# taz.de -- Polnischer Pfarrer in Ostdeutschland: Der schönste Friedhof des Landes
       
       > Es braucht viel Gottvertrauen, um in Pasewalk katholischer Priester zu
       > sein. Doch Grzegorz Mazur hat Freude daran. Trotz allem.
       
 (IMG) Bild: Heute sollen die Kommunionskinder in Viereck auch lernen, wie man richtig beichtet
       
       PASEWALK taz | Circus Paul Busch, „Ostdeutschlands letzter Großcircus“,
       wirbt ein Plakat vor dem Bahnhof in Pasewalk. Eine Prise Kuhmist und der
       Geruch von frisch gemähtem Gras wehen herüber, überquert man die Uecker in
       Richtung Innenstadt. Der Himmel ist strahlend blau, ein warmer Maitag
       kündigt sich an. Vorbei an gepflegten Vorgärten, dem Seniorenzentrum St.
       Spiritus und einigen Teenagern, die abwechselnd an einer Flasche Mix-Bier
       nippen, gelangt man zur katholischen St.-Otto-Kirche.
       
       Etwas unauffällig liegt sie schräg gegenüber der deutlich älteren und
       eindrucksvolleren evangelischen Kirche desselben Patrons. Ein Schild
       informiert über die Geschichte: auf Deutsch, Englisch und Polnisch. Es ist
       Freitagmorgen, der wöchentliche Treffpunkt für Senioren. Gemeinsames
       Frühstück und Gottesdienst. Doch heute ist die Kirche geschlossen. Keine
       Alten weit und breit. Da öffnet sich ein Tor an der Seite. Pfarrer Mazur
       schlurft in Crocs und gestreiftem Poloshirt heraus und entschuldigt sich.
       Er sei bis gestern im Krankenhaus gewesen und musste alle Termine absagen,
       sagt er. Er lädt in den Gruppenraum des Pfarrhauses.
       
       An der Wand hängen Zeichnungen aus dem Religionsunterricht, darunter ein
       Foto von Papst Johannes Paul II. „Er hat damals viele junge Menschen
       motiviert, zur Priesterschule zu gehen“, sagt Mazur, „auch mich.“
       
       Grzegorz Mazur stammt aus Polen. Aufgewachsen in Liebau, in
       Niederschlesien, wurde der 49-Jährige 2009 nach Vorpommern geholt. Denn
       über die Hälfte der katholischen Gemeindemitglieder hier sind Polen. „Für
       den letzten Pfarrer wurde es problematisch ohne polnische
       Sprachkenntnisse“, sagt Mazur und lächelt. Pfa-RR-e-R. Nur an dem gerollten
       „r“ kann man seine Herkunft erraten.
       
       ## Ein gottloser Flecken?
       
       Für Mazur ist es nicht die erste Station im Nachbarland. Er war bereits
       Pfarrer in einer Gemeinde in der Nähe von Karlsruhe, danach in Wriezen,
       östlich von Berlin. Die Nähe zur Heimat ist ihm inzwischen wichtig. Er
       steht auf und läuft zu der Landkarte an der Tür. Mit dem Zeigefinger
       umzeichnet er den Umkreis seiner Pfarrgemeinde. Etwa 70 km lang und 30 km
       breit, schätzt Mazur. Im Osten endet der Finger an der deutsch-polnischen
       Grenze, im Westen bei Strasburg in der Uckermark. Dahinter beginnt
       Mecklenburg. Etwas mehr als 2.000 Katholiken leben in diesem Gebiet, das
       zum Erzbistum Berlin gehört. Mazur gibt Gottesdienste in den drei Kirchen
       in Pasewalk, Viereck und Strasburg.
       
       Er fühlt sich wohl in Vorpommern. Hier in der ehemaligen DDR, wo gerade mal
       vier bis fünf Prozent der Menschen katholisch sind. Einem der gottlosesten
       Flecken Erde – das hört man oft. Dabei ist Mazurs Gemeinde eher eine
       Ausnahme. Vor mehr als 250 Jahren siedelten die Preußen hier Katholiken aus
       der Pfalz an. Es entstanden rein katholische Dörfer wie Viereck oder
       Hoppenwalde. Nach 40 Jahren DDR ist davon allerdings nicht mehr viel übrig.
       
