# taz.de -- Endokrine Disruptoren: Unaussprechlich und gefährlich
       
       > Die EU-Kommission nennt Kriterien für Chemikalien, die das Hormonsystem
       > angreifen können. Sie schraubt die Hürden für eine Regulierung hoch.
       
 (IMG) Bild: Besser nicht mit Pflanzenschutzmitteln spritzen, die Endokrine Disruptoren enthalten
       
       Berlin taz | Mit zweieinhalb Jahren Verspätung hat die EU-Kommission am
       Mittwoch Kriterien für die Definition sogenannter endokriner Disruptoren
       vorgeschlagen. Das sind Chemikalien, die auf das Hormonsystem einwirken und
       vielfältige Krankheiten auslösen können: Brust-, Prostata- und Hodenkrebs,
       Fortpflanzungsstörungen, Unfruchtbarkeit sowie Diabetes oder
       Fettleibigkeit.
       
       Der zuständige Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis schlägt vor, einen
       Stoff dann als endokrinen Disruptor zu bezeichnen, wenn er erstens eine
       „schädigende Wirkung für die menschliche Gesundheit“ hat, zweitens eine
       „endokrine Wirkungsweise aufweist“ und drittens „eine Kausalbeziehung
       zwischen der schädigenden Wirkung und der endokrinen Wirkungsweise
       besteht“.
       
       Die Definition war nötig geworden, als vor einigen Jahren die
       EU-Richtlinien für Pflanzenschutzmittel und Biozide erneuert wurden.
       Demnach dürfen Ackergifte oder Insektensprays nicht mehr verkauft werden,
       wenn sie solche endokrinen Disruptoren enthalten. Die EU-Kommission erhielt
       die Aufgabe, Kriterien zu entwickeln, damit die Behörden Chemikalien
       benennen und herausfiltern können, die sie einschränken oder verbieten
       können.
       
       ## Spielzeug, Farben, Kleidung
       
       Das ist gar nicht so leicht, denn bei diesen Stoffen handelt es sich nicht
       um eine einzelne bestimmte Chemikalie, sondern um ganz verschiedene Stoffe,
       die in zahlreichen Produkten stecken, in Spielzeug, Farben, Kleidung,
       Lebensmitteln, Kosmetika, Möbeln, Insekten- und Pflanzengiften. Etwa 800
       Stoffe sind als endokrine Disruptoren bekannt, das heißt, sie werden im
       Blut wirksam (endokrin) und greifen ins Hormonsystem ein (Disruptoren).
       
       Seit Jahren fordern Mediziner, solche Substanzen zu verbieten oder
       einzuschränken. Die Industrie wehrte sich lange erfolgreich, die Kommission
       tauchte ab. Erst als die Mitgliedsstaaten sie wegen Untätigkeit erfolgreich
       vor dem Europäischen Gerichtshof verklagten und das Parlament nachdrücklich
       den Kriterienkatalog forderte, lieferte die EU-Behörde.
       
       Unter Umwelt- und Gesundheitsschützern allerdings herrscht nun „Entsetzen“.
       Die Kommission will die Stoffe nämlich einer Risikobewertung unterziehen,
       also nachprüfen, ob bei einer bestimmten Anwendung ein endokriner Disruptor
       tatsächlich eine bestimmte Krankheit auslösen kann. „Damit verlässt die EU
       den gefahrenbasierten Ansatz, den wir fordern“, sagt Andreas Gies vom
       Umweltbundesamt. Die Stoffe wirkten gemeinsam und oft sei schwer
       herauszufinden, welcher Stoff welche Wirkung genau habe. „Aber wir wissen,
       dass sie gefährlich sind“, sagt Gies, „darum wollen wir sie überhaupt nicht
       in der Umwelt haben.“ Das ignoriere der Kriterienkatalog der Kommission.
       
       „Hier werden fast unüberwindbare Hürden für eine Regulierung aufgebaut“,
       kritisiert Susanne Smolka vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN). „Kaum ein
       Stoff wird diese Hürde überspringen.“ Die chemische Industrie allerdings
       ist auch nicht zufrieden und fürchtet ein Verbot einer „Vielzahl wichtiger
       Stoffe“.
       
       15 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Holdinghausen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Chemikalien
 (DIR) Krebs
 (DIR) Schwerpunkt Pestizide
 (DIR) Chemikalien
 (DIR) Schwerpunkt TTIP
 (DIR) EU-Kommission
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) EU-Gesetz gegen gefährliche Ackergifte: Giftkrimi in Brüssel
       
       Die Industrie hat ein Gesetz gegen Chemikalien jahrelang verschleppt – nun
       soll es kommen. Die Umweltverbände bleiben unzufrieden.
       
 (DIR) TTIP für VerbraucherInnen: Ein übler Deal
       
       Der Text der TTIP-Verhandler verweist auf grundlegende Differenzen. Für
       Europas Umweltgesetzgebung könnte das böse enden.
       
 (DIR) EU-Regulierungen über Chemikalien: Rat rügt EU-Kommission
       
       Die EU verschleppt die fällige Regulierung von hormonell wirksamen Stoffen.
       Die Industrie fördert das nach Kräften.
       
 (DIR) Chemikalien als Ursache vermutet: Frühreife Mädchen alarmieren Forscher
       
       Forscher machen Umweltsubstanzen dafür verantwortlich, dass Mädchen immer
       früher geschlechtsreif werden: Die Pubertät setzt im Durchschnitt mit zehn
       Jahren ein.