# taz.de -- 10 Jahre Mudam in Luxemburg: Industrie, Handwerk und Heraldik
       
       > Das Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean in Luxemburg widmet seine
       > Jubiläumsausstellung dem belgischen Künstler Wim Delvoye.
       
 (IMG) Bild: Wim Delvoye, Untitled (Truck Tyre), 2013 . Hand craved truck tyre. Ausschnitt
       
       Nicht nur Frankfurt, auch Luxemburg macht sich Hoffnungen auf den Zuzug von
       Bankern, die in Folge des Brexit womöglich die Londoner City verlassen.
       Gut, dass der junge Finanzplatz – der freilich der größte Fondsstandort
       Europas ist − vor zehn Jahren sein Museum für zeitgenössische Kunst
       eröffnen konnte.
       
       Denn das kulturelle Angebot ist Teil der Standortfaktoren, die die
       Lebensqualität einer Stadt oder Region definieren. Banker haben da andere
       Ansprüche als die Stahlarbeiter, die einstmals in der heimischen
       Schwerindustrie den Grundstein für den Wohlstand des Großherzogtums gelegt
       haben, in dem Kunst zu sammeln Sache des Adels war.
       
       Es dauerte, bis der luxemburgische Großherzog Jean anlässlich seines
       25-jährigen Thronjubiläums die Zeit reif sah, seinem Volk das Musée d’Art
       Moderne Grand-Duc Jean, jetzt [1][Mudam] genannt, zum Geschenk zu machen.
       Das war 1989. Sein Volk sah das aber anders.
       
       Zu vieles schien ihm unklar bei diesem Projekt, und so führte der heftige
       Widerstand der Öffentlichkeit gegen den Bau auf dem Kirchberg-Plateau dazu,
       dass der amerikanische Stararchitekt Ieoh Ming Pei erst 2006 die
       Fertigstellung seines dritten europäischen Museums nach der Pyramide im
       Louvre und dem Erweiterungsbau des Deutschen Historischen Museums in Berlin
       feiern konnte.
       
       ## Dreitägige Geburtstagsfeier
       
       Zu seinem zehnten Geburtstag ist das kein Thema mehr, alle waren bei der
       dreitägigen Jubiläumsfeier am ersten Juliwochenende dabei. Nun sammelt die
       Öffentlichkeit selbst, also das Museum – wobei es dann doch noch immer ein
       bisschen Sache des Adels ist: Arbeiten des belgischen Künstlers Wim Delvoye
       − dafür bekannt, dass er Schweinen auf seiner „Art Farm“ in China unter
       anderem das Logo der Luxusmarke Louis Vuitton in die Haut tätowieren ließ −
       wurden schon früh, in den 1990er Jahren, vom großherzoglichen Hof
       angekauft. Wundert es, dass der Künstler im neuen Museum prominent im
       ersten Stock seine eigene „Chapelle“ einrichten durfte?
       
       Wim Delvoye bestreitet nun auch die große Ausstellung zum zehnjährigen
       Jubiläum des Museums. 25 Jahre seines künstlerischen Schaffens überblickt
       die Präsentation auf zwei Stockwerken, die mit Arbeiten vom Ende der 1980er
       Jahre ansetzt, in denen der Künstler Industrie, Handwerk und Heraldik,
       Ornament und standardisierte Form, das Häusliche und das Städtische
       zusammenbringt. Da sind Gasflaschen mit Delfter Porzellanmuster bemalt und
       Bügelbretter und Schaufeln tragen heraldische Wappen.
       
       Eine kleine Betonmischmaschine, wie sie in der nachbarlichen Baustelle
       stehen könnte, ist aus Holz gefertigt und mit vergoldeten Schnitzmustern
       verziert. „Panem et circenses II“, ein mittelalterlicher, gelb-weiß
       gewürfelter Glaskasten mit dem Bild eines Bäckers in seiner Backstube,
       ersetzt das Netz eines Fußballtors.
       
       Der 1965 geborene Künstler liebt die rhetorische Figur des Oxymorons, des
       Gegensatzes. Die Baustelle schaut dann wie der Beichtstuhl einer gotischen
       Kathedrale aus, die weiß Gott das Gegenteil des Beton-Brutalismus
       darstellt, für den die Mischmaschine steht. Das Barock liebte das Oxymoron,
       um seiner dramatischen Steigerungseffekte willen, die sich bei Wim Delvoye
       in der (dank Unterstützung des Computers) ungeheuren Perfektion seiner
       Installationen, Skulpturen und Bilder finden.
       