       Heute sind es wieder Zuwanderer, die die katholische Kirche vor dem
       Aussterben bewahren. Viele Polen, gerade aus Stettin, zieht es in die
       Gegend, weil die Grundstücke noch bezahlbar sind und die Löhne höher als in
       Polen. „Man hat sich aneinander gewöhnt“, sagt Mazur. Das war nicht immer
       so einfach. Vor sieben Jahren, als Mazur seine Stelle in der
       vorpommerischen Kleinstadt antrat, waren Ressentiments gegen Polen noch
       weit verbreitet. Die NPD hetzte gegen sie auf Plakaten mit Sprüchen wie
       „Polen-Invasion stoppen“. Das Gebäude des deutsch-polnischen Gymnasiums in
       Löckwitz, nahe an der Grenze, wurde mit „Polen raus“- Schriftzügen
       beschmutzt.
       
       Kann die katholische Kirche die Zivilgesellschaft gegen die Rechten
       stärken? Mazur zögert. „Das Problem der Rechten existiert heute mehr in den
       Medien als in der Realität“, glaubt er. Viele Polen wüssten gar nichts
       davon. Obwohl auch vor zwei Jahren wieder ein NPD-Kandidat für das
       Bürgermeisteramt in Pasewalk antrat und immerhin fast acht Prozent der
       Stimmen erreichte.
       
       ## Wo Provinz und Multi-Kulti sich mischen
       
       Auch die Kirche beteiligte sich damals an einem Aktionsbündnis gegen die
       Rechten. Als ein bekannter Nazi im Nachbardorf Viereck ein Grundstück
       kaufen wollte, gab es eine Menschenkette von Pasewalk bis in den sechs
       Kilometer entfernten Ort. Ihren schlechten Ruf hat die Gegend aber
       behalten. „Manchmal fragen mich alte Kollegen aus Süddeutschland: ‚Viereck?
       Bist du etwa auch ein Nazi?‘“ Mazur lacht.
       
       Auf dem Pasewalker Markt mischen sich Provinz und Multi-Kulti. Ein paar
       Menschen haben sich vor dem Fleischereistand versammelt. Ein Inder verkauft
       Klamotten, um ihn herum gibt es lokales Gemüse direkt aus dem Kofferraum.
       Vor einer Dönerbude verspeisen eine grauhaarige Frau und ein Mann wortlos
       eine Wurst, sie kommt aus der Fritteuse und ist gleichmäßig braun. Etwas
       weiter außerhalb, hinter der Stadtmauer, befindet sich das Regionalzentrum
       der Caritas. „Wir leben hier ja praktisch in der säkularisiertesten Region
       der Welt“, sagt Alexander Liebisch, der Leiter des Büros, „da ist es
       natürlich nicht so einfach für die Kirche.“
       
       Er sitzt im Garten vor dem blühenden Flieder und fährt sich durch das
       flusige Haar. „Aber es ist gut, dass sie sich der Verantwortung für die
       polnischen Migranten stellt“, fügt er hinzu und zündet sich eine Zigarette
       an. Trotzdem könnte das Engagement der Kirche größer sein, findet Liebisch.
       Beispiel Löcknitz, die Stadt an der Grenze mit vielen polnischen Migranten,
       in der es immer noch keine katholischen Gottesdienste gibt. Und seit
       letztem Jahr leben ja auch etwa 200 bis 300 Flüchtlinge in Pasewalk. Die
       Caritas ist für sie der wichtigste Ansprechpartner im Ort. „Wir sind die
       Fühler in die Gesellschaft“, sagt Liebisch. Darauf solle sich auch die
       Kirche wieder besinnen.
       
       Für Mazur zählen vor allem die traditionellen Aufgaben der Kirche.
       Samstagmittag. Erstkommunionsprobe in Viereck, dem Dorf mit dem schlechten
       Ruf, das nicht viereckig, sondern nach einem preußischen Minister benannt
       ist.
       
