# taz.de -- Untersuchung des Abgasskandals: Der lange Schatten des Betrugs
       
       > Millionenfach wurde bei Abgastests von Dieselautos betrogen, die
       > Aufklärung steht am Anfang. Erste Zeugen wurden nun vernommen.
       
 (IMG) Bild: Überhöhte Schadstoffemissionen, Klagen und geschwärzte Akten gehören zum Abgasskandal
       
       Von draußen scheint eine warme Spätsommersonne in den Konferenzsaal E.700
       des Bundestagsgebäudes, vis-à-vis schlendern Touristen lässig am Reichstag
       vorbei – aber entspannt geht es drinnen nicht zu. Im Gegenteil. Mit
       spröden, formal vorgegebenen Worten weist Herbert Behrens (Linkspartei),
       Vorsitzender des fünften Bundestagsuntersuchungsausschusses, die geladenen
       Zeugen auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht hin – wenn ihre Äußerungen zu
       strafrechtlichen Ermittlungen gegen sich oder ihre Angehörigen führen
       könnten, oder sie Betriebsgeheimnisse verraten könnten. Beobachter spüren:
       Das hier, das ist eine ernste Angelegenheit.
       
       Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der am Donnerstag erstmals
       Zeugen geladen hatte, will Licht ins Dunkel des größten Skandals der
       deutschen und der internationalen Automobilgeschichte bringen: den
       Abgasskandal. Millionenfach wurde bei Abgastests von Dieselautos betrogen
       und geschummelt – zum Schaden der Verbraucher, die nicht bekamen, was die
       Hersteller versprachen. Vor allem aber zum Schaden der Umwelt und der
       Stadtbewohner, die massiv überhöhte Schadstoffemissionen ertragen mussten
       und müssen. Verantwortlich dafür ist nicht nur der Volkswagenkonzern, der
       in den USA Betrügereien zugeben musste, sondern auch die anderen großen
       Hersteller.
       
       Warum haben Politik und Behörden nicht eher Einhalt geboten? Und welche
       Lehren müssen daraus gezogen werden? Schon vor Beginn der ersten
       Zeugenvernehmung wird klar, dass die Aufklärung schwer fallen wird. 800
       Akten hat der Ausschuss bislang bekommen; davon sind rund 400 vertraulich,
       das heißt, die Abgeordneten dürfen sie nur in einer Geheimschutzstelle
       einsehen. Schlimmer noch: Viele Akten sind geschwärzt.
       
       Aus einer geht beispielsweise hervor, dass es ein Gespräch zwischen einem
       Regierungsbeamten mit dem Präsidenten des deutschen Automobilverbands
       Matthias Wissmann gegeben hatte. Das Protokoll über den Inhalt des
       Gesprächs ist komplett geschwärzt. Der Ausschuss-Chef Behrens will sich
       diese und andere Schwärzungen nicht gefallen lassen. „Die Ministerien und
       Behörden sollten wissen, dass sie es mit einem kritischen Ausschuss zu tun
       haben“, sagt er. Notfalls könne geklagt werden.
       
       ## Geschwärzte Akten
       
       Der Nachteil dabei: Klagen kostet Zeit. Und die hat der Ausschuss nicht.
       Denn er muss vor der Sommerpause im nächsten Jahr fertig werden, weil mit
       der Bundestagswahl im September 2017 die Legislaturperiode endet. Auch wird
       der Ausschuss die Verantwortlichen in den Konzernen kaum vorladen können,
       etwa den ehemaligen VW-Chef Martin Winterkorn, weil dies der
       Untersuchungsauftrag nicht hergibt.
       
       Zwar hält der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer eine Vorladung von
       Industrievertretern für denkbar. Den Schwerpunkt lege der Ausschuss aber
       auf die Rolle der Politik und die Frage, warum so lange nichts gegen
       bekannte Verstöße gegen die Abgasnormen unternommen worden sei. Das
       Kanzleramt beschäftige sich schon seit 2010 mit dem Thema Stickoxid. Wann
       Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) geladen werde, sei noch
       offen; wahrscheinlich erst im Frühjahr.
       
       Für ein bisschen Einordnung und Aufklärung konnten die vom Ausschuss
       vorgeladenen Wissenschaftler durchaus sorgen. Der derzeit noch gültige
       Testzyklus – ein Prüfverfahren, das Fahrzeuge vor ihrer Zulassung bestehen
       müssen – sei zur Zeit seiner Einführung in den 1990iger Jahren sehr
       effektiv gewesen, sagte Christian Beidl von der TU Darmstadt.
       
