# taz.de -- Essay über Lachen: Das Narrenschiff geht niemals unter
       
       > Warum lachen die anderen? Und wir? Erwägungen anlässlich einiger recht
       > bekannter Präzedenzfälle. Eine Vorbereitung auf die Karnevalssaison.
       
 (IMG) Bild: Voll lustig
       
       In einer frühen Radio- und Filmszene, „Die Büttenrede“, lässt Gerhard Polt
       einen von ihm selbst gespielten Faschingsprinzen Erwin Wurster auftreten,
       der im häuslichen Schlafzimmer und im Schlafanzug für die „lieben Närrinnen
       und Narren“ des nächsten, des morgigen Auftritts Witze, Pointen und Reime
       ausprobiert. Erwin, vom schon fortgeschrittenen Fasching und seinen eigenen
       Prinzeneinsätzen und Alkoholschäden offenbar vollkommen geschlaucht,
       memoriert dabei lauter schon extrem törichte und dabei wie tödlich ermüdete
       Zwei- und Vierzeiler:
       
       „Wir lassen‘s heut besonders krachen, 
       
       Wir bringen heute was zum Lachen, 
       
       Für alle, die da unten hocken, 
       
       Wenn‘s kracht, dann bleibt kein Auge trocken.“ 
       
       Erwin, immer verzweifelter, auch wohl noch schwer verkatert, gibt
       gleichwohl nicht auf, memoriert tapfer weitere Verse wie:
       
       „Alaaf, hellau, alaaf, hellau, 
       
       Der Schnaps schmeckt uns auch ohne Frau“ 
       
       – allerdings dann auch:
       
       „Der Schnaps schmeckt jetzt auch meiner Frau“ 
       
       – denn siehe:
       
       „Und is‘ die Alte endlich voll, 
       
       Dann wird der Abend doch noch toll.“ 
       
       Denn schließlich und immer trostloser:
       
       „Das Narrenschiff geht niemals unter, 
       
       Wir bleiben heiter, froh und munter.“ 
       
       Erwin übt nicht nur und testet dirigierend neue Überraschungsvarianten samt
       Tusch und „Dadaa-dadaa“-Nachhall – er weiß auch schon den erwünschten
       Effekt: „Da wieherns’ dann, die Leute“, und, nach dem nächsten besonders
       erbärmlichen Witz: „Tusch – und da lachens‘ dann wieder.“
       
       Erwin Wurster hat völlig recht, und aus Erfahrung praktisch schon alles
       fertig programmiert. Der Film und die keineswegs eingespielten Lacher bei
       Polts Bühnenvorführungen beweisen es: Das Publikum lacht wie ein
       Lachautomat. Nur: ist trotzdem nie so ganz klar, wieso, warum sie lachen.
       
       Trotz der nicht mehr überbietbaren dummen Verse – oder gerade ihretwegen?
       Wegen der durchaus virtuosen Torheit inklusive Polts unnachahmlich
       clownesker, nahezu tragischtrauriger Vortragsweise und Miene? Die den
       Menschen im Publikum Erinnerungen an ähnliche wirkliche Faschingstrübsale
       weckt? Man möchte das zweite annehmen, aber sicher kann man da nie sein.
       Sie lachen, offenhörbar auch bei Polt, jenseits jeden Niveaus, jeden Sinns.
       Sie? Zumindest viele.
       
       Noch unklarer ist die analoge Sache bei dem sehr poltverwandten
       Jahrhundertkomiker Heino Jaeger. Bei einem speziell bunten Rezitationsabend
       in Saarbrücken ca. 1970 bringt Jaeger in der noch heute als CD erhaltenen
       Fünf-Minuten-Nummer „Der Conferencier“nicht nur circa alle
       branchentypischen Blödigkeiten auf den ihrerseits wunderbar komischen
       Punkt; sondern auch den ab ovo schön konstruierten, aber halt leider
       steinalten Witz: „Wenn die Frauen verblühen, verduften die Männer!“
       
       Wie von Jaeger auch ganz bestimmt erwartet, kräht das große Publikum auf,
       und als der Conferencier sich für den einfältigen Beifall bedankt, auch
       dafür, er habe den Witz hier ja eigentlich schon mal vor zehn Jahren
       gemacht, dankt ihm nochmals entschlossenes Lachen.
       
