# taz.de -- Josep Guardiola in der Bundesliga: Die kickende Postmoderne
       
       > Effizienz und Ästhetik: Warum Josep Guardiola der beste Trainer ist, der
       > je im deutschen Profifußball gearbeitet hat.
       
 (IMG) Bild: Viele Bundesligafans nehmen Guardiola nur unscharf wahr. Dabei hat er klare Spuren hinterlassen
       
       Eine der aberwitzigen Diskussionen der Gegenwart ist die Frage nach einer
       bleibenden Leistung des Fußballtrainers Josep Guardiola. Wie wir wissen,
       hat der Katalane mit dem FC Bayern München dreimal in Folge die Champions
       League nicht gewonnen. Womit für manche alles klar ist: unvollendet. Oder
       gleich: gescheitert. Besonders raffinierte Kritiker formulieren das so,
       dass er damit ja wohl den eigenen Ansprüchen nicht genügt habe. Und noch
       raffiniertere Kritiker erklären die Guardiola-Frage zum „Kulturkampf“, in
       dem sich die neuen Dafür- und Dagegen-Ideologen der gefährlichen Religion
       Ballbesitz auf der Metaebene so verbittert gegenüberstehen wie einst Jutta
       Ditfurth und Daniel Cohn-Bendit.
       
       Das ist komplett falsch.
       
       Die Phase ist vorbei, in der sich politische Menschen in den Fußball
       flüchteten, dafür ist die politische Gegenwart zu spannend und zu wichtig.
       Wir haben es in einem kleinen Bereich der Rezeption mit einem neuen Niveau
       der verfachlichten Feuilletonisierung des Spiels zu tun, die den Fußball
       mit anderen Kulturen und politischen Bereichen kurzschließt. Und die Figur,
       die diese Erweiterung am stärksten inspiriert hat, ist Josep Guardiola.
       Damit ist nicht gemeint, dass er sich für ein unabhängiges Katalonien
       engagiert oder einmal öffentlich Gedichte vorgelesen hat. Damit meinen wir
       den Fußball, den er für und mit dem FC Bayern entwickelt hat.
       
       Jeder kann selbst bestimmen, was der Fußball für ihn bedeutet.
       Unterhaltungsmaschine. Identifikationsfläche. Soziale Lebenswelt. Aber
       zunehmend eben auch wissenschaftlicher und kultureller Resonanzraum. Die
       Erweiterung der Möglichkeiten und speziell die Verfachlichung wird von
       manchen Stakeholdern aber als Bedrohung der eigenen Claims empfunden. Weil,
       früher war doch alles klar: Bei Rückstand einen zusätzlichen Stürmer
       einwechseln, wenn es nicht läuft, mehr über die Flügel spielen. Und auch
       wenn die anderen schön spielen, gewinnen am Ende doch „wir“ Deutsche. Oder
       gerade deshalb.
       
       Die Frage lautet: Wo bleibe ich, wenn jetzt auch noch der Fußball
       kompliziert und schön oder gar rational sein soll? Bild, zum Beispiel,
       wehrt sich heftig gegen die Entwicklung. Verständlich: Es befördert ihren
       Machtverlust. Exnationalspieler zetern auch: Früher bekamen sie die
       Trainerjobs, heute fast nur noch Leute, die qualifiziert sind.
       
       ## Wissenschaftlicher Laptop-Fußball
       
       Guardiola und auch der Dortmunder Trainer Thomas Tuchel sind Symbole der
       neuen Realität des wissenschaftlichen Laptop-Fußballs. Selbstverständlich
       sind auch sie besessen von ihrer Arbeit bis zum Irrsinn. Aber anders als
       der emotionale Jürgen Klopp oder der joviale Joachim Löw verstärken sie
       zudem durch ihre verschlossene Persönlichkeit den Eindruck mancher, es
       werde ihnen etwas weggenommen.
       
