# taz.de -- Berliner Schau von William Kentridge: Unsicherheit als positive Kategorie
       
       > Großes Theater: Die Ausstellung „No it is!“ des südafrikanischen
       > Künstlers William Kentridge im Martin-Gropius-Bau setzt Dinge in
       > Bewegung.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus: „Breathe, Dissolve, Return“, 2008, 3-Kanalprojektion
       
       „No it is!“ – der Titel der Ausstellung ist zugleich eine Redewendung, die
       in Südafrika zum alltäglichen Sprachgebrauch gehört – und die sich im
       Grunde selbst widerspricht. Man sagt „Nein“, meint aber „Ja“. Um das
       Widersprüchliche, Verwirrende und Verunsichernde, das sich in dieser
       Formulierung zeigt, geht es auch dem südafrikanischen Künstler William
       Kentridge in seiner Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau.
       
       Beim Durchlaufen der sechs Ausstellungsräume treffen die BesucherInnen auf
       ein Konglomerat verschiedener Kunststile: Große Rauminstallationen, in
       denen Videoarbeiten zu sehen sind, wechseln sich ab mit Wunderkammern, in
       denen Kentridge Einblicke in seinen Arbeitsprozess gewährt.
       
       Zusätzlich zur Verbindung von Zeichnung, Skulptur und Grafik stellt der
       Künstler in seiner Werkschau an vielen Stellen Bezüge zum Theater her: So
       wird es vier verschiedene Aufführungen im Haus der Berliner Festspiele in
       der Schaperstraße geben, in denen zum Teil frühere Installationen des
       Künstlers szenisch aufgeführt werden. Keine der Aufführungen lässt sich auf
       ein bestimmtes Format festlegen: Es handelt sich fast immer um hybride
       Kunstwerke, die sich zwischen Theater, Film und Zeichnung bewegen.
       
       Im Gropius-Bau selbst wird an bestimmten Abenden das Cine-Konzert „Paper
       Music“ aufgeführt, bei dem auf Kentridges Kohlezeichnungen basierende
       Animationsfilme durch die Live-Performance zweier Sängerinnen und eines
       Pianisten auf subversive Art und Weise untermalt werden. Besonderes
       Element: Zu einzelnen Terminen gibt es Führungen durch die Ausstellung
       („For Soprano with Handbag“), die von der Sängerin und Schauspielerin
       Joanna Dudley angeleitet werden.
       
       In der gleichen Weise, wie der Künstler seinen Arbeitsprozess
       offensichtlich macht, also die Orte aufzeigt, „an denen die Dinge selbst in
       Bewegung geraten“ (Kentridge), soll auch die angeleitete Führung durch die
       Ausstellung sich selbst und ihre Praxis offenbaren und zugleich
       konterkarieren.
       
       ## Bilder in Verwandlung
       
       Dadurch, dass künstlerische Werke und Praxen in ihre Einzelteile zerlegt
       werden, wird deutlich, wie beliebig austauschbar ihre Oberflächen sind:
       Durch die Verbindung von Zeichnungen und Performances etwa möchte Kentridge
       aufzeigen, dass es sich bei den äußeren Erscheinungsformen nur um Tarnungen
       handelt.
       
       Überthema aller im Rahmen von „No it is!“ stattfindenden Aktionen
       Kentridges ist „Uncertainty“ – Unsicherheit. In den gezeigten Bildern, die
       sich nicht auf ein bestimmtes Medium festlegen lassen, wird dieses Gefühl
       deutlich spürbar. Die Bilder zeigen sich in ständiger Verwandlung und im
       Übergang zu anderen Weisen, die dargestellten Inhalte zu vermitteln.
       
       Kentridge ist daran gelegen, Unsicherheit als positive Kategorie
       darzustellen und ihrer gegenwärtig um sich greifenden Besetzung mit Angst
       etwas entgegenzusetzen. Er möchte Unsicherheit als Strategie vermitteln.
       Das Thema könnte dazu verleiten, Kentridges Werk sowohl vor seinem eigenen
       biografischen Hintergrund als auch in Anbetracht vieler seiner bisherigen
       Arbeiten als hochpolitisch zu bezeichnen – was der Künstler jedoch nicht
       bestätigt.
       
       „Das Politische hat meine Arbeiten zwar stark beeinflusst, war aber nicht
       der Ausgangspunkt“, so Kentridge, „ich kann nur von mir selbst als
       Ausgangspunkt sprechen, alles andere wäre zu beliebig.“
       
       ## Eine sich selbst konterkarierende Führung
       
       Auch die sich selbst konterkarierende Führung durch die Ausstellung
       verdeutlicht die strategische Umsetzung der Unsicherheit. Wenn Joanna
       Dudley bald singend, bald stammelnd oder auch wild gestikulierend und
       schreiend von einem Ausstellungsgegenstand zum nächsten durch die Räume
       flitzt, dann entsteht schnell der Eindruck, dass hier nichts gewiss zu sein
       scheint – es gibt eben nicht die eine Wahrheit, sondern sehr viele
       verschiedene, je nachdem, aus welcher Perspektive man hört, sieht oder
       fühlt.
       
       Erstmals in Deutschland zu sehen ist innerhalb der Ausstellung eine 40
       Meter breite Projektion namens „More sweetly play the dance“. Der Titel
       geht zurück auf Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ und auf dessen
       Aufforderung: „[…] Spiel süßer den Tod, der Tod ist ein Meister aus
       Deutschland“. Eine Prozession lebensgroßer dunkler Figuren ist auf dem
       Marsch vor einem mit Kohle gezeichneten Landschaftshintergrund. Die neben
       bunt gekleideten AkteurInnen, TänzerInnen und einer Blechkapelle tanzenden
       Gerippe lassen die Prozession als einen Totentanz erscheinen.
       
       Die Welt ist provisorisch und absurd, und an dieser Stelle konterkariert
       Dudley nicht das Ausgestellte, sondern fügt diesem Eindruck durch ihre
       gesangliche Untermalung eher eine gewisse melancholische Dramatik hinzu.
       
       21 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annika Glunz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kunst
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommentar Tote Flüchtlinge im Meer: Wir Routinierten
       
       Erneut sterben Hunderte auf dem Mittelmeer. Doch wir kommen damit besser
       klar als vor der „Flüchtlingskrise“. Es braucht nur ein bisschen Ignoranz.