       ## Virtuose Frechheit
       
       Ähnlich wie bei Polt ist schlechterdings ununterscheidbar, über was sie
       lachen: über den altbackenen Witz? Oder über die virtuose Frechheit, ihn
       hier – parodierend – nochmals zu präsentieren? Oder gar über die
       Metapointe, dass sie sich da sauber haben hereinlegen lassen? In dubio pro
       reo? Nein. Nein, hier herrschte wohl überwiegend größtmögliche
       Geistesabsenz im Verein mit der im Lachfach üblichen ohnehinnigen Kopf- und
       Gemütsträgheit.
       
       Und über die dürfen wir Wachen nun unsererseits wiederum lachen? Lachen,
       man weiß es aus zehntausend wissenschaftlichen oder mehr intuitiven
       Beobachtungen, hat außer der spirituellen auch eine stark
       physisch-mechanische Valenz: Der Mensch will einfach lachen. Will einfach,
       vom Überdruck, von den Kalamitäten des bösen Lebens weg einmal lachen.
       Einmal? Manchmal? Wie ein Lachsack praktisch immerzu? Wachheit beim Lachen
       ist offenbar nur das – spätere? – Gegen- und Komplementärprinzip.
       
       Die Lachautomatik ist nicht unbedingt etwas Dummes und gar Böses. Sondern
       entspricht unserer genuinen, unserer primären physischen Natur; im Sinne
       eines archaischen, eines noch heute wirksamen Atavismus. So wie (da sind
       sich die Human-Archäologen wohl einig) das lachende Zähnezeigen
       ursprünglich etwas wie Aggression, symbolischen Kampf signalisierte – so
       zeigt sich das Polt-Jaeger‘sche Gelächter als hemmungsbefreiendes Vorrecht,
       Recht auf ein Gehenlassen inmitten aller Lebenszwänge.
       
       Das Lachen, so Robert Gernhardt in mehreren Studien und
       Selbstbeobachtungen, kenne im Grunde kein ästhetisches Gesetz, finde statt
       jenseits von „Niveau“. Das Niveau ist quasi erst später als Sonderfall,
       durch die Deutung des Witzes, hinzugekommen.
       
       Sofern man Komik und ihre Qualität dabei nicht nach älteren
       Professorenbüchern und jüngeren Literaturpreisen, sondern nach
       Mehrheitsentscheidungen bemisst, dann sind Lautstärke und
       Erwartet/Unerwartetheit des pluralen Gelächters die zuständigen
       Beweisstücke. Und praktisch nur in Liveaufnahmen wie bei Polt und Jaeger
       sind die Befunde nachzuprüfen. Als Autor, als Rezitator eigener und häufig
       komisch angelegter Texte, macht man immerhin seine eigenen Erfahrungen.
       Manchmal wird überraschend gelacht, manchmal ziemlich unverständlicherweise
       nicht.
       
       ## Rätselhafte Publikumslachgeräusche
       
       Rätsel auferlegten mir von Beginn an die vernehmlichen oder ausbleibenden
       Publikumslachgeräusche bei Lesungen des Beginns meiner Erzählung „Franz
       Kafka verfilmt seinen ‚Landarzt‘“. Kaum hörbare Reaktionen hat es bei der
       Passage vom werbenden Gewäsch der filmenden Lehrer, Kafka möge, dürfe, ja
       solle auch „noch ein wenig am Drehbuch mit herumfeilen“: Diese, den
       betrüblichen Zeitgeist der Branche wie der 70er Jahre auf den ordinären
       Punkt bringenden Dummreden evozieren offenbar ebenso wenig Lachen wie der
       Lehrer sinnlos-impertinentes Gequalle, die „Landarzt“-Erzählung „dränge, ja
       schreie geradezu nach Verfilmung“ – eine ihrerseits schreiende und wohl
       heute noch kurrente Feuilletonphrase.
       
       Allerdings müsse dann, so das Lehrer-Filmer-Trio, in Süditalien „die
       Schneesymbolik“ des Textes logisch „adäquat durch unheimlich Hitze, also
       praktisch Tropen“ ersetzt werden, und außerdem könne man dabei auch
       „erstklassig Urlaub machen“: Hier, inmitten eines Schwalls auch
       anderweitiger Anachronismen, schwant ca. 33 Prozent der Zuhörerschaft,
       kenntlich durch Kichergeräusche, etwas von der sogar leicht deprimierenden
       Komik zeitgenössischen Vulgärdenkens und -benehmens.
       
