# taz.de -- Hauptstadtklub Hertha BSC: Die alte Dame in der Traumdestille
       
       > Hertha in der Champions League? Warum nicht? Über das Wiedererstarken des
       > Klubs, der noch immer um die Gunst der Neuberliner kämpfen muss.
       
 (IMG) Bild: Zwei Gesichter der neuen Hertha: Salomon Kalou (l.) und Genki Haraguchi
       
       Berlin taz | Es war irgendwann Mitte Dezember, als Deutschland die Hertha
       entdeckte. Da kletterten die Berliner auf den dritten Tabellenplatz, und
       niemand konnte so richtig erklären, wie sie eigentlich dahin gekommen
       waren. Das Fußballwunder von Berlin, hieß es da. Pál Dárdai sträubte sich
       dagegen. „Wenn man uns regelmäßig beim Training zuschaut, müssen wir nicht
       über Wunder reden“, sagte der Trainer. „Dann müssen wir über Arbeit reden.
       Wir haben bis jetzt noch nicht einmal Glück gehabt.“ Es waren
       selbstbewusste Worte für einen Coach, dessen Verein noch in der Vorsaison
       knapp dem Abstiegsgespenst von der Schippe gesprungen war.
       
       Noch in diesem Dezember gingen viele davon aus, Hertha stehe so gut da,
       weil die anderen so schlecht seien. Selbst der Hertha-Anhang, der auch dann
       der Meinung ist, Hertha gehöre in die Champions League, wenn sie gerade in
       der Zweiten Liga sind, wirkte einigermaßen überrascht. Nun stehen die
       Berliner immer noch auf einem Champions-League-Platz und nebenbei im
       Halbfinale des DFB-Pokals.
       
       Gerhard Jungfer schüttelt den Kopf über die aktuelle Platzierung. „Damit
       hätte niemand von uns gerechnet“, sagt er. „Vor allem nach der letzten
       Saison.“ Jungfer, Glatze, Bart, dicker Bauch, ist der Typ Urberliner, der
       an Papas Hand ganz natürlich den Weg zur Hertha fand. Fan seit 1980,
       sozialisiert zur Zeit der Kuttenfans, ist er heute Inhaber der
       Hertha-Kneipe „Der Herthaner“ in Neukölln. Eine verrauchte Eckkneipe vom
       alten Schlag, über und über mit Fahnen und Wimpeln dekoriert, wie aus der
       Zeit gefallen in einer Straße voller Studentenbars, Hipster-Läden und
       veganer Imbissbuden. Es ist ein verregneter Abend und die Kneipe ist leer.
       Zeit also, um ein bisschen über die Hertha zu quatschen.
       
       Hatte der Verein Glück, weil die Konkurrenten regelmäßig patzen? Jungfer
       zuckt die Achseln. „So ist Fußball“, sagt er. „Wer weiß, wenn die anderen
       besser gewesen wären, vielleicht wären wir dann noch besser.“ Es klingt ein
       wenig trotzig: Den Erfolg, wo sie ihn nun schon mal haben, wollen sie sich
       von niemandem klein reden lassen. „Die Einstellung der Spieler hat sich
       verändert. Plötzlich ist die Bereitschaft da, füreinander zu kämpfen, die
       Laufleistung ist viel höher. So was kann nur der Trainer rausholen.“ Es
       läuft immer irgendwann auf den Trainer hinaus beim Hertha-Anhang. Pál
       Dárdai, der bodenständige Ur-Herthaner mit der gewissen Schlitzohrigkeit
       genießt in Berlin Sympathien wie lange kein Trainer mehr vor ihm. Wer den
       Erfolg von Hertha verstehen will, muss beim Trainer anfangen.
       
