# taz.de -- Zwei neue Comics: Tödlicher Schnee in Buenos Aires
       
       > Düstere Science-Fiction: Hector Oesterhelds argentinischer Klassiker
       > „Eternauta“ und Philippe Druillets „Lone Sloane“.
       
 (IMG) Bild: Juan Salvo, Überlebender des tödlichen Schnees in „Eternauta“
       
       Science-Fiction kann vieles, eines aber nicht: in überzeugender Weise von
       der Zukunft erzählen. All die fremden Welten, all das Leben in fernen
       Galaxien, all die technischen Utopien und Schreckensbilder – sie sind
       weniger Ahnung des Kommenden als getreue Widerspiegelungen des jeweiligen
       Zeitgeistes. Gerade wer der Gegenwart entrinnen will, bleibt an sie
       gefesselt; das gilt für Science-Fiction ebenso wie für ihr scheinbares
       Gegenstück, den historischen Roman.
       
       Mustergültig lässt sich das in den beiden „Lone Sloane“-Abenteuern
       beobachten, die Philippe Druillet zwischen 1970 und 1973 gezeichnet hat.
       Sloane ist ein Space Cowboy, ein abgebrühter kosmischer Drifter. Im ersten
       Band begegnet er dem frei im All schwebenden „Thron des schwarzen Gottes“
       und wird in Konfrontationen mit diversen bizarren Wesenheiten verwickelt;
       im zweiten Band reist er auf einen Planeten, der ein einziges riesiges Las
       Vegas ist und klaut dort kaltblütig eine ungeheure Geldsumme, die in einer
       perfekt gesicherten Schatzkammer lagert.
       
       Von der klassizistischen Dezenz, die belgische und französischen Comics
       lange prägte, entfernt Druillet sich so weit wie überhaupt möglich.
       Aggressive psychedelische Kolorierung, ungewöhnliche Formate oder völliger
       Verzicht auf Panels, Verwendung von kühnen Perspektiven und Symmetrien –
       jede Seite in „Lone Sloane“ ist ein visueller Exzess.
       
       Die berauschende Wirkung, die dieser Trip in der Hippie-Ära hatte, will
       sich heute nicht mehr einstellen. Stattdessen fällt auf, mit wie viel
       Bombast und mit Anleihen, die von der Bibel über Lovecraft bis zu Hesse
       reichen, hier äußerst dünne Plots kaschiert werden. Druillet ist weniger
       Zeichner als Designer; das Ideal des Dekorativen, dem er huldigt, führt
       dazu, dass man seine Comics kaum mehr lesen, sondern nur noch wie ein
       Poster Book durchblättern mag.
       
       ## Attacke Außerirdischer
       
       Ebenfalls zeittypisch, aber ungleich interessanter ist die Serie
       „Eternauta“. Héctor Germán Oesterheld, ihr Autor, war der wichtigste
       Szenarist der blühenden argentinischen Szene der Fünfziger und Sechziger.
       1976, nach der Machtergreifung der Junta unter General Videla, folgte
       Oesterheld seinen vier militanten Töchtern in den Untergrund. Die jungen
       Frauen wurden gefasst und ermordet, dann auch er. Die Umstände seines Todes
       sind ungeklärt; seine Leiche wurde nie gefunden.
       
       „Eternauta“ wurde erstmals 1957 bis 1959 veröffentlicht und spielt im
       Buenos Aires der damaligen Zeit. An einem Abend beginnt plötzlich ein
       Schnee zu fallen, der alle, die mit ihm in Berührung kommen, sofort tötet.
       Juan Salvo, ein Unternehmer, überlebt zusammen mit seiner Familie und drei
       Freunden. In einen Taucheranzug gehüllt, erkundet er die Umgebung und muss
       feststellen, dass der Niederschlag nur der Auftakt einer globalen Attacke
       Außerirdischer war, der die Menschheit kaum etwas entgegenzusetzen hat.
       
       Vor dem Hintergrund von Oesterhelds politischem Engagement ist es üblich
       geworden, „Eternauta“ als eine visionäre Vorwegnahme der Verhältnisse in
       der späteren Militärdiktatur zu sehen. Diese Lesart ist verführerisch,
       allerdings handelt es sich um eine rückwirkende Projektion. „Eternauta“
       erzählt zunächst einmal eine in der Hochzeit des Kalten Krieges gängige
       SF-Invasionsgeschichte, im mittleren Teil nicht frei von Längen und
       Wiederholungen. Bewundern muss man aber, wie ernsthaft und erwachsen, wie
       modern Oesterheld seinen Stoff interpretiert, etwa wenn er, trotz der sich
       überstürzenden Handlung, seiner Hauptfigur Zeit zu reflektieren gibt oder
       immer wieder deren Hilflosigkeit betont.
       
       Ein wenig durchwachsen ist auch die Qualität der Zeichnungen von Francisco
       Solano López. Die Hintergründe sind oft nur angedeutet oder sehr
       schematisch. Dies dürfte dem enormen Produktionsdruck geschuldet sein:
       „Eternauta“ erschien wöchentlich in dem Comic-Magazin Hora Cero. Am
       stärksten sind die Bilder am Anfang. Die nächtlichen Szenen im Schnee
       zeigen in ihrem delikaten Detail- und Kontrastreichtum, wie genau López die
       großen amerikanischen Schwarz-Weiß-Zeichner studiert hat, speziell Milton
       Caniff, den Schöpfer von „Terry and the Pirates“.
       
       „Eternauta“ ist nicht das makellose Meisterwerk, als das dieser Comic gerne
       gehandelt wird. Dass er in einer prachtvollen Ausgabe endlich auf Deutsch
       vorliegt, ist dennoch wunderbar und eine weitere Großtat des kleinen Avant
       Verlags. Im Jahr 1969 hat Oesterheld die Serie übrigens noch einmal
       aufgegriffen, in Zusammenarbeit mit dem genialen, avantgardistischen
       Zeichner Alberto Breccia. Wenn auch diese Version nun übersetzt werden
       könnte – das wäre sehr schön!
       
       11 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Haas
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Graphic Novel
 (DIR) Comic
 (DIR) Erzählungen
       
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