# taz.de -- 30 Jahre Tschernobyl: Nukleare Start-ups
       
       > Für die Fans erneuerbarer Energien gilt: Atom hat keine Zukunft. Aber
       > viele Leute sehen das anders. Sie haben tiefe Taschen und mächtige
       > Freunde.
       
 (IMG) Bild: Was läuft durch die Netze? Ist die Atomkraft am Ende? Oder kommt die Renaissance der Atomkraft?
       
       Paris, Mittwochabend: Im Elysée-Palast ruft Frankreichs Staatspräsident
       François Hollande die Spitze des Energiekonzerns Electricité de France
       (EDF) zu einem Krisentreffen zusammen. Es geht um die Zukunft der
       Atomkraft.
       
       Frankreich setzte wie kein anderes Land in Europa auf die Kernspaltung.
       Jetzt kommt die Rechnung: EDF, zu 85 Prozent in Staatshand, drücken 37,4
       Milliarden Euro Schulden, zudem fehlen Milliardenrücklagen, um alte
       Atommeiler zu verschrotten. Der Aktienkurs hat sich seit Januar halbiert.
       Der zweite Atomkonzern Areva ist praktisch pleite. Nur weil er fast
       komplett in Staatshand ist, bleibt die Insolvenz aus.
       
       Und ausgerechnet die Franzosen sollen die britische Atomwirtschaft retten.
       Am Standort Hinkley Point an der Westküste Englands will EDF zusammen mit
       einem chinesischen Partner einen neuartigen Europäischen Druckwasserreaktor
       errichten, 24 Milliarden Euro soll er kosten. Die britischen Regierung
       verspricht, 35 Jahre lang mehr als das Doppelte für den Strom zu zahlen als
       derzeit üblich – Subventionen von mehr als 100 Milliarden Euro.
       
       Details von dem Treffen im Elysée sind nicht bekannt, nur das Thema: Soll
       Frankreich Hinkley Point aufgeben? Ja, sagen Gewerkschaften und sogar die
       EDF-Konzernleitung, trotz des britischen Geldregens. Die Risiken scheinen
       unkalkulierbar. Denn an der französischen Seite des Ärmelkanals errichtet
       EDF in Flamanville ebenfalls einen Europäischer Druckwasserreaktor, dessen
       Kosten sich mehr als verdreifacht haben. In Kombination mit einem Aus in
       England mutiert Frankreichs Atomwirtschaft allmählich zu einem nationalen
       Trauma.
       
       ## Nuclear ist hip
       
       Atomkraftgegner in aller Welt hätten einen weiteren Beweis dafür, dass die
       Technik eine Sackgasse war – wer braucht noch Meiler, wenn sich bald jeder
       Kleinbauer eine Solaranlage mit Batterie leisten kann?
       
       Es gibt eine Menge Leute, die das anders sehen. Ausgehend vom Silicon
       Valley, ist nuclear in den USA nicht nur nicht tot, sondern wird wieder
       richtig hip. Das Versprechen: eine Kombination mit Fusionsenergie, bei der
       Atomkerne nicht gespalten, sondern verschmolzen werden. Nicht wenige
       Internetmilliardäre stecken ihr Geld in entsprechende Start-ups.
       
       Jeffrey Bezos, Gründer von Amazon, investiert in General Fusion in British
       Columbia. Peter Thiel, mit Paypal zu Milliarden gekommen, steuerte eine
       2-Millionen-Geldspritze zu Transatomic Power bei, das Reaktoren mit
       Atommüll betreiben will. Bill Gates ist seit 2006 im Atomgeschäft und
       steckt hinter TerraPower, wo man Energie aus abgereichertem Uran gewinnen
       will, was die Produktion von Brennstoffen erleichtern soll. Paul Allen,
       Microsoft-Mitgründer, setzt mit Tri Alpha Energy ebenfalls auf
       Fusionsenergie.
       