       An dem Fußball der beiden führenden Bundesligamannschaften kann man sehen,
       dass es in dieser Saison gerade nicht mehr um die Frage ging: Ballbesitz
       oder Umschaltspiel? Guardiola hat ja von Sommer 2013 an seinen
       Barcelona-Stil des permanenten Kurzpassspiels undogmatisch erweitert. Es
       fing mit dem Stoßstürmer Lewandowski an, ging mit dem immer wieder bewusst
       gesetzten diagonalen Flugball weiter und endete im furiosen
       Champions-League-Halbfinalrückspiel gegen Atlético mit einem
       Flankenfeuerwerk, wie man es selten sah. Auf der anderen Seite hat Tuchel
       das Umschalt-Stakkato seines Vorgängers (Balleroberung, Tempokonter,
       Abschluss) ballbesitzifiziert – mit spektakulärem Ergebnis. (Was wegen der
       Bayern-Dominanz nicht so richtig aufgefallen ist.)
       
       Bayern und der Vizemeister BVB sind nicht mehr das eine oder das andere,
       sondern Varianten der fußballerischen Postmoderne, die aber beide auf
       Ballbesitz basieren. Was übrigens auch für Bayer Leverkusen und Borussia
       Mönchengladbach gilt. Man kann also nach dieser Saison in Deutschland von
       einem Oben-Fußball sprechen – der auf Kontrolle durch Ballbesitz basiert.
       Und einem Unten-Fußball, der Kontrolle ohne Ballbesitz anstrebt und dessen
       erfolgreichste Vertreter Darmstadt 98, Mainz 05 und der FC Ingolstadt sind.
       Der VfL Wolfsburg ist das einzige Team, das Oben-Fußball spielte – und
       damit unten landete. Weil man sich daran verhob. Aber es fehlte auch der
       Spirit.
       
       ## Keine Neid-, Mecker-, Beleidigte-Leberwurst-Stories
       
       Die Bundesligagegenwart bedeutet nicht, dass Ballbesitz immer „besser“ ist.
       Bayerns europäischer Bezwinger Atlético Madrid beweist das mit seiner
       kunstvollen Verbindung von Antiballbesitz und perfekten Tempokontern. Auch
       das ist fußballerische Postmoderne. Aber nur, wenn das entscheidende
       Momentum dazukommt: exzeptioneller Spirit. Das ist über den Stilmix hinaus
       ein zentraler Punkt dessen, was Guardiola geschafft hat: die Identifikation
       der Spieler mit der Idee. Kein Zickentum oder Heldenfußball, sondern das
       Zurückstellen der Einzelnen hinter die Mannschaft auf höchstem
       individuellen Niveau. Guardiolas Bayern kriegen nicht zufällig auch die
       wenigsten Gegentore. Und zumindest die Spieler haben praktisch keine Neid-,
       Mecker-, Beleidigte-Leberwurst-Stories geliefert. Womit aber halt auch
       manchen Leuten (und Medien) etwas weggenommen wird: die Realitysoap vom FC
       Hollywood.
       
       Josep Guardiola wird übrigens in den inneren Zirkeln der Liga deutlich
       höher geschätzt als in der Öffentlichkeit. Die Frage, was von ihm bleiben
       wird, erscheint da nachgerade absurd. Zum Beispiel der Weltmeistertitel
       2014. Während in der Vor-Guardiola-Zeit die Nationalmannschaft kurzzeitig
       sogar die Liga beeinflusste, orientierte sich Löw vor der WM 2014 eindeutig
       an der Entwicklung des Bayern-Teams.
       
       Guardiola übernahm die Bayern 2013 auf einem Ergebnishöhepunkt („Triple“),
       was ja häufig das Ende eines Leistungszyklus markiert. Bei ihm war es der
       Anfang. Er entwickelte einen Stil, der erstmals in der Clubgeschichte
       Effizienz und Ästhetik so verband, dass sogar der die Gesellschaft
       definierende Antagonismus Bayernanhänger vs. Bayernhasser durchbrochen
       wurde. „Mia san mia“ beziehungsweise „Bayerndusel“ war abgeschafft, also
       die Chiffren des Clubs und seiner Gegner für Siege ohne ästhetische oder
       stilistische Begründung. Man sieht den Bayern heute zu, weil man
       spektakulären Fußball zu sehen bekommt und jedes Mal aufs Neue neugierig
       ist, was dieser Trainer sich diesmal alles ausgedacht hat. Das alles ist
       begleitet von drei Meisterschaften und der mit Abstand besten Bilanz aller
       Bayern-Trainer in der Liga: 80 Prozent Siege. Selbst Ottmar Hitzfeld hat
       nur 57 Prozent.
       