       Dabei fing es gar nicht so harmonisch an. Als Pál Dárdai im Februar 2015
       hastig vom Jugendtrainer zum Profitrainer befördert wurde, um den
       glücklosen Jos Luhukay abzulösen, galt er zunächst als Verlegenheitslösung.
       Offensiv gelang der Mannschaft fast gar nichts mehr; im Schnitt nicht mal
       mehr ein Tor pro Spiel. Dass der Abstieg verhindert werden konnte, durfte
       mit Recht als glücklich gelten. Doch etwas hatte sich verändert, ohne, dass
       die Öffentlichkeit viel Notiz davon nahm: Es gab in 15 Spielen nur noch 14
       Gegentore. Dárdai hatte die Abwehr stabilisiert. Die starke Defensive wurde
       ein zentraler Baustein für den Erfolg. Diese Saison hat Hertha mit nur 27
       Gegentoren die beste Abwehr der Liga nach dem FC Bayern und Borussia
       Dortmund.
       
       Nachdem der Abstieg verhindert war, begann Dárdai an der Offensive zu
       feilen. Hertha schoss diese Saison zwar immer noch weniger Tore als alle
       anderen Teams im oberen Tabellendrittel, fuhr aber nach Bayern und Dortmund
       die meisten Siege ein. Knappe Resultate und effektive Chancenverwertung
       wurden zum Markenzeichen der Berliner, ebenso wie intensive Laufarbeit.
       
       „Die Basis für alles ist eine Fitness“, so der Ungar. „Wer viel rennt, kann
       auch mehr Bälle erobern.“ Mittlerweile gehören die Berliner zu den
       laufstärksten Teams der Liga. Zugute kam Dárdai diese Saison zudem, dass
       die Einkäufe der Sommerpause sofort einschlugen. Ohne Vedad Ibisevic,
       Mitchell Weiser und Vladimir Darida wäre der derzeitige Erfolg kaum
       denkbar. Mit seiner Mischung aus Kumpelhaftigkeit und ruhiger Autorität
       konnte der Trainer eine Mannschaft formen, die sich offenbar auch als
       Mannschaft fühlt. „Unser Geheimnis ist der Teamgeist“, sagte Dárdai im
       Februar. Eigentlich könnte also alles prima sein. Wenn da nicht die Sache
       mit dem Publikum wäre.
       
       „Ich versteh es einfach nicht“, sagt Gerhard Jungfer in seiner Kneipe.
       45.000 Zuschauer wollten diese Spielzeit im Schnitt den
       Champions-League-Aspiranten Hertha BSC spielen sehen. Das ist nicht nur
       ligaweit ein schlechter Wert, sondern schlecht selbst für
       Hertha-Verhältnisse. „Als wir damals in der Zweiten Liga waren, sind mehr
       Leute gekommen“, sagt Jungfer. Allerdings nur knapp: Hertha und das
       Berliner Publikum, das ist keine Liebesbeziehung. Hertha BSC, dieser
       Parvenü mit der latent großen Klappe, komme einfach nicht an in der hippen
       Partystadt Berlin, sagen viele. Die zugezogenen coolen Jungs stünden eher
       auf den Zweitligisten Union Berlin, den sympathischen Underdog mit dem
       alternativen Sankt-Pauli-Flair. Was stimmen mag. Doch kann das wirklich
       alles sein?
       
       „Nee“, sagt Jungfer. „Die Hipster kommen auch zu Hertha ins Stadion. Das
       ist ja das Problem.“ Die Ostkurve sei für ihn einfach nicht mehr dasselbe,
       seit Typen mit Brillis im Ohr und gezupften Brauen kämen. Viele alte
       Haudegen, Kutten, Arbeiterklientel, würden abwandern, vertrieben durch hohe
       Eintrittspreise und die neue Fanklientel. „Selbst das Merchandising wird
       nur auf diese Hipster ausgerichtet.“ Gleichzeitig kommen zu wenig junge
       Leute nach. „Der Verein war jahrelang zu abgekapselt. Für Fans haben die
       sich nicht interessiert. Das hat Union viel besser gemacht, die machen
       richtig gute Fanarbeit.“
       
       Fast 20.000 Zuschauer gehen im Schnitt zu Union Berlin. Viele Kinder haben
       ihr Herz auch längst anderweitig verloren, sind Bayern-Fans oder
       Dortmunder. „Es gibt zu viele Erfolgsfans in Berlin“ seufzt Jungfer. Man
       geht zu Hertha, um die andere Mannschaft zu sehen. Auch in Jungfers Kneipe
       kommen trotz der erfolgreichen Saison nur die gleichen Leute wie immer.
       Erfolg von Hertha bedeutet in Berlin offenbar erst mal: Sich bewusst
       werden, dass dieser Verein überhaupt existiert. Abgesehen natürlich von den
       Vierteln wie dem Wedding.
       
