# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Folge dem schwarzen Kaninchen
       
       > Das Darknet ist ein Sehnsuchtsort. Es erinnert uns an die Zeit, als das
       > Internet noch eine Welt voller Rätsel und von visionärer Kraft war.
       
 (IMG) Bild: Welcome back to Cyberspace: Das Darknet in einer zeitgenössischen Darstellung
       
       Das schwarze Kaninchen wartet zum vereinbarten Zeitpunkt auf mich. Wir
       treffen uns am unteren Ende des Twitter-Newsfeeds, dort, wo keine neuen
       Inhalte mehr laden. Ein Wurmloch öffnet sich und wir cybern uns auf die
       andere Seite, in Sekundenschnelle rasen wir quer durch die Welt und
       verwischen unsere Spuren: New York, Rio, Tokelau. Schließlich fallen wir in
       einer Seitengasse in einen Müllcontainer und landen weich auf einem Stapel
       ungeschredderter Netflix-Kundendaten von Hillary Clinton.
       
       Wir sind im Darknet, einer Mischung aus Mordor, Sin City und Blade Runner.
       Der Himmel ist hier immer schwarz und die Gebäude bestehen aus grünen
       Vektoren. Auf den Straßen verkaufen fliegende Händler alles, was man sich
       vorstellen kann, und alles Weitere noch dazu: Schrumpfköpfe von türkischen
       Dissidenten, in Käfigen zusammengepferchte Pikachuwelpen aus Osteuropa,
       Crystal Crocodile, LSDMA und glutenhaltige Vollei-Nudeln.
       
       Vierarmige Zyklopinnen bewachen schummrige Bars, in denen Junghacker und
       russische Terrorfürsten ihre letzten Bitcoins versaufen. Es gibt hier auch
       ein Facebook, aber die Urlaubsfotos dort zeigen nur Gewittertage und
       verschimmelte Hotelzimmer.
       
       Wir kommen am Eingangstor des Darknets vorbei, es wird von deutschen
       Journalisten belagert. Jetzt, wo der Neunfachmörder von München „im
       Darknet“ seine Tatwaffe gekauft hat, wurden sie von ihren Redaktionen
       geschickt, um das alles einmal aufzuschreiben, die Sache mit dem Hidden
       Wiki und all den Webshops für Waffen und Drogen und so weiter.
       
       Vor allem für die älteren Journalisten ist das Darknet ein Sehnsuchtsort.
       Es erinnert sie an lange vergangene Zeiten, als das Internet noch eine
       undurchsichtige Angelegenheit war: zugänglich nur mit Spezialwissen,
       ästhetisch anspruchslos, langsam, konspirativ, anonym. Verstanden wurde das
       Netz damals als kohärenter Ort, man konnte „hineingehen“, etwa durch
       „Portale“, drinnen „traf“ man andere Leute in „Räumen“, immer überlagert
       von der noch älteren Idee eines Cyberspace, dessen visuelle Codes durch ein
       paar wegweisende Werke – „Tron“, „Neuromancer“, Neal Stephensons Metaverse,
       „Matrix“ – für immer festgelegt sind.
       
       Das alles hat sich längst erledigt. Allerspätestens durch unsere
       Smartphones wissen wir, dass „das Internet“ sich überall und nirgends
       zugleich manifestiert. Heute ist es snackable und shareable, bright und
       durchgestylt. Das Darknet hingegen ist nicht zu fassen, es ist ein
       chaotischer und unvermessbarer Ort. Für einen kurzen Moment lang bringt es
       das Mysteriöse, die Ängste, aber auch die Utopien von damals zurück, und
       das macht es so faszinierend. Glücklich ist, wer das schwarze Kaninchen
       kennt.
       
       Auf einmal fährt neben uns ein großer Bus vorbei, mit offenem Verdeck. Oben
       stehen Menschen mit bunten Hemden und machen Fotos. Die Leute vom Darknet
       lassen jetzt hin und wieder Touristengruppen rein, um sich ein wenig
       Extra-Bitcoins zu verdienen. Es ist der Anfang vom Ende. Die echten Hacker
       sind eh schon lange im Opaque Web. Das ist noch viel dunkler, geheimer und
       größer als alles andere.
       
       3 Aug 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Brake
       
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