# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Akzeptanz von Polygamie?
       
       > Hamza Piccardo, der Gründer der Union der islamischen Gemeinden in
       > Italien, fordert die Polygamie als Zivilrecht. Er führt dafür die
       > Homo-Ehe an.
       
 (IMG) Bild: Ist Polygamie der Homo-Ehe rechtlich ebenbürtig? Die Wiener Homo-Ampel ist da eher monogam
       
       In Reaktion auf die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Italien
       hat Hamza Piccardo, Gründer der Union der islamischen Gemeinden und
       Organisationen in Italien (UCOII), die Legalisierung der Polygamie
       gefordert. „Es gibt für Italien keinen Grund, polygame Ehen von mündigen
       Personen nicht zu akzeptieren“, schrieb Piccardo auf Facebook. Und: „Wenn
       es hier um Zivilrechte geht, dann ist Polygamie ein Zivilrecht. Muslime
       sind mit homosexuellen Lebenspartnerschaften nicht einverstanden und
       trotzdem müssen sie ein System akzeptieren, das sie erlaubt.“
       
       Die Reaktion war nicht unerwartet. Empörung in sämtlichen politischen
       Lagern. Zugleich aber gab es auch einen Moment der Verblüffung. Hat er
       damit nicht einen Punkt gemacht? Ist da etwas dran? Und wenn nicht – warum
       nicht? Kurzum – Piccardo hat eine inhaltliche Forderung erhoben. Empörung
       reicht da nicht. Man muss seine Provokation, als solche war sie natürlich
       gedacht, auch inhaltlich beantworten. Man muss für die Zurückweisung
       argumentieren.
       
       Was sind die Argumente gegen eine konsensuelle, also eine einvernehmliche
       Polygamie? Und könnte Polygamie tatsächlich ein Bürgerrecht werden?
       
       Die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften öffnet zwar die
       bisherige zivilrechtliche Definition der Ehe. Aber sie öffnet diese
       Definition nur in einer Hinsicht – in Hinsicht auf das Geschlecht. Deren
       weitere Bestimmungen behält sie aber bei. Diese lauten: Eine Ehe muss
       unzertrennlich und dauerhaft, partnerschaftlich und gleichberechtigt, treu
       und vertrauend sein.
       
       Wenn dies die wesentlichen zivilrechtlichen Kriterien der Ehe sind, dann
       bedeutet die Öffnung der Definition: Auch gleichgeschlechtliche Paare
       können diese Bestimmungen erfüllen. Polygamie aber kann genau dies nicht.
       Sie ist weder partnerschaftlich noch gleichberechtigt noch treu.
       
       Das Zivilrecht ist jener Teil des Rechts, der die Beziehungen zwischen
       gleichwertigen Rechtspersonen regelt. Die gleichgeschlechtliche Ehe
       erweitert den Begriff der Ehe genau in diesem zivilrechtlichen Sinn – denn
       sie erweitert die Privatautonomie des Einzelnen. Hat früher die gesetzlich
       kodifizierte gesellschaftliche Norm gleichgeschlechtliche Liebe
       unterdrückt, so ist deren Anerkennung eine Befreiung, eine Emanzipation,
       die den Einzelnen damit auch als Rechtssubjekt befördert.
       
       ## Stärkung der Privatautonomie
       
       Polygamie aber kann solch eine Stärkung der Privatautonomie aller
       Beteiligten nicht befördern. Selbst wenn sie konsensuell ist, garantiert
       sie nur die Souveränität des Mannes – nicht aber jene der Frauen. Polygamie
       kann also nicht zum Bereich der Bürgerrechte gehören. Denn sie ist von
       einem anderen Menschenbild bestimmt. Muslimische Polygamie ist eine
       Definition der Ehe, die von der Religion herrührt und von daher auch ihr
       Menschen-, ihr Frauenbild und ihre Geschlechtsvorstellungen bezieht.
       
       Und das ist der vielleicht entscheidende Punkt der Argumentation. Denn die
       gleichgeschlechtliche Ehe löst die rechtliche Definition der Ehe gänzlich
       aus ihrer religiösen Bestimmung heraus. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist
       also eine Ausweitung des säkularen Bereichs – jenes Bereichs, der den
       autonomen Einzelnen befördert. Während die Polygamie, die Hamza Piccardo
       fordert, eine Einschränkung ebendieses säkularen Bereichs wäre.
       
       Würde man Polygamie als Zivilrecht anerkennen, dann würde man damit den
       säkularen Rechtsstaat benutzen, um religiöse Regulierungen, um einen
       religiösen Diskurs in ebendiesen einzuführen. Die Polygamie würde eine
       religiöse Definition der Ehe mit säkularen Mitteln in den säkularen
       Rechtsstaat einschreiben. Eine Definition, die dem Menschenbild ebendieses
       Staates zuwiderläuft.
       
       Statt einer Ausweitung des säkularen Bereichs, wie bei der
       gleichgeschlechtlichen Ehe, bedeutete die Akzeptanz der Polygamie dessen
       Einschränkung. Statt die Neutralität des Staates gegen alle Religionen
       voranzutreiben – was gerade in pluralisierten Gesellschaften eine
       unumgängliche Notwendigkeit ist –, wäre die Anerkennung der Polygamie deren
       Rückbau. Polygamie kann kein Zivilrecht werden. Denn sie negiert dessen
       Voraussetzungen.
       
       23 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Isolde Charim
       
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