       Auch dass die Lehrer, weit jenseits von Kafka, besonders hastig und doppelt
       unglaubwürdig von Orson Welles und Louis Malle „die neue Sinnlichkeit“ für
       ihr Machwerk adaptieren möchten. Diese schon übermäßig inadäquate blöde
       Rederei wird ihrerseits von meinem Auditorium lachend akzeptiert; auch,
       dass Kafka „à la Hitchcock eine kleine Rolle übernehmen“ solle, erfährt
       immer als Quittung hörbares Gelächter.
       
       In der Summe: dürfte sich das, was den Hörern/Lesern an lauter oder leiser
       Lachhaftigkeit einleuchtet und was nicht, ziemlich genau auf 50:50
       hinbewegen. Und einigermaßen unbegreiflich bleiben.
       
       Und wiederum ratlos machen.
       
       ## Anarchistische Tabubrüche
       
       Lachen gründet in mehr oder weniger anarchistischen Tabubrüchen und
       ähnlichen Regelverstößen, Verstößen gegen soziales wie ästhetisches
       Benehmen. Zu dem Befund kommen auch andere Theoretiker – Robert Gernhardt
       hat sich darüber hinaus immer wieder auch brütende Gedanken gemacht über
       die Konsequenz dessen – etwa im Sinne eines „wertvollen Lachens“ oder eines
       minderen; das „wertvolle“ vor allem in Gestalt eines „im Halse stecken
       bleibenden“; das wir hiermit, auch wenn es nichts nützt, schnellstens
       vergessen wollen, es war wohl nie mehr als eine beharrliche Chimäre und
       Edeldenkerphrase.
       
       Bei Gernhardts Gedichtrezitationen sind bzw. waren selten sichere Lacher zu
       prognostizieren, Lachkontinuitäten zu registrieren; am sichersten noch beim
       bekannten Zweizeiler „Die schärfsten Kritiker der Elche / Waren früher
       selber welche“; der aber recht eigentlich gar nicht von ihm ist, sondern,
       im Teamwork entstanden, von seinem früheren Partner-Alterego F. W.
       Bernstein; und der vielleicht in der Erstversion doch noch genauer und
       lachhafter ist:
       
       „Die schärfsten Kritiker der Elche /Werden später selber welche.“
       
       Beide Varianten erfreuen gut hörbar durch den Erkenntniswert von
       Wiedererkennung eigener Erfahrungen und durch die schlagende Ironie, durch
       eine Art Schock. Verblüffender, eigentlich unverhofft, das fast immer
       unisono funktionierende Gelächter bei Loriots seinerseits verblüffendem
       Statement, ein Leben ohne Mops sei „möglich, aber sinnlos“ – denn
       eigentlich denken weder Hundefeinde ja so philosophisch; noch Mopsfreunde
       in aller Regel so theologisch delikat.
       
       Publikumslacher in der Oper sind selten, in der sogenannten komischen Oper
       sogar am seltensten. Eine gar nicht so wichtige Stelle aber, ausgerechnet
       inmitten aller Wagner‘schen Musikdramen-Gewichtigkeit, bei der Kraft einer
       kleinen Pause der Text auch sehr deutlich hervortritt, hat dann doch
       Erfolg: Wenn im 1. Akt der „Meistersinger von Nürnberg“ seitwärts des
       Merkers Beckmesser der Ritter Walter von Stolzing sich zu einer Art Probe-
       und Vorentscheidungssingen recht unwillig und nur der angezielten Braut
       zuliebe sich im „Singestuhl“ niederlässt und kurz vor seinem
       Auftakt-Ausbruch „Fanget an!“ vom Tabulaturchef Kothner darin bestätigt
       wird: „Der Sänger sitzt!“ – dann ist von der Bayreuther Festspielbühne über
       die Nürnberger Staatsoper bis in die New York Met und vermutbar sogar bis
       in die russische Provinzbühne allzeit und unverbrüchlich das nämlich
       dankbar-verständige und mittellaute Lachen aus dem Parkett zu vernehmen,
       will quasi sagen: Wenn wir schon von Wagners Musikdramen-Ästhetik, von
       seinem motivverzweigten Notengespinsten nichts Genaues verstehen – dass der
       aufgewühlte und etwas konsternierte Tenor jetzt zum Sitzen kommt, das
       überzeugt auch uns, beruhigt uns nicht minder als die zulauschenden
       Nürnberger Singschul-Meister.
       
