# taz.de -- Verschwörungstheorien auf der Spur: Die Fratze der Wahrheit
       
       > Der Hoaxilla-Podcast aus Hamburg widerlegt Ideologien von
       > Verschwörungsgläubigen. Seine Betreiber beobachten ein wachsendes
       > gesellschaftliches Problem.
       
 (IMG) Bild: Aufklärung mit Podcasts: Alexa und Alexander Waschkau in ihrem Studio.
       
       HAMBURG taz | Eine Passantin schaut sich um. Auch ihr Begleiter blickt
       verstohlen über seine Schulter. Sie schauen in den Innenhof eines Hamburger
       Neubau-Glaskastens im ehemaligen Gängeviertel. Dort stehen zwei Gestalten
       mit langen schwarzen Mänteln und Sonnenbrillen. Der eine, ein Mann, locker
       1,90 Meter groß, trägt kurze Haare, einen Goatee-Bart und seinen
       Mantelkragen hochgekrempelt. Neben ihm steht eine Frau, sie ist etwas
       kleiner, aber genau so auffällig: Sie hat rote Haare, trägt eine
       verspiegelte Sonnenbrille, schwarze Lederstiefel und einen weiten schwarzen
       Mantel.
       
       Manche sagen, sie seien Agenten des Bösen, dunkle Erfüllungsgehilfen der
       Macht, die alles kontrolliert. Sie verbreiteten Lügen per
       Podcast-Technologie: zielgerichtetes Störfeuer der Mächtigen, um von der
       eigentlichen Wahrheit abzulenken, massenkompatible Desinformationen in
       einem Medium, das auch Nischen erreichen kann. Nur ihre Auftraggeber sind
       immer andere: die Alliierten, Reptilienmenschen oder natürlich die Juden.
       
       ## Schwarze Sonnenbrillen fürs Foto
       
       Würde all dies stimmen, müssten ihre Namen eigentlich geheim sein. Sind sie
       aber nicht: Alexa und Alexander Waschkau sind verheiratet und berufstätig.
       Sie ist studierte Ethnologin mit Schwerpunkt Erzählforschung und hat gerade
       einen fiktiven Mystery-Roman geschrieben. Er ist Diplom-Psychologe und
       macht Erwachsenenbildung in Bad Segeberg. Sie haben eine Katze, eine modern
       eingerichtete Edelstahl-Küche und einen Thermomix. Doch was sie außerhalb
       der Arbeit tun, unterscheidet sie von den meisten anderen Menschen: Sie
       begreifen sich als Teil der Skeptikerbewegung und widerlegen
       Verschwörungstheorien.
       
       Skeptizismus ist für sie vor allem ein internationales Netzwerk, das sich
       kritisch mit pseudo- und parawissenschaftlichen Themen beschäftigt. Für die
       Waschkaus gehört dazu auch eine Prise Mystery: Auf Twitter und ihrer
       Website nennen sie sich „Hoaxmistress“ und „Hoaxmaster“. Und: Sie setzen
       sich schwarze Sonnenbrillen auf und tragen lange Mäntel – zumindest für
       Fotos.
       
       Damit hört der Spielraum für mystische Interpretationen aber auch auf. Die
       Waschkaus sind vor allem akribische Rechercheure und entzaubern mystische
       Konstrukte. Sie spielen die Argumentationen von Verschwörungstheorien durch
       und widerlegen diese im Detail. Alexander sagt: „Es ist spannend, mit einem
       einfachen Medium, das man selber gut bespielen kann, Menschen das
       wissenschaftliche-kritische Denken nahezubringen.“
       
       ## Selbst Merkel sorgt sich
       
       Ihr Medium, der Podcast, ist eigentlich nichts anderes als eine
       Gratis-Radiosendung im Internet. Ihr Magazin heißt „Hoaxilla“, nach „hoax“,
       dem englischen Wort für Falschmeldung oder Schwindel. Jede Folge dauert
       etwa eine Stunde und hat ein eigenes Thema. Es gibt Sendungen über
       Kryptozoologie, Störtebecker und Außerirdische, aber auch über die
       9/11-Verschwörung, Chemtrails, Reptiloiden, Freimaurer und die BRD GmbH. Es
       existieren kaum Bereiche im verschwörungs-esoterischen Milieu, zu dem die
       beiden nicht umfangreich recherchiert haben. Seit sechs Jahren machen sie
       das – gerade arbeiten sie an ihrer 200. Folge.
       
