# taz.de -- Hamburger Ausstellung über Migration: Über euer scheiß Mittelmeer
       
       > In den Deichtorhallen Hamburg untersucht die Ausstellung „Streamlines“
       > Ozeane, Welthandel und Migration. Aber warum so seicht?
       
 (IMG) Bild: Peter Buggenhout: The Blind Leading the Blind (Herzliya Piece), #1 final state, 2008. Mixed media
       
       Der Anfang immerhin ist vielversprechend: Gleich am Eingang zur Ausstellung
       liegt ein riesiges Wrack. Zerlumpte Planen und aufgebrochene
       Kunststoffteile hängen über einem Gerüst aus rostigen Stangen. Es erinnert
       an den Rest eines untergegangenen Bootes. Eine ganze Weile muss es auf dem
       Grund des Gewässers, in dem es unterwegs war, gelegen haben.
       
       Warum es geborgen wurde, weiß man nicht. Man hätte es auch lassen können,
       wo es war. Seine Oberfläche ist schlammfarbig und an einigen Stellen
       verwuchert. Seltsam nur, dass es den weißen Galerieboden der Hamburger
       Deichtorhallen nicht verschmutzt. Von seiner Geschichte gibt das große
       hässliche Ding nichts preis. Weit mehr als sein Versinken ist ihm sein
       Verrotten anzusehen. Es ist seltsam, aber der Schiffsrest ist hier viel
       mehr ein natürlicher Gegenstand, weniger ein sozialer.
       
       „The Blind Leading the Blind“ ist der Titel von Peter Buggenhouts
       Katastrophenskulptur. Und weil wir nicht wissen, was hier geschah, die
       Heftigkeit allerdings unübersehbar ist, stellen wir uns etwas vor. Uns wird
       sicher etwas einfallen, denn die Welt ist voller Katastrophen. Gekenterte
       Boote lassen zumindest in dieser Zeit an Flüchtlingsboote denken.
       
       Buggenhousts Arbeit ist Teil der großen Gruppenausstellung „Streamlines“.
       Die 1967 in Kamerun geborene Kuratorin Koyo Kouoh hat sie konzipiert. In
       der Vergangenheit wirkte sie bereits an der documenta und der Biennale
       Venedig unterstützend mit. Kouoh hat für ihre Hamburger Ausstellung
       insgesamt 15 Künstler und Künstlerinnen aus der ganzen Welt eingeladen. Die
       Ausstellungsidee legt ein internationales Setup nahe. Alle haben einen
       besonderen eigenen Bezug zum Hamburger Hafen.
       
       ## Tradition der Sklaverei
       
       Ozeane, Welthandel und Migration sind Thema ihrer Schau. So sagt es der
       Untertitel. Das weist auf ein größeres Interesse an Gesellschaft denn an
       Natur hin. Die Meere sind schließlich groß und ihre Themenvielfalt ist es
       auch. Was sich wandelt, sind die gesellschaftlichen Filme, die sich über
       die Wellen legen. Heute ist das Wasser zwischen den Kontinenten vor allem
       als Flüchtlingsfriedhof besetzt. In diesem Zusammenhang erscheint dann auch
       ein Schiffswrack wie das von Peter Buggenhout als Symbol einer
       gescheiterten Überfahrt.
       
       Der Titel der Ausstellung, „Streamlines“, bezeichnet die Meereswege. Und
       zwar speziell die vom Süden in den Norden. Für den Transport von Menschen
       und Waren muss man sie zurücklegen. Sklaverei gibt es zwar nach wie vor,
       die Ausmaße von Warentransporten haben Sklaventransporte nun allerdings
       nicht mehr. Wobei die amerikanischen Sklaventransporte natürlich wichtiger
       Bestandteil unserer Kolonialgeschichte sind. Die Produktion von Waren in
       Afrika und Lateinamerika für die westliche Welt steht zumindest in dieser
       Tradition.
       
       So werden nun nicht mehr die geraubten Menschen als Waren transportiert,
       sondern ihre zu unfairen Bedingungen erkaufte Arbeitskraft. Wer diesen
       Ausbeutungsverhältnissen entkommen möchte, versucht den gleichen Weg zu
       nehmen wie die Produkte der eigenen Arbeit. Das heißt dann Armutsmigration
       und gestaltet sich wie wir wissen weitaus schwieriger. „Über euer scheiß
       Mittelmeer käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär“, heißt es in einem Song der
       Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen.
       
       ## Umschlagplatz Hamburger Hafen
       
       Die drei Begriffe aus dem Untertitel verweisen also auf einen sehr
       komplizierten und blutigen Zusammenhang. Enttäuschend, dass die Ausstellung
       sich für diesen Komplex, den sie aufmacht, überhaupt nicht interessiert.
       Keine einzige der gezeigten Arbeiten berührt das Wechselverhältnis zwischen
       Migration und Handel. Beide Momente erscheinen in den Werken der von Koyo
       Kouoh ausgewählten Künstler isoliert.
       