       Weniger einheitlich, sondern nur von Kennern mit manchmal zart hörbarem
       Kleingegacker quittiert wird die Szene im 2. „Siegfried“-Akt des gleichen
       Komponisten: Des im nächtlichen Wald lagernden und den Nibelungenhort
       hütenden Lindwurm Fanfers brummiges „Ich lieg‘ und besitz: lasst mich
       schlafen!“ Der tiefe Brummbass wird zudem untermalt von allerlei noch
       brummigeren Orchesterfarben und finster verschlafenen Harmonien –
       vielleicht kommt aber ja die Komik dieser halb-tierischen Rede zu
       feingesponnen daher, eigentlich das ganze riesige 14-Stunden-Werk erklärend
       und zusammenraffend, als dass man bei einem überwiegend doch wenig kundigen
       1.000- oder 2.000-Personen-Publikum sinnige, erkenntnissignalisierende
       Reaktion, also eiliges Begreifen erwarten dürfte. Insgesamt hat es im „Ring
       des Nibelungen“ der oftmals gewaltige Wortkomiker Wagner ja bis zum
       heutigen Tag schwerer als der Kompositeur, der Welterlöser durch Musik, der
       Töne-Magier.
       
       Mehr unfreiwillige, von Wagner kaum gewollte Komik entfacht im 3. Aufzug
       von „Tristan und Isolde“ der traurige König Marke mit seiner albern,
       trübseligen, zudem mehrfach variierten Bilanz „Tot denn alles! Alles tot?“
       
       Aber – über was dürfte ein waches Publikum da eigentlich auflachen? Über
       Markes, über Wagners schwindende Kräfte? Und wann genau sollte es da das
       Lachen sich trauen?
       
       ## Wiedererkennungsticket
       
       Wer es als Wortkünstler, als Komiker zu einer Art Wiedererkennungsticket
       gebracht hat, der tut sich mit dem zuverlässigen Lachen überhaupt leichter
       als in aller Regel der subtile Bastler und Stricker und Filigranist. Ein
       abermals nürnbergaffiner Mann, der Humorist Herbert Hiesel, hatte in seiner
       Glanzzeit, den Fünfziger-/ Sechziger Jahren, den alle Zeit sicheren Trumpf
       in der Tasche und im schwerst fränkelnden Mund mit einem die jeweiligen
       Sketche eröffnenden oder intermezzohaft dazwischen gepferchten „Jou
       werkli!“ – meint: Ja wirklich, es ist so, wie ich es sage. Damit waren die
       Herzen und die zum Lachen sich aufreißenden Mäuler seiner oft riesigen,
       5.000 oder 10.000 zählenden Zuhörer und kreischenden -innen auch schon
       gewonnen. Manche Nummern, man kann das auf alten Platten nachprüfen,
       bestanden beinahe ausschließlich aus diesem „Jou werkli“-Ticket.
       
       Wiedererkennendes Lachen als kollektives Heimatgefühl, als Schutz- und
       Trutzbündnis: Noch einen winzigen Schritt weiter ging kurz nach Kriegsende
       hierin die bayerische Volkshumoristin und als solche durchaus könnerische
       Vulgärkrachnudel Kathi Prechtl, wenn sie jeden Bühnen- oder Funkauftritt
       mit den scharf herausgekrähten und schon gelachten Worten „ja varreck!“
       begann – ja verrecke, gemeint war ein im Grunde ins Edeldeutsche
       Unübertragbares, am ehesten entsprechend dem „Goddam“ oder auch „Fuck“.
       
       „Ja varreck!“ – mit diesem Start hatte das etwas undefinierbare Lebewesen
       Kathi ihr aufs Stichwort lauerndes Publikum bereits restlos vereinnahmt, in
       den Himmel eines paradiesischen Niedrigkeitselysiums spediert – im Rahmen
       eines Monologs, den der Verlag heute noch als „Kostbarkeit“ verscherbelt;
       in Wahrheit handelt es sich um eine Epiphanie an Lärm und „Quatsch: „Ja
       varreck!“
       
       Eine Epiphanie, ein Aphrodisiakum für ein Publikum, das, ärger noch als
       Kathi, nur noch hingegossen, ja wie besessen lachen, krähen wollte.
       Vielleicht ein durchaus plausibler Regress zum Beginn der Menschheit, zu
       den frühestens Initaialzündungen des Lachens, des Humoristischen; als es
       galt, die leidergottes erfolgte Austreibung aus dem Paradies durch ein
       Äquivalent an Lust und insofern wieder Gottnähe zu kompensieren.
       
