# taz.de -- EMtaz: Die Vorrundenbilanz: Die Nordirlandisierung des Fußballs
       
       > Die Fußball-EM wird in der Gruppenphase von den Underdogs bestimmt. Auf
       > den Rängen ist das gut, auf dem Rasen nicht immer.
       
 (IMG) Bild: Gute Stimmung, ja. Aber guter Fußball?
       
       Sie fühlen sich um ihren verdienten Lohn gebracht. Ein Tor haben die
       Albaner [1][in der Vorrunde erzielt.] Und jetzt? Abflug nach Hause!
       Unfassbar! „Wettbewerbsverzerrung“, schimpfte Verteidiger Mergim Marvraj,
       weil die später antretenden Teams wussten, wie sie spielen mussten, um zu
       den besten Drittplatzierten zu zählen.
       
       Albanien hat bei diesem Turnier ebenso gut gemauert wie Nordirland, Island
       oder die Slowakei und sogar ein Tor geschossen. Welch bitterer Abgang!
       
       Die europäische Anteilnahme ist ihnen gewiss. Recht gefühlig ist es in den
       ersten beiden Turnierwochen zugegangen. Und fast alles drehte sich um die
       kleinen Fußballnationen, die es zu großen Teilen dank des so integrativ
       angelegten Turniermodus tapfer rackernd, rangelnd und ringend bis ins
       Achtelfinale geschafft haben.
       
       Sie haben dieser EM ihren Stempel aufgedrückt. Es ist eine Dominanz des
       Underdogfußballs zu beobachten. Die Erweiterung des Teilnehmerfelds von 16
       auf 24 Mannschaften hat es möglich gemacht.
       
       Sprach man nach der Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine
       davon, dass der Fußball etwas spanischer, sprich ballbesitzorientierter und
       technisch anspruchsvoller geworden sei, kann man analog dazu nun von einer
       Nordirlandisierung des Fußballs sprechen.
       
       ## Der Achterriegel
       
       In den Stadien Frankreichs sind derzeit oft zwei tiefstehende eng
       verknüpfte Viererketten zu sehen, ein Achterriegel, der gern mal noch um
       ein, zwei weitere Spieler verstärkt wird. Strategisch geprägte
       Defensivschlachten, deren Unterhaltungswert sich weniger dem Auge als dem
       Herzen erschließt.
       
       Bei der [2][Partie zwischen Nordirland und Deutschland] wies die
       Torschussstatistik von 2:26 eindrucksvoll den Klassenunterschied zwischen
       den beiden Teams nach, was den nordirischen Coach Michael O’Neil nicht
       daran hinderte, hervorzuheben, wie sehr sein Team sich mit diesem Spiel den
       Einzug ins Achtelfinale verdient habe.
       
       „Mehr als verdient“, fand gar Ungarns Trainer Bernd Storck die eigenen
       Punktgewinne. Und vor allem die Fans hätten es verdient, nach all den
       vielen Jahren, in denen es nichts zu feiern gab. Die notorische
       Erfolglosigkeit verbindet viele der hinzugekommenen Nationen bei diesem
       Turnier. So steigt fast jeder Punktgewinn in den Rang eines historischen
       Ereignisses.
       
       Die Betrachtung auf das Turnier hat sich auch deshalb von dem öden
       Geschehen auf dem Rasen abgewandt und sich den nun fröhlich feiernden,
       entrückten Fans gewidmet, dem häufig beschworenen Stolz aller, und diesen
       unglaublichen Außenseiteranekdoten.
       
       ## Der Basis nah gekommen wie nie
       
       Der vertragslose nordirische Torhüter Michael McGovern oder der isländische
       Keeper Hannes Thor Halldorsson, der vor Kurzem noch als Filmregisseur
       arbeitete, sind vor allem aufgrund ihrer Biografien zu Stars dieser EM
       geworden. Der vielfach besungene Nordire William Grigg ist sowieso bereits
       eine Legende, obwohl er nicht eine Minute auf dem Platz stand.
       
       Wenn man so will, ist der europäische Fußball mit dieser EM der Basis so
       nah gekommen wie noch nie. Er ist weniger elitär. Manch ein mittelbegabter
       Fußballer mag sich in diesen Tagen denken: Ach, wäre ich [3][doch in
       Island] geboren. Und vermarkten lässt sich das Ganze – so der bisherige
       Eindruck – mindestens ebenso gut. Der Preis, den man dafür zahlen muss, ist
       eine retardierende Entwicklung auf dem Rasen: die Nordirlandisierung des
       Fußballs.
       
       Mit dem Beginn des Achtel- und Viertelfinales kann dieses Turnier aber
       wieder eine ganz andere Gestalt annehmen. Wenn die kleinen Nationen sich
       stolz verabschiedet haben, wird vielleicht der Stoff der großen Erzählungen
       wieder eine direkte Anbindung an das Geschehen auf dem Fußballplatz haben.
       Bereits das anstehende Duell zwischen Italien und Spanien weckt da große
       Hoffnungen und Sehnsüchte.
       
       23 Jun 2016
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Johannes Kopp
       
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