# taz.de -- Wolfgang Niedecken über Köln: „Für mich ist das Globalpatriotismus“
       
       > In seiner Heimat traf schon immer die Welt aufeinander, sagt der
       > BAP-Sänger. Ein Gespräch über Köln zwischen Silvester und Karneval.
       
 (IMG) Bild: „Die Kölschbesoffenheit und der Übergang zu den ,Kölsch-Nationalen‘, der ist natürlich fließend.“ – Wolfgang Niedecken.
       
       Sonntagmorgen, 11 Uhr. Berlin schläft. Wolfgang Niedecken kommt mit seiner
       Frau Tina Niedecken in ein Kreuzberger Café, das von außen orange leuchtet.
       Weil in Köln in allen Sälen Karneval ist, hat er vor ein paar Tagen das
       neue BAP-Album halt in Neukölln vorgestellt. „Second best“, sagt er. 
       
       taz.am wochenende: Herr Niedecken, die sexuellen Übergriffe gegen hunderte
       Frauen auf der Kölner Domplatte . . . 
       
       Wolfgang Niedecken: Ich hab inzwischen schon manchmal das Gefühl, dass ich
       mich dafür entschuldigen muss, dass das in Köln passiert ist.
       
       Ist Ihnen das unangenehm? Bei Ihrem Konzert im Berliner Heimathafen haben
       Sie das Thema sehr dezent berührt. 
       
       Jetzt kommt mal was Schönes aus Köln, habe ich gesagt. Wir waren jedenfalls
       fassungslos, ich dachte: Das kann doch nicht sein. Doch! Es ist tatsächlich
       in Köln passiert.
       
       Köln steht jetzt für Ängste, Staatsversagen, politische Propaganda von
       allen Seiten. Wie sehen Sie die Lage? 
       
       Sexuelle Gewalt ist nicht zu tolerieren, das ist selbstverständlich. Die
       Untersuchungen sind aber immer noch nicht abgeschlossen und längst nicht
       alle Fragen geklärt: Wieso reisen so viele nach Köln, hat das jemand
       organisiert? Wenn es kriminelle Banden waren, steckt jemand dahinter? Aber
       da bewege ich mich schon in Richtung Verschwörungstheorien und das möchte
       ich nicht. Man muss allerdings fragen: Wem nützt das, was in Köln passiert
       ist? Es nützt der AfD, der Pegida, überhaupt allen Ewiggestrigen. Und dann
       nützt es auch dem IS.
       
       Sie verdächtigen die islamistische Terrororganisation? 
       
       Ich sage nicht, dass der IS dahintersteckt. Aber wenn aus einer
       Willkommenskultur plötzlich „Ausländer raus!“ wird, dann hätte der IS
       Deutschland da, wo er uns haben will: der Staat, in dem man Muslime hasst.
       
       Sie sind mit BAP groß geworden in einer Zeit, in der Rock ’n’ Roll den
       gesellschaftlichen Protest vergrößern half – und umgekehrt. Diese Allianz
       gibt es nicht mehr. 
       
       Das sehe ich nicht so. Wir haben letztes Jahr im Januar in Dresden vor der
       Friedenskirche ein Konzert gegen Pegida gespielt. Im Schneetreiben. Herbert
       Grönemeyer, Gentleman, Silly, Keimzeit, Jupiter Jones, meine Wenigkeit und
       viele mehr. Das war ein richtiges Statement, genau an der Stelle, an der
       sonst Pegida marschiert. So was geht immer noch. Übrigens organisiert von
       Dresdner Ärzten.
       
       Gegen Pegida, das ist eine einfache Gut-Böse-Konstellation. Aber wofür
       mobilisiert man in der komplexen Flüchtlingssituation? 
       
       Ja, das ist ganz schwer. Ich versuche es, indem ich meine Meinung sage,
       wenn man mich fragt. Und wenn es irgendwo eine gute Idee gibt, was man
       machen kann, dann bin ich dabei. So wie beim „WIR. Stimmen für geflüchtete
       Menschen“-Konzert auf dem Münchner Königsplatz im vergangenen Oktober.
       
       Die Kölner Ereignisse haben die offene Gesellschaft nicht gerade gestärkt,
       sondern die Rufe nach Begrenzung und Kontrolle. 
       
       Es ist legitim, zu fragen, wie viel man verkraften kann.
       
       Sie sind Mitverfasser von Navid Kermanis „Kölner Botschaft“ für eine offene
       Gesellschaft. Darin heißt es auch, dass „eine unkontrollierte Zuwanderung
       solchen Ausmaßes, wie wir sie seit dem Herbst beobachten, nicht von Dauer
       sein kann“. Sie lehnen Obergrenzen und Grenzschließungen ab. Aber was
       schlagen Sie vor? 
       
       Auch auf die Gefahr hin, dass Schäubles schwarze Null nicht gehalten wird,
       muss deutlich mehr Geld in die Flüchtlingslager der Länder fließen, die an
       Syrien angrenzen. Außerdem braucht es mehr Personal, um die
       Zuwanderungsanträge zu bearbeiten, und drittens müssen die sicheren
       Herkunftsländer auf den Prüfstand.
       
       Und die offene Gesellschaft? 
       
       Wenn Menschen vor Krieg fliehen, dann sollte man sich doch auf jeden Fall
       einig sein, dass man die aufnimmt. Wenn da keine Einigkeit mehr besteht,
       dann brauche ich auch keine Sonntagsreden mehr, keine Krippenspiele und
       keine Sankt-Martins-Züge. Dann kann ich auf das alles verzichten. Das wäre
       dann ein kultureller Offenbarungseid.
       
