# taz.de -- ESC-Kolumne #Waterloo in Stockholm 8: Letzte Verwarnung für Armenien
       
       > Während des Halbfinales hielt Armeniens Kandidatin die Fahne
       > Bergkarabachs in die Höhe. Eine Provokation, die nicht zum ersten Mal
       > vorkommt.
       
 (IMG) Bild: Singen für Bergkarabach: Hamburgerin Iveta Mukuchyan beim Wettbewerb
       
       Das war strikt verboten und doch hat es ein Mensch aus der armenischen
       Delegation gemacht: Während des ersten Halbfinales beim Eurovision Song
       Contest im Green Room – wo sich nach den Auftritten die Künstler versammeln
       – hielt die armenische Kandidatin Iveta Mukutschjan die Fahne Bergkarabachs
       in die Höhe, wedelnd. Das musste als politisches Statement, ja als
       Provokation verstanden werden, vor allem von der aserbaidschanischen
       Delegation, die im gleichen Raum saß. Bergkarabach liegt als Enklave in
       Aserbaidschan und wird von Armenien territorial beansprucht.
       
       Sängerin Iveta, eigentlich eine Hamburgerin aus dem rotgrünen Stadtteil
       Eimsbüttel, die zum Studium nach Erewan geschickt wurde und sich aufs
       Singen konzentrierte, sagte zur Begründung: „Mein Herz möchte nichts
       anderes als Frieden auf der Welt und Frieden für Armenien.“ Das klang zwar
       treuherzig, war aber nichts als eine eine schamlose Ausrede: Frau
       Mukutschjan weiß sehr genau, dass die Flaggenwedelei strikt regelwidrig ist
       – in diesem Fall sogar kriegszündelnd provokant.
       
       Das Direktorium des ESC hat nun beraten und den Vorfall sehr ernsthaft
       diskutiert. Im Juni werde man über eine angemessene Sanktion beraten – aber
       sicher sei auch: Sollte diese Geste aus der armenischen Delegation
       wiederholt werden, gar durch die Sängerin selbst, würde sie noch vor dem
       ersten Ton im Finale disqualifiziert werden.
       
       Dass gerade Armenien den ESC nutzt, um den Nachbarn Aserbaidschan politisch
       zu provozieren, ist bekannt. Vor sieben Jahren beim ESC in Moskau war auf
       der sichtbaren Seite des Zettels, von dem die armenische Punktevorleserin
       ihre Wertungen zu verkünden hatte, ein Zeichen zu sehen, das für
       wahrscheinlich 96 Prozent des europäischen Publikums nicht entzifferbar
       war, aber vom aserbaidschanischen sehr wohl: Es zeigte nämlich ein Bild des
       in Bergkarabach zu sehenden Monuments Tatik Papik. Die ESC-Leitung kündigte
       damals Sanktionen an – aber welche es waren, ist nie bekannt worden.
       
       Beide Länder haben sich für das samstägliche Finale qualifiziert. Es steht
       nicht zu erwarten, dass auch nur ein Punkt aus dem einen an das andere Land
       vergeben wird.
       
       ## Die historische Wahrheit
       
       Ihren großen Auftritt heute am Donnerstag beim zweiten Semifinale wird die
       Ukrainerin Jamala haben. Ihr Lied heißt „1944“ und handelt von der
       stalinistisch inspirierten Vertreibung und Deportation der Krimtataren von
       ihrer Halbinsel ins sowjetische Asien. Jamala sagte: „Ich weiß gar nicht,
       ob ich hier zum Contest passe.“ Sie beteuert, eine persönliche, eine sehr
       authentische Geschichte zu erzählen – es sei die historische Wahrheit, die
       in Europa unbekannt sei.
       
       Denn: Die Ukraine gehört zu Europa, nicht nur geographisch. Wörtlich gab
       sie mir zu Protokoll: „Vergesst uns nicht – wir wollen die gleiche Freiheit
       wie ihr. Wir sind doch auch Europa.“ Und was sie von Russland erwarte, dem
       sie, falls sie ins Finale gewählt wird, dort begegnen wird: „Ich möchte
       Russland nur dies sagen: Lasst uns in Ruhe.“
       
       12 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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