       Dadurch hätten Fahrzeuge hinsichtlich ihrer Schadstoffemissionen und ihres
       Kohlendioxidausstoßes verglichen werden können. Aber: „Für das, was auf der
       Straße geschieht, ist der Zyklus wenig repräsentativ.“ Viele
       Betriebsbereiche, etwa starke Beschleunigungen oder hohe Geschwindigkeiten,
       kämen im Test nicht vor. Auch ohne Abschalteinrichtungen – hierbei wird,
       oft illegal, die Abgasreinigung ausgeschaltet – gebe es daher große
       Unterschiede zwischen den im Labor und auf der Straße gemessenen Werten.
       
       Schon im Jahr 2007 sei den Experten klar gewesen, dass verschärfte Normen
       kaum Verbesserungen der Abgaswerte auf der Straße bringen würden, sagte der
       Stefan Hausberger von der Uni Graz, der mit seinem „Handbuch der
       Emissionsfaktoren“ eine Art Standardwerk der Branche vorgelegt hat. „Die
       Fahrzeuge wurden für den Test optimiert, nicht für die Straße.“ Alles
       andere wäre auch ein Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz gewesen.
       Ob er etwas von illegalen Abschalteinrichtungen geahnt habe? „Wir waren uns
       sicher: Der Testzyklus ist so schlecht, dass man nicht noch extra
       abschalten muss.“
       
       ## Abgasreinigung ist schwaches Kaufargument
       
       Auch Christian Beidl hatte nach eigener Aussage „keine Hinweise auf
       Manipulationen“ entdeckt. Der ADAC-Testexperte Reinhard Kolke formulierte
       hingegen etwas vorsichtiger: Eine direkte Feststellung von
       Abschalteinrichtungen „in ihrer Legaldefinition“ sei ihm nicht möglich
       gewesen. „Die Technik zur Abgasreinigung von Dieselmotoren ist vorhanden;
       seit einem Jahrzehnt gibt es sie beim Lkw“, ergänzte Kolke. Die Grenzwerte
       einzuhalten, das sei auch im Pkw zu schaffen, wie Autos in den USA zeigten.
       Allerdings sei das Thema Abgasreinigung für den Verbraucher immer ein
       schwaches Kaufargument gewesen; und möglicherweise wollten die Hersteller
       den Kunden nicht zumuten, häufiger Adblue zu tanken – eine Harnstofflösung,
       die zur Abgasreinigung benötigt wird.
       
       Nach Ansicht der Experten wurden bereits Lehren gezogen. Im nächsten Jahr
       soll der neue Weltzyklus für Tests gelten, der dann ein realistischeres
       Bild abgebe. Dass die Einführung des Weltzyklus so lange gedauert hat,
       erklärte Hausberger so: „So ist halt Demokratie.“ Es sei schon in Europa
       schwierig, ein Normfahrverhalten zu simulieren; in Entwicklungsländern
       werde darüber anders gedacht. Der neue Weltzyklus müsse aber durch
       Messungen auf der Straße ergänzt werden. Kolke forderte zudem Feldversuche
       bei Fahrzeugen, die schon bei Kunden länger in Betrieb seien. Im
       Verdachtsfall müssten die Hersteller ihre Motorsteuerungssoftware auch
       gegenüber den Zulassungsbehörden offenlegen.
       
       Solche Software könnte nun auch dem schwäbischen Zulieferkonzern Bosch
       gefährlich werden. Gegen Bosch-Chef Volkmar Denner seien mehrere
       Strafanzeigen eingegangen, teilte in dieser Woche die Staatsanwaltschaft
       Stuttgart mit. Bosch hat Teile der Motorsteuerung geliefert, mit denen
       Volkswagen den Stickoxid-Ausstoß von Dieselmotoren manipulierte. Laut
       Klägeranwälten in den USA belegten VW-Dokumente, dass Bosch-Beschäftigte
       schon im Jahr 2008 von Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren wussten.
       
       Herbert Behrens zog ein Zwischenfazit nach der ersten Anhörung: „Grenzwerte
       dürfen nicht nur beschlossen, sondern müssen auch eingehalten werden.“ Und
       Oliver Krischer kritisierte Interessenvertreter, die auf der Bremse
       gestanden hätten. „Es gab ein organisiertes Staatsversagen, das die
       Manipulationen erst ermöglichte.“
       
       Den Schaden trägt nicht nur VW, das viele Milliarden Euro in Strafen und
       Reparaturen stecken muss, sondern die gesamte Dieseltechnologie, auf die
       insbesondere die deutschen Autokonzerne setzen. Im August wurden in
       Deutschland nur noch 45,3 Prozent aller Neuwagen mit einem
       Selbstzünder-Motor zugelassen – der niedrigste Diesel-Anteil seit März
       2012.
       
       9 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Richard Rother
       
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