# taz.de -- Seminar zur Flüchtlingsberichterstattung: Und keiner redet über Böhmermann
       
       > In Izmir diskutieren deutsche und türkische Journalisten über
       > Flüchtlinge. Haben die Medien dazu beigetragen, Ressentiments zu schüren?
       
 (IMG) Bild: Nun werden Geflüchtete von Lesbos zurück von Izmir gebracht – beobachtet von der Presse
       
       Izmir taz | Die Nachricht, dass Angela Merkel ein Verfahren gegen Jan
       Böhmermann zulässt, platzt mitten in die Diskussion über Fotos in der
       Flüchtlingskrise. Es ist Freitagmittag in einem Hotel in Izmir. Deutsche
       und türkische Journalisten, Medienwissenschaftler und NGO-Mitarbeiter
       diskutieren über ethische Berichterstattung über Flüchtlinge. Das
       Auswärtige Amt hat zu einem Medienseminar eingeladen – ausgerechnet in der
       Woche, in der sich die Böhmermann-Affäre auf ihren vorläufigen Höhepunkt
       geschaukelt hat.
       
       Dass es bei dem Seminar um Flüchtlingsberichterstattung gehen soll, steht
       seit Langem fest. Deswegen trifft man sich auch in Izmir, dem Küstenort,
       von dem bis vor wenigen Wochen Flüchtlinge in Schlauchboote gestiegen sind
       und die griechischen Inseln angesteuert haben. Auch hier hat das
       Zeitgeschehen die Workshop-Planer überholt: Seit der Deal mit der Türkei in
       Kraft ist, steigen kaum noch Flüchtlinge in Izmir in Gummiboote. Zum Glück,
       denkt man, wenn man an der steilen Felsenküste steht.
       
       Es scheint in diesen Tagen, als gäbe es in puncto Türkei kein anderes Thema
       als Böhmermann. Als wäre kein Krieg im Südosten des Landes, als mache
       Erdoğan nicht Jagd auf kritische Journalisten, als wären all die
       Flüchtlinge, derer sich die EU durch ihren schmutzigen Deal mit der Türkei
       entledigt hat, vergessen. Wer aktuell über die Türkei berichtet,
       beschäftigt sich vor allem mit der Frage, ob „Ziegenficker“ ein
       angemessener Begriff der Satire ist.
       
       Trotzdem – oder genau deswegen: In Izmir interessiert sie kaum jemanden.
       Der Moderator der Diskussionsrunde, ein ehemaliger Journalist des
       türkischen Programms der Deutschen Welle, hört die Böhmermann-Nachricht aus
       dem Publikum, verkündet sie kurz und niemand reagiert. Die deutschen
       Journalisten sind von der Debatte so genervt, dass sie jedes Gespräch
       darüber am liebsten abwürgen. Den türkischen Kollegen ist die deutsche
       Diskussion ziemlich egal. Auch sie sagen: Haben wir nicht andere Probleme
       als einen deutsche Satiriker?
       
       ## Angst herbeigeschrieben?
       
       Die Flüchtlinge zum Beispiel. Haben die Medien dazu beigetragen,
       Ressentiments zu schüren – oder haben sie die vorhandenen Ressentiments nur
       aufgegriffen und darüber berichtet? Gut 3 Millionen Flüchtlinge leben
       derzeit in der Türkei, 2,7 Millionen davon aus Syrien. Bis 2015 seien sie
       in der türkischen Presse kein Thema gewesen, sagt der
       Kommunikationswissenschaftler Bülent Mehmet Çapli. Nun zeigten Umfragen,
       dass rund die Hälfte der Türken glaube, durch die Syrer ihren Job zu
       verlieren.
       
       Mehr als 60 Prozent sind überzeugt, dass Kriminalität und Prostitution
       durch die Flüchtlinge ansteige – obwohl die Kriminalitätsstatistiken
       anderes beweisen. Das läge auch an der teils provozierenden,
       vorurteilsbeladenen Berichterstattung in der Türkei, glaubt Çapli. Dem
       stimmt auch Esra Sancaklı zu, die für eine Nichtregierungsorganisation für
       Flüchtlinge arbeitet. Andererseits hätten nie so viele Türken Geld
       gespendet wie nach der Veröffentlichung des Fotos des in Bodrum
       angeschwemmten toten syrischen Kindes, Alan Kurdi.
       
       Die Frage, wie die Medien die Stimmung in der Flüchtlingsfrage
       beeinflussten, beschäftigt auch die deutschen Kollegen. An der „Verrohung“
       der Debatte seien auch die Journalisten schuld, sagt Spiegel-Redakteur
       Maximilian Popp. Sie hätten die Stimmung „herbeigekippt“.
       
       Beispiele dafür finden sich genug: Angela Merkel in einer Photoshop-Collage
       im Tschador in der Sendung „Bericht aus Berlin“, die andauernden Berichte
       über überforderte deutsche Kommunen, die Bild-Zeitung mit ihrem Ruf nach
       Obergrenzen. Merkels „Wir schaffen das“ wurde von einem medialen „Wir
       können das gar nicht schaffen“ abgelöst. Spätestens nach der Gewalt in der
       Kölner Silvesternacht.
       
       ## Äußerst zaghaft
       
       Das derzeit aktuellste Thema in Sachen Pressefreiheit in der Türkei
       allerdings, nämlich die Unterwerfung kritischer Medien unter das
       Erdoğan-Regime, blieb weitgehend unangetastet. Türkische Kollegen von eher
       staatsfernen Medien sprachen zaghaft von einer „Polarisierung“ der Medien
       im Land – eine verharmlosende Untertreibung, die zeigt, wie wenig kritisch
       sich viele türkische Journalisten offenbar nur noch äußern können.
       
       Andererseits ist das ja auch kein schlechter Witz, ausgerechnet an Tag, an
       dem in Deutschland eine Klage wegen Majestätsbeleidigung zugelassen wird,
       von Türken eine Einschätzung der Pressefreiheit in ihrem Land hören zu
       wollen. Böhmermann würde dieser Witz gefallen.
       
       Das Seminar wurde veranstaltet und finanziert vom Auswärtigen Amt
       
       17 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Fromm
       
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