       Eine kleine Eckkneipe mitten im Wedding, überall Hertha-Deko,
       Spielautomaten, zum Verwechseln ähnliches Flair wie in Jungfers Kneipe.
       Allerdings mit einem Unterschied: Selbst mittags ist der Laden hier gut
       besucht. In der „Kugelblitz Destille“, Hertha-Kneipe seit Urzeiten, geführt
       mittlerweile von Klaus Kuhfeld und seiner Frau Christiane Görlitz, sitzen
       alte Männer, deren Leben immer schon die Hertha war, alle
       Dauerkartenbesitzer, und trinken den dritten Schnaps, während sie darauf
       warten, dass der Spielautomat mal ein paar Münzen ausspuckt. Bis zu 70
       Leute kommen an guten Tagen hierher, um die Hertha zu sehen. Und Klaus
       Kuhfeld, auch immer schon Herthaner, sagt, er sei kein bisschen überrascht
       vom aktuellen Erfolg: „Ich träume jedes Jahr davon, dass wir in die
       Champions League kommen. Ich habe vom ersten Tag an dran geglaubt.“
       
       Sie sind hier weit weg von der Studentenklientel der Weserstraße. Hier
       regiert die Hertha. Einer der Männer hat schon angekündigt, sich bei einem
       Pokalgewinn das Hertha-Logo auf die Glatze tätowieren zu lassen. Dass in
       der Stadt selbst so wenig Stimmung herrscht, klar, das ist schade. Aber es
       sei eben immer schon schwer gewesen für die Hertha in Berlin, sagt Klaus
       Kuhfeld. „Es gibt zu viel Fluktuation in der Stadt. Die Zugezogenen haben
       ja schon alle ihren Heimatverein, den behalten sie. Und es gibt über 120
       Erstligisten hier, das lässt sich mit anderen Städten nicht vergleichen.“
       
       Mit nur 40.000 Leuten sei es sowieso schöner im Olympiastadion. „Das sind
       die wirklichen Hardcore-Fans.“ Dass die Hertha-Vereinsführung derzeit laut
       darüber nachdenkt, mittelfristig in ein neues Stadion umzuziehen, ein
       reines Fußballstadion mit kleinerem Fassungsvermögen und potenziell
       besserer Stimmung, stößt im Kugelblitz denn auch auf mäßige Begeisterung.
       „Es kann ja nicht sein, dass der Hauptstadtverein dann irgendwo in
       Brandenburg spielt.“ Naja, irgendwann würde es wohl schon nötig sein –
       dann, wenn Hertha wieder richtig groß wird.
       
       In diesen Tagen blitzt wieder auf, was sie bei der Hertha große Klappe
       nennen, was manche nervt und die Fans an sich selbst so schätzen. Voll
       Optimismus blicken sie in die Zukunft: „Wenn wir uns jetzt ein paar Jahre
       für die Champions Leauge qualifizieren, stehen wir in zehn, fünfzehn Jahren
       da wie Bayern München“, sagt Gerhard Jungfer in Neukölln.
       
       Das meint er ernst. „Wenn es so weitergeht, holen wir nächste Saison das
       Double“, sagt Klaus Kuhfeld im Wedding. „Und darauf das Jahr das Triple.“
       Das meint er nicht ganz so ernst, aber so lustig eben auch nicht. Sein
       Kumpel, der mit dem Hertha-Emblem auf der Glatze, winkt lachend ab. „Nie im
       Leben.“ – „Ach, sei doch still, du ungläubiger Thomas“, ruft Kuhfeld. „Ich
       werd ja wohl noch träumen dürfen.“
       
       3 Apr 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alina Schwermer
       
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