# taz.de -- Zukunftsziele der Wissenschaft: Von Argumenten zur Moral?
       
       > Drei Forschungsorganisationen verpflichten sich, Nachhaltigkeitskriterien
       > besser zu verankern. Auch an den Unis besteht Nachholbedarf.
       
 (IMG) Bild: Wissenschaft könnte helfen: Besucher der Klimakonferenz in Marrakesch
       
       Das Prinzip der Nachhaltigkeit hält Einzug in die deutsche Wissenschaft.
       Drei große Forschungsorganisationen haben sich jetzt gemeinsame Leitlinien
       gegeben, mit denen sie sich in der Praxis den Fragen „großer
       gesellschaftlicher Herausforderungen“ stärker zuwenden und zugleich den
       Betrieb ihrer Institute „klimagerecht“ umstellen wollen. Auf der Ebene der
       Wissenschaftspolitik ist „Sustainability“ dagegen immer noch ein Thema für
       theoriegeladene Konfrontationen.
       
       [1][„LeNa“] heißt der Kurztitel des 60-Seiten-Kompendiums, das als
       [2][„Leitfaden für Nachhaltigkeitsmanagement in außeruniversitären
       Forschungsorganisationen“] in dreijähriger Arbeit erstellt wurde. Beteiligt
       waren daran Fraunhofer-, die Helmholtz- und die Leibniz-Gemeinschaft.
       
       „Wir sind damit einen entscheidenden Schritt vorangekommen“, erklärte Ernst
       Theodor Rietschel, früherer Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, bei der
       Vorstellung auf dem Symposium „Nachhaltigkeit in der Wissenschaft“ im
       Oktober in Berlin. „An diesen Empfehlungen wollen wir uns künftig messen
       lassen“, ergänzte Otmar Wiestler, Präsident der
       Helmholtz-Forschungsgemeinschaft.
       
       Kleiner Schönheitsfehler: Nicht alle sind dabei. Die
       Max-Planck-Gesellschaft (MPG), führende deutsche Nobelpreisschmiede, blieb
       vornehm außen vor, und auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die
       die Forschung in den Hochschulen fördert, beteiligte sich nicht.
       
       Ein „verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen“ und eine gute
       Organisationsführung (Good Governance) sind die beiden Grundprinzipien, an
       denen sich LeNa orientiert. Realisiert wird die Nachhaltigkeit in fünf
       Handlungsfeldern: Organisationsführung, Forschung, Personal, Gebäude und
       Infrastrukturen sowie unterstützende Prozesse. In der Forschung geht es um
       mehr „wissenschaftsbasierte Lösungsbeiträge zu gesellschaftlichen
       Herausforderungen“, wobei sich das Papier sowohl an die Empfehlungen des
       Wissenschaftsrates zu diesem Thema als auch an den 17 Nachhaltigkeitszielen
       der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) anlehnt. In der
       Forschungsorganisation sollen Kriterien der Ethik, Nutzerorientierung,
       Inter- und Transdisziplinarität, Transparenz sowie der „Umgang mit
       Komplexitäten und Unsicherheiten“ berücksichtigt werden.
       
       ## Schlechte Bilanz
       
       Beim Gebäudemanagent geht es um die klassischen Maßnahmen der
       Energieeinsparung und der umweltverträglichen Beschaffung, die von den
       Pionieren ausgehend jetzt in die Breite getragen werden sollen. Heiße
       Kandidaten dafür sind aber vor allem die Hochschulen. Forschungsministerin
       Johanna Wanka verwies bei dem Symposium darauf, dass von den 450 deutschen
       Hochschulen lediglich 20 gemäß Nachhaltigkeitskriterien zertifiziert seien.
       „Vier Prozent! Das ist ernüchternd“, mahnte Wanka. Ihr Ministerium fördert
       mit dem neuen Programm „Hoch N“ seit Kurzem zehn Hochschulen, die auf
       Nachhaltigkeit umstellen wollen. „Wir streben an, dass es in einigen Jahren
       100 Hochschulen sein sollen“, so die Ministerin.
       