       Ihre Arbeit ist derzeit überaus relevant. Selbst Bundeskanzlerin Angela
       Merkel sprach kürzlich von „postfaktischen Zeiten“. Warum? „Es gibt nur
       wenige Menschen, die wirklich verstehen, was in Griechenland passiert ist“,
       sagt Alexander Waschkau, „wie soll man den Überblick über eine komplexer
       werdende Welt bewahren? Wenn jemand eine einfache Erklärung anbietet,
       idealerweise noch mit gut und böse, ist man sehr dankbar.“
       
       Die jüngsten Entwicklungen bereiten den Waschkaus Sorgen: Angefangen hat
       das vor genau drei Jahren bei einer Begegnung mit Dr. Axel Stoll. „Der hat
       jede mögliche rechts-esoterische Verschwörungstheorie auf sich vereint.
       Weil er über Reichsflugscheiben, also Nazi-Ufos schwadronierte, haben ihn
       viele als verrückten Internetopa ausgelacht.“ Drei Stunden lang haben sich
       Alexander Waschkau und der befreundete Psychologe Sebastian Bartoschek mit
       Stoll unterhalten. Ergebnis: Stoll ist nicht verrückt, sondern
       zurechnungsfähig und gefährlich.
       
       Aus dem Gespräch ist ein Interview in Buchform entstanden. 186 Fußnoten
       brauchte es, um „Stolls Quatsch“ faktenbasiert zu widerlegen. Ein Anwalt
       riet, manche Passagen gar nicht zu veröffentlichen, weil sie den
       Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. „Er war nicht der lustige
       Internet-Opa, sondern klarer Neonazi und Volksverhetzer“, sagt Waschkau.
       
       ## „En passant den Holocaust leugnen“
       
       Als der Interview-Band herauskam, gab es weder Querfront-Montagsdemos noch
       Pegida. Damals warnten die Waschkaus, ein solches Denken verbreite sich an
       Stammtischen und auf rechten Clubtreffen. „Uns wurde Schwarzmalerei
       vorgeworfen. Heute schreien Pegida und AfD: Das wird man ja noch sagen
       dürfen.“
       
       Stoll ist inzwischen gestorben, doch Teile seiner Gedankenwelt leben in dem
       Buch weiter – und finden weite Verbreitung in rechten Kreisen, etwa in der
       Verschwörungstheorie der „BRD GmbH“, wie sie die Reichsbürgerbewegung
       verbreitet. „Das Buch hat uns sehr viel ‚Ruhm‘ in der Reichsbürger-Szene
       eingebracht“, sagt Alexander Waschkau.
       
       Die Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat
       an. Einige ihrer Anhänger leben im eingebildeten Preußen, andere behaupten,
       die Reichsgrenzen von 1937 würden noch heute gelten. Ein paar der Anhänger
       gründen sogar ihre eigenen Staaten, inklusive Fantasieausweisen, Fahnen und
       Nummernschilder.
       
       Mit vermeintlichen Beweisfetzen streiten Reichsbürger gerne mit Behörden
       und Polizisten: Das Grundgesetz sei keine Verfassung, es gebe keinen
       Friedensvertrag nach dem zweiten Weltkrieg, die Deutschen seien Angestellte
       einer BRD GmbH, einer fremdgesteuerten Firma, die sich nur als Staat
       ausgibt, deswegen heiße es ja auch „Personal“-ausweis.
       
       Aufgrund der verfassungsrechtlichen und historischen Komplexität dieser
       Theorie gibt es gleich zwei Hoaxilla-Folgen zu dem Thema. Zum Vorschein
       kommt dabei der wahre Kern der Verschwörungstheorie: „Oft landet man bei
       anti-amerikanischen oder, wenn man noch mehr Zwiebelschalen wegnimmt, doch
       wieder bei anti-jüdischen Ressentiments. Da wird auch schon mal en passant
       der Holocaust relativiert oder geleugnet.“ Das antisemitische
       Ur-Verschwörungswerk „Die Protokolle der Weisen von Zion“ verkauft sich
       auch heute noch weltweit in hoher Auflage.
       
       ## Wie hält man am besten dagegen?
       
       Ein grundsätzliches Problem beim Widerlegen von Verschwörungsdenken:
       „Jemand kann in einer Minute sehr viel Blödsinn erzählen. Aber ein
       Wissenschaftler braucht trotzdem drei Stunden, um die Argumente ernsthaft
       zu widerlegen“, sagt Waschkau. Reichsbürger bereiten Behörden in den
       vergangenen Jahren immer mehr Aufwand und Kosten: Sie erkennen offizielle
       Dokumente nicht an, zahlen keine Steuern und stellen das staatliche
       Gewaltmonopol infrage. Inzwischen gibt es in Behörden gezielte Schulungen
       und Leitfäden, wie man mit Reichsbürgern am besten umgeht.
       
