurechten bekommen sie aber jetzt, das macht die Euphorie aus. Das ist ein
       wenig vergleichbar mit der Aufbruchstimmung in der 68er-Bewegung, wo auf
       einmal auch viel mediale Aufmerksamkeit war. Zur Euphorie trägt bei, dass
       sich das moralische Korsett gelockert hat. Man darf auf einmal Dinge sagen
       und teilweise auch tun, die früher dem Über-Ich zum Opfer gefallen wären.
       
       Enthemmung. 
       
       Eben die macht euphorisch. Die Aggression und den Wunsch andere Menschen zu
       erniedrigen, den wir wahrscheinlich alle in uns haben, braucht man auf
       einmal nicht mehr zu unterdrücken, der Rucksack des Über-Ich ist
       abgeworfen, man fühlt sich frei als ob man fliegen könnte. Da kommen andere
       dazu, die sind auch in dieser Stimmung, das steckt an. Das ist ein schönes
       Gefühl, gewiss.
       
       Was tut man jetzt mit diesen aggressiven und gefährlichen Euphorikern? Wie
       können sie ihr Hochgefühl ausleben ohne andere Menschen zu gefährden? 
       
       Es ist ja so, dass auf dieses Hochgefühl eine Bauchlandung folgt, früher
       oder später. Beim Brexit gab es erst Begeisterung, dann Ernüchterung. Oder
       in Kärnten, wo man mit dem attraktiven jungen Landeshauptmann Jörg Haider
       schwebte, der dann nichts anders hinterlassen hat als einen Schuldenberg
       von 14 Milliarden Euro! Irgendwann – und das kann lange dauern -, setzt die
       Schwerkraft der Realität ein. Das ist wie mit Manie und Depression. Bei
       manischen Patienten kann man eigentlich nur ein bisschen warnen, ein wenig
       Bodenhaftung vermitteln oder ihnen eben empfehlen, zum Psychiater zu gehen
       und sich ein paar Medikamente verschreiben zu lassen.
       
       Das macht jetzt nicht so viel Hoffnung – weder für Sonntag noch für die
       kommenden Jahre. 
       
       Es ist therapeutisch ziemlich schwierig. Sprechen wir mal von den
       allgegenwärtigen Ängsten, die man, wie immr gefordert wird, ernstnehmen
       soll – ja aber welche eigentlich? Das Ich entwickelt nach Freud drei
       verschieden Arten von Ängsten. Es gibt die Realangst, in Bezug auf die
       Realitätsprüfung: Ist die Ampel rot oder grün, man muss berechnen, ob man
       das noch schafft mit der Straßenüberquerung. Wenn wir diese Angst nicht
       hätten, würden wir alle nicht lange überleben. Dann gibt es die Angst vor
       dem eigenen Gewissen, die uns drückt und die manche gerne loswerden würden.
       Menschen wie Frau Merkel, die im Zentrum des Hasses steht, haben ein
       relativ stabiles Über-Ich, mit dem sie auch im Reinen sein wollen. Solche
       Menschen, die die Gewissensverpflichtung repräsentieren, werden dann gern
       attackiert und ausgelacht, als Vertreter des Gutmenschentums oder der
       Political Correctness, hahaha. So kann man die Angst vor dem eigenen
       Gewissen wieder loswerden, dann macht es uns nicht so eine Angst, und
       daraus entsteht dann wiederum Entlastung und die genannte Euphorie. Aber
       die Angst bleibt – wie das Gewissen.
       
       Und die dritte Angst? 
       
       Das ist die vor den eigenen Triebregungen: vor der oralen Gier, vor der
       Verschmutzung und vor der Sexualität. Die Migranten stehen auch für unsere
       Angst vor diesen Dingen. Die Flüchtlinge werden phantasiert als kleine
       Kinder, die versorgt werden wollen, die nicht arbeiten wollen, die gierig
       sind. Sie stehen für die verdrängten Wünsche, für Säuglingsphantasien. Die
       Flüchtlinge werden phantasiert wie nach uns gekommene Geschwister, denen
       plötzlich alles auf dem goldenen Teller serviert wird und zwar von der
       neoliberalen Staats-„Mutti“, die uns, ihre älteren Kinder, im Stich
       gelassen hat. Der Höhepunkt ist dann, wenn sich Frau Merkel mit den
       Neuankömmlingen fotografieren lässt, während wir das Gefühl haben, wir
       werden schon lange nicht mehr versorgt und bekommen zu wenig für unsere
       harte Arbeit.
       
       Aber es geht doch vielen Menschen tatsächlich schlechter als früher. 
       
       Das stimmt schon – und doch geht es uns noch ganz gut, gerade im Vergleich
       zu den Flüchtlingen. Der Sozialstaat in Österreich ist eine Realität, in
       Deutschland [4][sinkt] die Arbeitslosigkeit und auch in den USA ist sie
       nicht so hoch wie von Trump propagiert. Hier überwältigt die neurotische
       Angst die Realitätsprüfung. Diese Ängste müsste man unterscheiden, aber das
       macht keiner: Und so bleibt der diffuse Angstknäuel, mit dem wir uns
       derzeit so schwer tun. Und das Interessante daran ist, dass die Realangst
       und der Realismus dabei auf der Strecke bleiben. Deswegen leugnen alle
       Neorechten den Klimawandel. Man darf nicht schadenfroh werden – aber auch
       hier ist die Bauchlandung unvermeidlich.
       
       4 Dec 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://derstandard.at/2000034371348/Hofers-Burschenschaft-und-ihr-Nein-zur-oesterreichischen-Nation
 (DIR) [2] https://kurier.at/politik/inland/fpoe-sammelband-brutpflegetrieb-statt-geburtsscheinmutter/224.922.004
 (DIR) [3] https://www.perlentaucher.de/buch/klaus-ottomeyer/die-haider-show.html
 (DIR) [4] http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Wirtschaft/d/9496662/arbeitslosenquote-in-deutschland-geht-auf-5-7-prozent-zurueck.html
       
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