       Pfarrer Mazur steigt aus seinem schwarzen Opel und rückt seine Sonnenbrille
       zurecht. „Das schönste Dorf Deutschlands“, er grinst, „zumindest der
       schönste Friedhof.“ Mazur ist gut gelaunt. Es geht heute um die Jungen. Die
       kümmern sich immer weniger um Religion. Die St.-Marien-Kirche in Viereck
       ähnelt der in Pasewalk. Roter Backstein, neugotischer Stil, innen etwas
       karg. Auch hier waren die angesiedelten Pfälzer am Werk. 1911 stellten sie
       die Kirche fertig, die Gemeinde gab es da schon längst.
       
       ## Polnisch als Standortvorteil
       
       Die ersten Kinder trudeln in der Kirche ein. Mazur wirft sich die violette
       Stola über den dunklen Anzug und begrüßt die Familien. „Wir wollen morgen
       ein großes Fest feiern“, beginnt er. „Erstkommunion!“, ruft ihm ein Mädchen
       entgegen. Vierzehn Kinder sind gekommen, auch einige Eltern. Fast alle sind
       Polen. Heute sollen die Kinder auch die Beichte lernen. „In jedem Menschen
       steckt ein kleiner Zachäus“, erinnert sie Mazur. Was können Siebenjährige
       beichten? Streit, Lügen, Schimpfwörter. Sünden eben. „Ihr könnt auf
       Polnisch oder Deutsch sprechen – wie ihr wollt“, sagt Mazur. Ein blonder
       Junge traut sich als Erster auf den Stuhl neben dem Pfarrer und flüstert
       ihm seine letzten Sünden ins Ohr. Nach und nach folgen die anderen Kinder.
       
       Vor der Kirche sitzen drei Mütter auf einer Bank. Sie sprechen polnisch.
       Die Kinder spielen Fangen. „Czekaj!“ „Du bist dran!“ „Jeszcze raz!“ Eine
       Familie ist extra aus Löcknitz, nahe der Grenze, gekommen. Spräche der
       Pfarrer nicht polnisch, wären sie wohl nach Stettin gefahren, sagt der
       Vater. Die Entfernung ist ungefähr dieselbe. Sie sind nicht die Einzigen,
       die von außerhalb gekommen sind.
       
       Drinnen proben Mazur und die Kinder den Ablauf für die morgige
       Erstkommunion. Nach vorne laufen. Niederknien. Das Brot entgegennehmen.
       Amen. „Passt auf, dass ihr morgen nicht über eure Kleider stolpert!“ Ein
       Lied. Danksagung, Fürbitten – zwei auf Polnisch, zwei auf Deutsch. „Lauter
       sprechen!“ Singen. Predigt. Einreihen. Nach vorne treten. „Noch mal ohne
       Drängeln!“ Niederknien. Die Kerze entgegennehmen. Zum Ausgang laufen.
       Geschafft! Zwei Stunden sind um.
       
       Einer der Nachbarn begleitet die Kinder nach draußen. Er ist Deutscher und
       wohnt schon lange hier. Die Kirche spiele höchstens noch eine
       untergeordnete Rolle im Dorf. Leider. Die Alten sterben weg und die Jungen
       verlassen den Ort auf der Suche nach Arbeit. Und die DDR sei eben auch
       nicht spurlos an dem ehemals katholischen Dorf vorbeigegangen. „Da sind die
       Polen eine Bereicherung“, sagt er, „sonst wären wir noch weniger.“ Er ist
       froh über den Pfarrer, der Polnisch spricht.
       
       Mazur steigt ins Auto. Er wirkt zufrieden. Nur ein bisschen zu lange war
       die Probe. In einer Stunde startet schon sein nächster Gottesdienst in
       Strasburg. Abends eine Taufe in Pasewalk. Dann ist Pfingstsonntag. Ganz
       schön viel zu tun für einen Pfarrer im katholischen Niemandsland.
       
       5 Jun 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paul Toetzke
       
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