       Das ist eine Frage, die auch die Hörer von Hoaxilla stellen: Wie hält man
       am besten dagegen? Das Problem: Verschwörungstheorien haben oftmals keinen
       theoretischen Charakter im wissenschaftlichen Sinne, sondern sind eher
       ideologische Welterklärungsmodelle – in sich geschlossen. „Bei manchen ist
       es wie der Glaube an Gott. Den kann man nicht wegdiskutieren“, sagt Alexa
       Waschkau. „Die meisten Verschwörungstheoretiker argumentieren auf Basis von
       Emotion. Auf eine faktische Ebene lassen sie sich gar nicht erst ein.“
       
       Wenn die Waschkaus mit Verschwörungsgläubigen diskutieren, haben sie eine
       feste Strategie: „Wir sind dazu übergegangen, nur noch Fragen zu stellen.
       Häufig fehlt zwischen verschiedenen Trugschlüssen eine Logik. Im Idealfall
       widersprechen sich Verschwörungstheoretiker.“
       
       Mehr als nur diskutiert hat kürzlich ein Reichsbürger in Reuden,
       Sachsen-Anhalt. Auf seinem stark verschuldeten Gehöft proklamierte er
       seinen eigenen Staat. Im August mobilisierte er erfolgreich 120 Personen,
       um seine Zwangsvollstreckung zu verhindern. 14 seiner Anhänger waren auch
       am Tag darauf noch da, als der Gerichtsvollzieher erneut anrückte, diesmal
       mit 200 Polizisten. Es kam zu schweren Ausschreitungen und einer
       Schießerei. Zwei SEK-Beamte sowie der Reichsbürger selbst wurden verletzt.
       Seine Anhänger feiern ihn seither als Märtyrer.
       
       ## LSD an Unwissende
       
       „Bei Hardcore-Verschwörungstheoretikern funktioniert der Dialog natürlich
       nicht“, sagt Alexa Waschkau. Den Kampf gegen Reichsbürger und andere
       Verschwörungsideologen führen die Waschkaus trotzdem weiter. Nach
       Feierabend sitzen sie dann gemeinsam im kleinem Büro in ihrer Wohnung, das
       aussieht wie ein Jugendzimmer in den Neunzigern. In den Regalen stapeln
       sich Gesellschaftsspiele und Science-Fiction-Bücher, davor Actionfiguren.
       In einer Ecke steht ein kleiner Schreibtisch mit einem Desktop-PC und
       kleinem Flachbildschirm: das ist das Studio. Als Mikrofon benutzen die
       Waschkaus alte Headsets mit mittelmäßiger Tonqualität. Jede ihrer Folgen
       hat 30.000 bis 70.000 Hörer.
       
       Wie viele Verschwörungstheoretiker sie tatsächlich umgedreht haben, können
       sie nicht sagen. „Natürlich ist es ‚preaching to the choir‘“, sagt
       Alexander Waschkau, „unsere Hörer sind bereits kritisch.“ Dennoch kommt es
       zu Kontroversen und wütenden Kommentaren.
       
       Ein Vorwurf, der immer wiederkehrt, ist dieser: Ihr tut so, als gäbe es
       keine Verschwörungen. „Dabei haben wir auch Sendungen über reale
       Verschwörungen gemacht“, sagt Alexander Waschkau. Paradebeispiel dafür: die
       „MKULTRA“- und „Artischocke“-Programme der CIA. Zwischen den 50er- und
       70er-Jahren hat die CIA in geheimen Menschenexperimenten hohe Dosen LSD und
       andere Drogen an Unwissende in Alltagssituationen verabreicht – mit
       schweren körperlichen und psychischen Folgen für die Opfer, bis hin zum
       Tod. Zahlreiche Akten vernichtete die CIA, als der Skandal in der 70ern
       aufflog. „Das Ziel war Gedankenkontrolle. Die CIA führte sich auf wie die
       Weltherrscher. MKULTRA ist eine Vorlage für vieles, was heute herumgeistert
       und es war eine reale Verschwörung“, sagt Alexa Waschkau.
       
       Würden Agenten des Bösen so etwas sagen?
       
       Lesen Sie mehr über Verschwörungstheorien in unserem Schwerpunkt in der
       taz.am wochenende Seite 44,45 oder [1][hier]
       
       24 Sep 2016
       
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