       Abermals: Humor als Heimat.
       
       Und: ein sehr frühes Bekenntnis zum „Stahlbad fun“ (Horkheimer/Adorno,
       Kulturindustrie, bereits 1944!), die etwas geistesverlassene Gemütslava
       ohne jegliche Selbstzensur; im theoretischen Verbund mit der alten Sigmund
       Freudschen Spekulation, Lachen bedeute „Ersparung des Hemmungs- und
       Unterdrückungsaufwands“; die vor einem runden Jahrhundert
       niedergeschriebene „Lust“ gegen den „Triebverzicht“ durch „unsere
       sogenannte Kultur“.
       
       In mehreren der Theorien hat das Lachen ja fast immer mit Überdruck, mit
       Eruption und Explosion unter jenem, zu tun. Bei neueren Exemplaren fällt es
       zuweilen schwer, an dieses landläufige Metaphernschema zu glauben.
       Gelächter erfolgt da wohl oft, einzeln und in der Masse, aus schierer
       zerebraler Abwesenheit, ausgelöst durch irgendein Stichwort meist sexueller
       oder fäkalischer Herkunft; manchmal durch die sich selbst erfüllende Lach-
       und Ablachhoffnung voller Unverstand. Wobei das lachende Publikum etwa
       Polts naturgemäß ein etwas anderes und informierteres sein sollte als das
       von Kathi Prechtl – oder auch nicht.
       
       Bei Heino Jaegers wohl sehr gemischtem Publikum schien vorm und beim
       Lachen, wie bei vielen seiner Figuren und speziell den Radioreportern, eine
       Art Somnabulismus zu obwalten, ein vitales Dauerdösen, eine alles
       überlagernde Schläfrigkeit. Die aber ihrerseits doch den pünktlichen
       Lacheinsatz garantiert. Mitzuhören ist quasi eine, wenn man so will,
       universelle Freundlichkeit durch dick und dünn. Als Ausdruck wiederum von
       durchaus anarchischer Gesinnungs- und Gefühlsautonomie.
       
       Humor, man weiß es von Bierbaum, ist ja, wenn man trotzdem lacht.
       
       Aber, um der Gerechtigkeit willen: Es gibt auch Jaeger-Nummern mit
       Publikumsecho, bei denen das Gelächter erstaunlich präzis, pünktlich,
       gerecht, sogar dynamisch adäquat auftritt. Werweiß gibt es ja auch
       zweierlei Publikum; eins aus Connaisseuren und Fans – und eins aus bloß
       menschenähnlichen Lachmaschinen.
       
       Alle habhaften Theorien ein bisschen schnöd zusammengerafft, bleibt wohl
       nicht viel mehr, als dass Komik und in der Folge Lachen freudvolle Wirkung
       hat, eine wenn auch schwer, ja kaum definierbare „Lust“ zeitigt. Ist Lachen
       am Ende so etwas wie ein bedingter Pawlowscher Reflex wie der bei den
       hungrigen Hunden beobachtete? Wobei allerdings nur der „Reflex“ klar wäre,
       das Lachen – nicht aber die „Bedingtheit“. Die Qualität des Witzes ist es
       offenbar nicht, eher schon das vorbildhafte Lachen des Sitznachbarn.
       
       ## Zerebrale Abwesenheit
       
       Aber nochmals: Warum lache die Leute, auch und vor allem dann, wenn
       inmitten eines meist geplärrten Wortinfernos bei TV-Comedians die Witze zum
       Weinen sind? Man darf da, an dieser Schnittstelle des Weltensinns, wohl
       Immanuel Kants sehr alte „Anthropologie“ zur Deutung heranziehen: „Beide,
       das Lachen und das Weinen, heitern auf.“ Ja dann.
       