       Die Argumentation ist stets die gleiche: billige Energie, keine Belastung
       des Klimas. Und auch wenn bisher keines der neuen Konzepte funktioniert,
       die Politik glaubt daran: Barack Obamas Clean Power Plan vom vergangenen
       Jahr – weniger Kohlekraft, weniger Treibhausgase, mehr Wind- und
       Solarenergie – enthielt ein klares Bekenntnis zur Atomkraft. 900 Millionen
       Dollar Forschungsgelder jährlich stellt die US-Regierung bereit, damit
       Start-ups neue Reaktoren entwickeln können. Weitere 12,5 Milliarden Dollar
       kann die Atomwirtschaft abrufen, um Kredite abzusichern, was die Zinsen
       senkt.
       
       ## Atomkraft als Klimaschutz
       
       Also was jetzt: Atomkraft am Ende oder Renaissance der Atomkraft? Das
       entscheidet am Ende die Politik. In einem reinen Marktumfeld wäre Atomkraft
       nicht wettbewerbsfähig. „Ohne dass ein Staat wesentliche Risiken übernimmt,
       wäre ein Kernkraftwerk nur schwer umzusetzen“, sagt der Chef des
       Energiekonzerns Eon, Johannes Teyssen, schon vor zwei Jahren in der taz.
       
       Während in Deutschland Klimaschutz mit einem klaren Antiatomkurs verbunden
       ist, ist es genau die Debatte über die Erderwärmung, die der Atomenergie
       neuen Auftrieb gibt. Für Großbritannien und die USA sind Atomkraftwerke
       schlicht Klimaschützer, weil sie fast kein CO2 emittieren. Staatliche
       Unterstützung für neue Reaktoren fällt dort unter das Thema Umweltschutz.
       „Momentan ist das Argument der CO2-freien Stromproduktion ein starker
       Antreiber der Kernenergie“, sagt etwa Mike Middleton, Berater am britischen
       Energy Technologies Institute, an dem auch EDF beteiligt ist.
       
       In Middletons Argumentation müssen die Kosten von Atomkraft mit anderen
       Technologien verglichen werden, die CO2 sparen und verlässlich Strom
       liefern: also etwa Solar- oder Windkraft in Kombination mit
       Energiespeichern oder fossile Energieträger, bei denen die Klimagase
       herausgefiltert und unterirdisch verpresst werden.
       
       Was die Kosten angeht, sieht er Hinkley Point nicht als Beweis dafür, dass
       Atomkraft zu teuer ist, sondern dafür, dass sie richtige Rahmenbedingungen
       braucht: garantierte Strompreise wie für Wind- oder Solarstrom und
       natürlich öffentliche Hilfe, auch für Forschung und Entwicklung.
       
       ## Kleinere Reaktoren
       
       Ein zweites Versprechen: Atomtechnik wird wieder billiger – auch wenn in
       Flamanville oder auch im finnischen Olkiluoto die Kosten explodiert sind.
       
       Zudem gibt es für AKW-Fans eine neue Zukunftshoffnung: Small Nuclear
       Reactors, kurz SMR. Die Idee ist, dass kleinere Reaktoren neuer Bauart pro
       Stück wesentlich billiger werden. Sie wären nicht – wie Hinkley Point oder
       Flamanville – quasi Einzelanfertigungen, sondern sollen in Fabriken gleich
       zu Dutzenden vom Band rollen. Kleiner, mehr potenzielle Kunden, also
       niedrigere Kosten, dadurch weniger finanzielles Risiko und niedrigere
       Zinsen. Dass die Technik sicher – auch vor Terrorangriffen – sei, wird in
       sämtlichen Publikationen zu dem Thema quasi selbstverständlich zugesichert.
       
       Der atomkritische [1][„World Nuclear Industry Status Report 2015“] kommt in
       Sachen SMRs allerdings zu einem vernichtenden Urteil: Seit Jahrzehnten
       preise die Atomwirtschaft sie als Zukunftstechnologie an, doch noch nie
       hätten sich die Versprechen erfüllt. Für die Milliardäre in Silicon Valley
       gilt: Mit Technik ist alles möglich. „Es ist extrem wichtig, diese
       Technologien zu finanzieren, um radikal neue Lösungen zu bekommen. Aber vor
       2030 werden wir sie nicht sehen“, sagt Mike Middleton.
       
       Mitarbeit: Rudolf Balmer
       
       27 Apr 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.worldnuclearreport.org/-2015-.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
       ## TAGS
       
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