       Als verbindendes Element ist einzig der Ort der Ausstellung (die Stadt
       Hamburg) vorgesehen. Der Hamburger Hafen war für den frühen
       Kolonialwarenhandel zentral; auch heute gilt er als wichtiger
       Umschlagplatz. Aber selbst das bleibt in der Schau wenig greifbar und wage.
       Kouoh reiht hier ihre Ausstellung in ein Stadtmarketing ein, das trotz der
       restriktiven Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats das hanseatische
       Märchen vom „Tor zur Welt“ verbreitet.
       
       Dadurch muss die Ausstellung natürlich äußerst harmlos geraten. Diese
       Harmlosigkeit wird dann auch in den gezeigten Arbeiten sichtbar. Etwa in
       der des nigerianischen Künstlers Otobong Nkanga. In eine zentral gelegene
       Wand hat er eine Furche gezogen und sie mit afrikanischen Handelswaren wie
       Tabak, Kaffee und Gewürzen aufgefüllt. Die Furche zeichnet die
       Transportroute nach. Es stellt sich überhaupt nicht mehr die Frage, ob das
       in irgendeiner Weise kritisch ist. Aber ist die illustrative
       Veranschaulichung eines Vorgangs überhaupt Kunst?
       
       Kuratorin Kouoh lässt in ihrem Ausstellungstext vollkommen außer Frage,
       dass ihr mit „Streamlines“ an einer Schau gelegen ist, die zwar ein
       riesiges Thema verfolgt, dies aber auf möglichst seichte Art und Weise tut:
       „Unsere Überlegungen fußten auf dem Gedanken einer ‚Stromlinie‘ oder
       mehrerer ‚Stromlinien‘. Für uns wurden Streamlines zum Bezugsfeld der
       Wahrnehmung und Vorstellung von der Bewegung eines Wesens oder deren
       mehrerer im Raum.“
       
       ## Verkitschung von Mord
       
       Immerhin werden die Gemeinheiten, die den Individuen bei ihren Bewegungen
       widerfahren, nicht ignoriert: „Nicht jeder erlebt Fließbewegungen derselben
       Substanz. Denn Streamlines bedeutet auch Geschwindigkeit, Ökonomie und
       Gewinn. Was uns interessiert, ist: Wer genau entscheidet über das Muster
       dieser unsichtbaren Substanz?“
       
       Man kann sich aber nicht sicher sein, ob ihr an einer Antwort tatsächlich
       gelegen ist. Von der marokkanischen Künstlerin Bouchra Kalili ist eine
       Serie von Drucken zu sehen, die „Constallations“ heißt, also Sternbilder.
       Auf einer dunkelblauen Fläche erstrecken sich Punkte, die mit Ortsnamen
       versehen sind, etwa Marseilles, Neapel und Tunis. Der Bogen, der die Städte
       miteinander verbindet, ist schön und geschwungen.
       
       Tatsächlich fühlt man sich an die Art von Sternbildern erinnert. Diese
       basieren allerdings auf den Routen, die Menschen auf ihrer Flucht nach
       Europa nehmen. Die Bögen innerhalb dieser Routen sind den Widrigkeiten
       solcher gefährlicher Reisen geschuldet. Die moderne Flucht legt sich eng an
       die Irrfahrten der antiken Sagen. Das ist im besten Fall die Verkitschung
       mörderischer Umstände, die nicht sein müssten.
       
       ## Kritik schmiert ab
       
       Fatal an der Ausstellung ist, dass die wenigen Arbeiten, die kritisch sein
       wollen, künstlerisch abschmieren. So etwa Kader Attia: Der seit der letzten
       documenta zum Star avancierte Künstler zeigt in Leuchtrahmen Fotos von
       Jugendlichen, die am Strand von Algier auf seltsamen Quadern aus Beton
       hocken und von der Überfahrt nach Europa träumen.
       
       Attia selbst hat nach eigener Auskunft als Jugendlicher oft auf diesen
       Steinen gesessen und den Schiffen nachgeschaut. Dem gegenüber hat er auf
       dem Boden Kleider platziert, wie sie etwa an den Ufern von Lampedusa
       angespült werden. „La Mer Morte“ hat er seine Installation genannt. Alle
       diese Kleider sind blau. Die Farbe bezieht sich auf den arabischen Ausdruck
       „Harragas“, der für diejenigen Flüchtlinge verwendet wird, die ihre
       Ausweispapiere verbrennen. Das ist ganz schön viel Bedeutung für eine
       Installation.
       
       Das große Problem der Ausstellung sind aber vielleicht gar nicht die
       einzelnen Arbeiten. Das Problem ist die fehlende Vermittlung eines
       Zusammenhangs, eines Mechanismus, der im Titel eigentlich angelegt zu sein
       schien. Außerhalb eines solchen Zusammenhangs erscheinen die Dinge hier
       eben als Kitsch – poetisch oder politisch.
       
       5 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Radek Krolczyk
       
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