       Und heitern wird wohl auch der Lärm an sich. Bei Gerhard Polt, in einer
       schon bejahrteren Soloszene, wäre zumindest ein Spezialfall zu bedenken.
       Ein halb sympathischer, halb etwas depperter Raisonneur eventuell in
       Lederhosen, ein südbayerischer und ein bisschen wohl auch poltähnlicher
       Landsmann, steht auf einer entsprechenden Wiese, inmitten einer gebirglich
       romantisch-idyllischen Landschaft und plappert scheint‘s harmvoll-harmlos
       und Einverständnis erheischend vor sich hin; ehe es plötzlich, fast
       blitzschlagartig zur Quintessenz und Pointe kommt dergestalt: In so einer
       speziell bayerischen Traumlandschaft habe doch, seien wir mal ehrlich, „ein
       Neger“ nichts zu suchen, „passe einfach nicht rein“.
       
       Das Publikumslachen kommt wohl immer auch blitzartig, eruptiv, ungehemmt.
       Und das zu Recht. Denn natürlich hat das Gerede ebensowenig mit Rassismus
       zu tun wie mit rechtspopulistischer Akklamationsanbiederung. Was durch die
       Vernunft und Zivilitätskultur eigentlich zurückgewiesen und beweint werden
       müsste, darf einmal, hier und jetzt (und dann vielleicht nie mehr), sich
       Raum und Hall verschaffen. Die altgewohnten Grenzen der politischen
       Korrektheit erbarmungslos überspringen. Auch und gerade dann, wenn
       nachweislich keiner im Publikum was gegen „Neger“ hat. Wäre es anders, und
       hockten im Publikum erahnbar lauter Nazis und Volldeppen, dann sähe es auch
       für Polt wieder etwas anders aus.
       
       Oftmals, ja fast immer, dankt sich Komik, schuldet sich kollektives Lachen
       der möglichst plötzlichen Fallhöhe. In abermals Gerhard Polts vom ersten
       bis zum letzten Satz inspirierten Zehn-Minuten-Monologszene „Der Weber Max“
       berichtet gegen Ende ein stark südbayerischer Gemeinderat und
       Webermax-Kollege von einem „Symposion“ dieser recht seltsamen und übermäßig
       durstigen Parlamentarier bei der Regierung von Oberbayern, wo es im Zuge
       von „Gesprächen auf höchstem Niveau“ hinsichtlich des einladenden und
       vielleicht allzu fürsorglichen Regierungspräsidenten auch bald zur
       gemeinderätlichen Anerkennung kommt: „Ein gebildeter Mann – leck mich am
       Arsch!“
       
       Besser kann man es wirklich nicht sagen, und wiederum zurecht erfolgt hier
       immer massives Gelächter. Abermals aus einem ebenso willkommenen wie
       produktiven Tabubruch heraus. Spitzenpolitik, zumal bayerische, auch wenn
       sie sich „auf höchstem Niveau“ bewegt, wird immer auch etwas von der
       Assoziation einer irgendwie Rundlichen, Gemüthaften, Harmonischen, ja
       Arschigen, beleckt. Die Frage bleibt freilich im Raum stehen, warum man das
       gleiche nicht auch zum Beispiel beim Ableben des Bundespräsidenten, ja
       eines Marktler Papstes sagen darf. In dieser ja nun sogar stark
       anerkennenden, fast ehrfürchtigen Formulierung nicht einmal der Gerhard
       Polt.
       
       Noch weitere und stark bohrende Fragen? Ja, eine. Die, warum sie eigentlich
       zum Lachen den Auflauf, den Aufwand des Auflaufs, nötig haben. Abermals aus
       Gewohnheit, Gedankenlosigkeit, ja atavistischem Aberglauben? Haben sie denn
       jenseits der Veranstaltungen mit Hiesel oder Hildebrandt oder sei‘s mit
       Polt sonst gar nichts zu lachen? Zu Hause oder auf der Kreissparkasse?
       Lachen sie sonst nie? Nicht einmal auf – ihrer Beerdigung?
       
       18 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eckhard Henscheid
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Karneval
 (DIR) Komik
 (DIR) Comedy
 (DIR) Ausstellung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Erinnerung an ein merkwürdiges Genie: Dr. Jaeger lässt bitten
       
       Eine kleine Ausstellung mit einem, der nie ganz groß rausgekommen ist: In
       Hamburg ist Heino Jaeger mit seiner vielleicht produktivsten Phase zu
       sehen.