       Ist das schon die „nachhaltige Zeitenwende?“ Unter diesem Titel lud die
       nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina kürzlich zu einer Zwischenbilanz
       mit den Spitzen der deutschen Wissenschaft, und gelangte zu einem
       gemischten Ergebnis. Zwar nahmen Max-Planck-Gesellschaft und DFG erstmals
       teil, äußerten sich aber doch mit spürbarer Reserviertheit zum – aus ihrer
       Sicht – Modethema Nachhaltigkeit.
       
       DFG-Präsident Peter Strohschneider warnte vor einem „totalisierenden
       Nachhaltigkeitsutilitarismus“, der Wissenschaft vor allem für die
       praktische Lösung der großen planetaren und Menschheitsprobleme benutzen
       wolle. Die Orientierung „Es geht doch um die Rettung der Welt“ mutiere
       gleichsam zum säkularen „Anathema“, das andere Forschungsrichtungen, wie
       die Grundlagenfächer, als minderwertig diskreditiere. Auch für die
       Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele sei ein solcher Schwenk „vom
       Argumentieren zum Moralisieren“ letztlich nachteilig.
       
       „Gut gemeint oder gut gemacht?“, lautete die Frage, mit der sich
       MPG-Präsident Martin Stratmann der Nachhaltigkeit näherte. Wie wichtig
       Wissenschaft zur Lösung globaler Umweltprobleme sei, zeige das Beispiel der
       Ozonschicht, deren Durchlöcherung durch FCKW erst mit Grundlagenarbeiten
       aus dem MPI für Chemie in Mainz abgestellt werden konnte. Es sei aber
       verkehrt, so Stratmann, die Nachhaltigkeit zu einem dominierenden Leitbild
       zu machen. „Das führt zu Überforderung und zu Bevormundung“, befürchtete
       der MPG-Chef. „Auch eine gut gemeinte Bevormundung beschränkt die
       Wissenschaftsfreiheit.“
       
       Der Verweigerungshaltung mochte sich der Politiker in der Runde,
       Staatssekretär Georg Schütte aus dem Bundesministerium für Bildung und
       Forschung (BMBF), nicht anschließen. Er erinnerte daran, dass im Jahr 2012
       der Versuch, eine nationale Nachhaltigkeitscharta für die deutschen
       Forschungsorganisationen zu etablieren, gescheitert sei.
       
       „Damals sind wir auf den Bauch gefallen“, sagte Schütte. Auch damals wurde
       die Ablehnung damit begründet, dies schränke die Freiheitsgrade der
       Wissenschaft ein.
       
       Vier Jahre später müsse er konstatieren: „Allein mit dem Bestehen auf
       „Freiheit“ kommen wir in Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele nicht
       schnell genug voran“. Wissenschaftsfreiheit müsse auch die Freiheit
       beinhalten, „ganz neue Wege zu gehen und neue Fragen zu stellen“, erwiderte
       Schütte.
       
       Ein neuer Weg wäre etwa gewesen, auch die Kritiker zu der Leopoldina-Runde
       einzuladen. Seit Jahren schwelt der Theorie-Streit zwischen Strohschneider
       und dem dem Präsidenten des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie,
       Uwe Schneidewind, über die Notwendigkeit oder Gefährlichkeit einer
       „transformativen Wissenschaft“. Dies wäre eine Chance zur Weiterentwicklung
       der Positionen gewesen.
       
       ## Mehr als nur Klimawandel
       
       Dass die frühen Befürworter der Nachhaltigkeits-Wissenschaft zu neuen
       Positionen bereit sind, war auf der 25-Jahr-Feier des Wuppertal-Instituts
       im September zu bemerken. Dort mahnte Dirk Messner, Vorsitzender des
       Wissenschaftlichen Beirats für Globale Umweltveränderungen (WBGU), dass
       sich die Nachhaltigkeitsdiskussion nicht nur den ökologischen Problemen wie
       dem Klimawandel widmen müsse. In Zeiten massiver sozialer Spaltung zwischen
       Arm und Reich und den daraus entstehenden Flüchtlingsbewegungen müssen
       jetzt „das Thema Gerechtigkeit in das Zentrum von Nachhaltigkeitspolitik
       gestellt“ werden.
       
       Wer Nachhaltigkeit wolle, müsse jetzt – da die „Gegentransformation“ längst
       begonnen habe – verstärkt über Gleichheit, Armut und Ungerechtigkeit
       sprechen, forderte Messner. „Sonst scheitern wird an der Realität“.
       
       26 Nov 2016
       
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