# taz.de -- Kolumne #Waterloo in Stockholm 4: Windmaschinen? Blumengärten!
       
       > Deutsche Popmusik hat sich lange Zeit Inszenierung und Glamour
       > verweigert. Die ESC-Kandidatin 2016 kann sich in Puncto Style aber messen
       > lassen.
       
 (IMG) Bild: Geheimnisvoll und Mangahaft: Jamie-Lee Kriewitz feiert ihren Sieg beim ESC-Vorentscheid
       
       Das Märchen vom echten Pop, von guter Musik im Fernsehen geht so: Früher,
       da reichte es, Musikanten auf die Bühne zu stellen, auf dass das Publikum
       sich an ihnen und ihren Klängen erfreut. Der Eurovision Song Contest stand
       immer im Verdacht, diese Authentizität – noch so ein deutsches Sehnen: Eine
       Sache muss innen wie außen in Identität verknüpft sein – übel auszuhebeln.
       Kommerziell zu sein: Inszenierungen sind gegen die Idee des
       Ursprünglichkeiten.
       
       Im Pop – wie in seiner europäischen Wettbewerbsform, dem Eurovision Song
       Contest – war das schon immer eine Lüge, in Deutschland eine gern
       geglaubte: Deshalb hat sich aus unserem Land heraus nie eine besondere
       Liebe zum Künstlichen, zum Glamour, zum Over-the-top entwickelt. Deutsche
       Popmusik setzt auf Erdiges: Kein Wunder, dass einer wie Herbert Grönemeyer
       [1][der Übervater deutschen Pop] ist. Ruhrpott plus Männergefühle: Allet
       schick.
       
       Dieses Jahr schickt die ARD eine Kandidatin zum ESC, die in puncto Style
       sich an internationalen Maßstäben messen kann: Jamie-Lee Kriewitz, Tochter
       aus einer Familie, in der Vater dem Punk anhängt. Sie liebt das Mangahafte,
       das Asiatische, K-Pop. Hier in Stockholm hat sie eine Probe hinter sich.
       Den Organisationen hinter den Kulissen bereitet ihr Auftritt nicht
       menschlich Probleme, sondern weil es nur zwei Minuten gibt, die der Aufbau
       der Kulisse zu „Ghost“ dauern darf.
       
       Die Bühne ist so groß, wie es sich für eine ESC-Halle gehört: Man braucht
       Platz für alle Kandidaten, im Finale in einer Woche 26. Jeder Act soll nach
       eigenen Wünschen ins Licht gesetzt werden. Jamie-Lees Performance findet
       unter einem heller werdenden Mond statt, darunter ein Gestrüpp, manche
       sagen: ein entlaubter Wald, der in grellen Bonbonfarben per LED-Animation
       glüht. Eine Atmo, wie es seitens der Bühnengestalter heißt, des
       Geheimnisses, des, wie der Titel ja nahelegt, Geisterhaften. Aus dem Boden
       steigt effektheischend Nebel – besser: Dampf. Vielleicht aus sumpfigem
       Untergrund?
       
       Jamie-Lee ist in gewisser Weise ein angehender Pop, der in Deutschland nur
       in einer Nische lebt: Mit Helden und Heldinnen, die sich Kunstwelten
       hingeben, und auch wissen, dass sie dies tun. Der ESC ist der alljährliche
       Versuch, den nationalen Popgeschmäckern einen Rahmen zu geben. Jamie-Lees
       Inszenierung lebt den Traum, die irdischen Farben von Geburt und Tod (rot
       und braun) hinter sich zu lassen.
       
       Nur eine wirkt momentan echter: Die Italienerin Francesca Michielin, die
       ihre absolut pompöse Schnulze „Nessun grado di separazione“ (wie sich das
       schon schön spricht!, auf Deutsch hieße das behördlich „Kein Grund zur
       Trennung“) [2][in einem hängenden Gemüse- und Obstgarten] vorträgt, der
       obendrein in einem See verankert ist: absolut sinnlos, aber schön, zumal
       zum feinen Gesang der jungen Frau aus Bassano del Grappa. Niemand wirkt so
       echt und ernsthaft wie sie.
       
       Pop kann eben doch erst ernsthaft sein, wenn es den Boden der Realitäten
       verlässt – erst recht beim ESC in Stockholm.
       
       8 May 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.youtube.com/watch?v=Gtd9Bg9S85U
 (DIR) [2] http://www.youtube.com/watch?v=fYr4Rfwdmxw
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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