       In Ihrem neuen Song „Vision vun Europa“ beschreiben Sie den Versuch zweier
       Brüder aus Mali, nach Spanien zu kommen. Sie entlarven damit auch die
       Illusion, dass Flüchtlinge zu Hause bleiben, wenn man den Heimatstaaten
       hilft. 
       
       Dat sich do jet draan ändert, verjess et, kein Changs. Nix wie weg, sulang
       mer noch kann. Ich war oft in Afrika, im Ostkongo, in Ruanda. Die Leute
       sagen: Ich will hier weg, denn ich werde während meiner Lebenszeit niemals
       eine Chance haben, für mich und meine Familie.
       
       Es gibt aber doch viele Afrikas. 
       
       Das stimmt, aber da fällt mir sofort Alfred Jahn ein. Der war Chefchirurg
       der Kinderklinik Landshut und ist nach seiner Pensionierung nach Ruanda
       gezogen. Er hat etliche ausgebildet, von denen er dachte, dass sie im Land
       bleiben. Aber die sind alle weggegangen. Er ist dort bis heute der einzige
       Kinderchirurg. Dabei ist Ruanda noch ein prosperierendes Land. Jetzt musst
       du überlegen, wie das erst im Ostkongo ist oder im Südsudan, wo du wirklich
       nicht sein willst.
       
       Herr Niedecken, es gibt die Forderung, auch der für sexuelle Übergriffe
       berüchtigte Kölner Karneval müsse sich endlich ändern. 
       
       Zunächst mal hat sich der Karneval in den vergangenen drei Jahrzehnten
       ziemlich geändert.
       
       Ja? 
       
       Jetzt mal chronologisch: Die erste BAP-Single 1980 hieß „Chauvi Rock“ und
       war die allererste karnevalskritische Nummer. Ein totaler Flop. Wollte
       niemand hören. Bei ‚Nit für Kooche‘ …
       
       … zwei Jahre später auf dem Album „vun drinne noh drusse“ … 
       
       … genau, da fanden die Leute das dann schon toll und sagten: Endlich mal
       was Karnevalskritisches. Drei Jahre später kam die Stunksitzung, die sehr
       viel verändert hat, die den traditionellen Kölner Karneval infrage gestellt
       hat. Alternativer Karneval halt.
       
       Alternativer Karneval ist ein Widerspruch in sich. 
       
       Klar. Aber: Diese ganzen verschiedenen Stadtsoldaten mit ihren bunten
       Uniformen, damit wurde ja ursprünglich das preußische Militär verarscht.
       Aber irgendwann wurde das von Vereinsmeiern übernommen, die sich
       tatsächlich gern als Militär fühlten. Die Stunksitzung hat den Karneval auf
       seinen ursprünglichen satirischen Gedanken zurückgeführt.
       
       Die Grundlage von Karneval ist das Überschreiten der Alltagsnorm. Um kurz
       Druck abzubauen und dann wieder brav zu funktionieren. Kann es da
       Emanzipation geben? 
       
       Auf jeden Fall hat der Karneval an Mief verloren.
       
       Was wurde aus Kölns härtestem Karnevalskritiker, der am Rosenmontag in die
       Fränkische Schweiz floh? 
       
       Ich bin immer noch am liebsten weg. Aber wenn ich in Köln bin, bleibe ich
       zu Hause und fahr meine Mädels dahin, wo sie feiern wollen. Die komplette
       weibliche Besetzung im Hause Niedecken findet Karneval super.
       
       Und Sie? Haben Sie Ihren Furor verloren oder sind Sie klüger geworden? 
       
       Mein einschneidender Moment kam, als ich 2012 beim Jubiläumskonzert der
       Bläck Fööss auf der Domplatte zwei oder drei Songs mit denen gespielt habe.
       Wenn ich nicht dran war, habe ich mir von der Bühnenseite das Publikum
       angeguckt, wie sie da in Massen selig schunkelten. Und irgendwann habe ich
       gedacht: Was ist daran falsch? Ist doch okay. In diesem Moment habe ich
       meinen Stamm endlich verstanden.
       
       Was war Ihre Erkenntnis? 
       
       Sie wollen zusammen glücklich sein. Warum soll ich ihnen das madig machen?
       Das sind mündige Menschen, das müssen die selber entscheiden, ob sie gute
       oder schlechte Lieder singen. Ich bin da nicht der Juror.
       
       Viele suchen derzeit Halt in einer religiösen oder ethnischen Gemeinschaft.
       Was ist mit der ausgrenzenden Dimension des Lokalpatriotismus? 
       
       Die kann er haben, ja. Die Kölschbesoffenheit und der Übergang zu den,
       Anführungszeichen, Kölsch-Nationalen, der ist natürlich fließend. Aber in
       Köln kreuzen sich auch seit jeher zwei wichtige Verkehrs- und Handelswege:
       Erstens der Rhein, zweitens existierte hier über Jahrhunderte die einzige
       Rheinbrücke. Hier traf die Welt aufeinander und hier musste man miteinander
       auskommen. Auch wenn das Wort multikulti mittlerweile verpönt ist: Wir sind
       seit Jahrhunderten multikulti, uns ist ja gar nichts anderes übrig
       geblieben. Für mich ist der Kölner Lokalpatriotismus auch ein
       Globalpatriotismus.
       
       31 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Unfried
       
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