       ## Bewundernswürdiger Mut
       
       Der Künstler bedient sich des Oxymorons, um eingeübte Sichtweisen
       spielerisch ins Rollen zu bringen. Das läuft dann stets auf eine mehr oder
       weniger gewitzte Pointe hinaus, deren vordergründiger Knalleffekt dazu
       führt, leicht mal die interessanteren, weil boshafteren politischen Aspekte
       der Arbeiten zu übersehen.
       
       Mit dem Tätowieren der Schweine etwa verbinden sich vielschichtige
       Assoziationen. Nutztiere werden gewöhnlich dauerhaft gekennzeichnet,
       freilich mit Nummern oder Barcodes, über die sich die Identität, das Alter
       und die Herkunft des Tieres erschießt. Das Bild − die tätowierte Rose, das
       Herz, der Anker − es gehört dem Menschen.
       
       Indem Wim Delvoye nun die Schweinehaut mit künstlerischer Grafik wie etwa
       dem Totenkopf des Rockers überzieht, adelt er die Tiere. Allerdings macht
       er sie auch zur satirischen Waffe, wenn er ihnen das Porträt Osama Bin
       Ladens − mit dem offenen Herz-Jesu-Herz − auf den Rücken tätowiert. Man
       muss das nicht unbedingt goutieren, aber den Mut bewundert man schon.
       
       Delvoyes blasphemischer Lust hilft vor allem der Computer entschieden
       weiter. Denn er kann jede noch so verdrehte Form ausrechnen, wie der
       schwarz patinierte, auf knapp vier Meter in die Länge gezogene, dabei nur
       vierzig Zentimeter breite, bronzene „Jesus Twisted“ (2006) zeigt.
       
       ## Verdrehter Jesus
       
       Eine Reihe von verdrehten Jesussen am Kreuz lässt sich dann zu einer
       hübschen, an die Doppelhelix der DNA erinnernden Dornenkrone zusammenfügen
       oder in endlosen Möbiusbändern sich durch den Raum winden. Ein Saal mit
       einem Dutzend solcher glanzvoll vernickelter, in mehrfachen Kreisen am
       Kreuz sich windender Jesusse ist freilich ein so grauenvoller Anblick, dass
       einem jedes spöttische Lachen im Hals stecken bleibt.
       
       Der Rolle der Vergangenheit, der alten Bilder und Motive in der Gegenwart
       geht gleichzeitig im Untergeschoss auch eine Künstlerin nach, die wie
       Delvoye in den 1990er Jahren bekannt wurde. „Geography of Time“ zeigt zehn
       Arbeiten von Fiona Tan, wobei „A Lapse of Memory“, eine 24-minütige
       Videoarbeit, am eindrücklichsten wirkt, wohl weil das Setting so gut an den
       Manierismus von Wim Delvoye anschließt.
       
       Leicht verwirrt wie der alte Mann im Bild stolpert man durch den teils
       prachtvoll erstrahlenden, teils heruntergekommenen Royal Pavillon in
       Brighton, den der Architekt John Nash zwischen 1787 und 1823 für König
       Georg IV. als üppig dekorierten, indisch inspirierten Bau errichtete,
       freilich im chinesischen Stil eingerichtet.
       
       Eine Arte-Dokumentation oder ein BBC-Feature vermittelte einem sicher
       Genaueres über das verwunschene Gebäude. Doch niemals bliebe es einem so
       lebendig, geradezu wie selbst erfahren, mit der eigenen Biografie verbunden
       in Erinnerung, wie jetzt, wo man Fiona Tans alten Mann dabei begleitet, wie
       er wieder und wieder durch den Palast streift, wieder und wieder die
       Teezeremonie begeht und wieder und wieder Tai-Chi übt und dabei seine
       Lebensgeschichte zusammensucht. Was will man mehr von einem Museumsbesuch?
       Gratulation den Luxemburgern zum zehnjähren Geburtstag ihres Mudam.
       
       10 Aug 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.mudam.lu/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lichtkunst
 (DIR) Dada
 (DIR) Schriftstellerin
       
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