       Da kann man nicht bloß sagen: Super, super, super. Da bleibt nur ein Wort:
       Einmalig.
       
       14 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Fuchs
 (DIR) Peter Unfried
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Triple
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball-Bundesliga
 (DIR) Pep Guardiola
 (DIR) Fußball-WM
 (DIR) Real Madrid
 (DIR) FC Bayern München
 (DIR) Fußball
 (DIR) DFB-Pokal
 (DIR) Europa League
 (DIR) Fußball
 (DIR) Relegation
 (DIR) Deutscher Meister
 (DIR) Atlético Madrid
 (DIR) Pep Guardiola
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Messi und Ronaldo dominieren die WM: Unsterblicher Heldenfußball
       
       Ohne Helden funktioniert der Fußball nicht. Da helfen die besten Konzepte
       nichts. Um die Nachfolge von Messi und Ronaldo muss sich keiner sorgen.
       
 (DIR) Kolumne Press-Schlag: Hier sind auch die Poeten am Ball
       
       Real, Atlético, Barça und Sevilla: Die Dominanz spanischer Vereine hat
       strukturelle Gründe. Da hilft den anderen nur Demut und Studium.
       
 (DIR) Bayern München will noch mehr Geld: Gute Freunde kann was trennen
       
       Der Bayerische Rundfunk hat die Double-Feier des FC Bayern München nicht
       live übertragen. Was ist da los im Freistaat?
       
 (DIR) DFB-Finale Bayern gegen Dortmund: Menschwerdung eines Fußballheiligen
       
       Der FC Bayern hat Borussia im Elfmeterschießen niedergerungen. Dann wurde
       es emotional – mit Glitzer, Trainertränen und Heiligenverehrung.
       
 (DIR) Bayern gewinnen DFB-Pokal: Letzter Titel mit Guardiola
       
       Pep Guardiola verlässt den FC Bayern als Double-Gewinner. Die Anspannung
       entlädt sich beim Katalanen nach dem Pokalsieg gegen Dortmund in Tränen.
       
 (DIR) Europa-League-Finale Liverpool-Sevilla: Endspiele kann er nicht
       
       Liverpool dominiert das Finale gegen Sevilla und geht in Führung. Dann
       stellt die Mannschaft das Fußballspielen ein. Und die Spanier verteidigen
       den Titel.
       
 (DIR) EM-Kader der Nationalmannschaft: Högschd disziplinierter Kader
       
       Bundestrainer Jogi Löw hat den vorläufigen Kader für die
       Europameisterschaft in Frankreich bekanntgegeben. Es gibt einige
       Überraschungen.
       
 (DIR) 34. Spieltag Fußball-Bundesliga: Werder schafft Klassenverbleib
       
       Stuttgart und Hannover steigen ab. Der angeschlagene SV Werder Bremen
       rettet sich in der 88. Minute – und Eintracht Frankfurt muss in die
       Relegation.
       
 (DIR) Fußball-Bundesliga am Samstag: Die Bayern sind durch
       
       Für viele Vereine heißt es aber: weiter zittern. Die Entscheidungen über
       den zweiten Direkt-Absteiger und die Relegation fallen erst beim Finale.
       
 (DIR) Vorschlussrunde Champions League: Guardiola mit Halbfinal-Triple
       
       Zwei verschossene Elfmeter, drei Tore und ein Sieger, der ausscheidet:
       Atlético Madrid steht im Finale der Champions League, die Bayern sind raus.
       
 (DIR) Kolumne Pressschlag: Mittelfeld für Guardiola
       
       Pep Guardiolas versöhnlicher Abgang steht beim Duell gegen Atlético auf dem
       Spiel. Die Fans werden ihm nicht nachtrauern.