# taz.de -- Wahl in Spanien: Empörte und Bürger
       
       > Zu viel gespart: Die Spanier sind unzufrieden mit den Volksparteien.
       > Alternativen sind die rechten Ciudadanos und die linke Podemos.
       
 (IMG) Bild: Held der Unzufriedenen: Albert Riviera von den rechtsliberalen Ciudadanos.
       
       Madrid taz | „Ja, wir schaffen es!“, ruft der junge Kandidat, der bei den
       Wahlen am Sonntag spanischer Regierungschef werden will, seinen Anhängern
       zu. „Wir sind normale Leute, die außerordentliche Dinge vollbringen“, heißt
       ein weiteres Motto. Er verspricht einen „Wandel“ und einen Wahlgang „mit
       Begeisterung“.
       
       Was nach dem Chef der neuen Antiausteritätspartei Podemos (etwa: Wir
       schaffen es), Pablo Iglesias, klingt, hat ein anderer Vorsitzender einer
       Protestpartei gesagt. Albert Rivera. Der 36-jährige Anwalt aus Barcelona
       ist Spitzenkandidat der Partei Ciudadanos (Bürger). Auch er streitet um die
       Stimmen derer, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind, vom
       konservativen Partido Popular (PP) und dem Regierungschef Mariano Rajoy und
       der sozialistischen PSOE unter Pedro Sánchez. Rivera benutzt nicht nur die
       gleichen Parolen, er wettert wie Iglesias gegen Korruption, das
       verknöcherte politische System und fordert politische Reformen. Doch damit
       sind die vergleichbaren Elemente auch schon aufgezählt.
       
       Anders als Podemos, die aus dem Umfeld der sogenannten „Empörten“ und den
       sozialen Protesten gegen die Sparpolitik entstand, ist die Partei
       Ciudadanos nicht neu. Sie wurde vor neun Jahren in Katalonien von einer
       Handvoll Intellektueller als Gegengewicht zu den Separatisten gegründet.
       Die Ciudadanos werben für ein zentralistisches Spanien. Der attraktive
       Rivera wurde zum Spitzenkandidaten. Er ließ sich nackt auf einem Plakat
       abbilden und zog auf Anhieb ins katalanische Autonomieparlament ein.
       
       ## Nackt auf Stimmenfang
       
       Ohne die Aufbruchstimmung, die Spanien vor eineinhalb Jahren nach dem
       überraschenden Einzug von Podemos ins Europaparlament erfasste, wären die
       Ciudadanos wohl eine regionale Partei geblieben. „Wir brauchen eine rechte
       Podemos“, warb ein Banker; die großen Medien des Landes griffen die Idee
       auf. Rivera redete vom „besonnenen Wandel“. Während sich Podemos mit
       Kleinstdarlehen und Spenden der Bürger finanziert, verfügen Ciudadanos über
       Millionenkredite. In Rekordzeit baute Rivera spanienweit Strukturen auf und
       profitierte dabei von Überläufern aus Reihen der großen Parteien.
       
       Die Ciudadanos definieren sich als die neue politische Mitte und stoßen
       damit bei enttäuschten konservativen Wählern und am rechten Rand der
       Sozialisten auf Zuspruch. In Andalusien wurden sie vergangenen März zum
       Zünglein an der Waage und verhalfen den durch Korruption schwer
       angeschlagenen Sozialisten erneut an die Macht. Seit Mai stützen Ciudadanos
       die konservative PP in Madrid. Auch hier hatten die Wähler die Regierung
       für Korruption und Sparpolitik abgestraft.
       
       Jetzt im Wahlkampf werden die Unterschiede zwischen Wandel und Wandel immer
       deutlicher. Rivera wirbt für mehr Eigenverantwortung und weitere
       Privatisierungen. Lehrer sollen künftig keine Beamten mehr sein. Er will
       die Arbeitslosigkeit mit einer weitgehenden Abschaffung des
       Kündigungsschutzes bekämpfen. Er verspricht Steuererleichterungen für
       Unternehmer und Besserverdienende sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer,
       während Podemos für mehr Sozialausgaben, Steuererhöhung für Großunternehmen
       und Großverdiener eintritt und steht für die Rücknahme von Sozialkürzungen
       und für eine langsamere Schuldenrückzahlung. Als einziger Kandidat
       unterstützt Rivera einen Kriegseinsatz in Syrien.
       
       Ginge es nach Rivera, würde gar das Gesetz gegen häusliche Gewalt gegen
       Frauen abgeschafft, denn es sei egal, von wem die Gewalt ausgehe, ob von
       einem Mann gegen eine Frau oder umgekehrt. Der darauf folgende Aufschrei
       bis hinein ins konservative Lager war groß. Allein in diesem Jahr starben
       in Spanien 52 Frauen an den Folgen von häuslicher Gewalt. Sah es noch vor
       zwei Wochen so aus, als ob Rivera Ministerpräsident Rajoy gefährlich nahe
       kommen könnte, lassen solche Aussagen die Umfragewerte sinken.
       
       Am Montag – dem letzten Tag, an dem Umfragen erlaubt waren – lag die PP mit
       knapp 25 Prozent an der Spitze. Die meisten Institute sehen dahinter ein
       Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PSOE, Ciudadanos und Podemos um Platz 2.
       Während PSOE und Ciudadanos in der Wählergunst Punkte verlieren, legt
       Podemos seit Wochen langsam, aber sicher zu. Die Umfragen hatten die junge
       Partei Anfang des Jahres teilweise als stärkste Kraft gesehen. Doch als die
       Ciudadanos die politische Bühne betraten, orientierte sich ein Teil der
       Wähler bei ihrer Suche nach einer Möglichkeit um, die Altparteien
       abzustrafen. Podemos sank auf Platz 4.
       
       „Aufholjagd“, rufen die Podemosanhänger denn auch auf den
       Wahlkampfveranstaltungen. Sie bekamen erneuten Rückenwind, nicht zuletzt
       wegen den beiden TV-Debatten, bei denen Podemos-Kandidat Pablo Iglesias am
       besten abschnitt. Seine sozialpolitischen Pläne sowie sein Versprechen,
       soziale Rechte, die Unabhängigkeit der Justiz und den Kampf gegen die
       Korruption in der Verfassung zu verankern, kommen an.
       
       ## Erfolg kommt nicht an
       
       Denn obwohl die Regierung makroökonomische Erfolge feiern kann, bei den
       Menschen kommt davon nur wenig an. Die Arbeitslosigkeit liegt mit
       offiziellen 22,5 Prozent kaum unter der Marke von vor vier Jahren. Und auch
       dies ist zu einem erheblichen Teil nur das Ergebnis des Rückgangs der
       aktiven Bevölkerung durch Abwanderung junger Spanier und Immigranten. Nur 5
       Prozent der neuen Verträge sind unbefristete Vollzeitverträge. 27 Prozent
       der Spanier leben an oder unter der Armutsgrenze. 3,7 der 5,1 Millionen
       Arbeitslosen bekommen keine Stütze mehr.
       
       Iglesias umgibt sich mit Unabhängigen, die seinem ansonsten jungen Team
       Gewicht verleihen sollen: Unter ihnen zahlreiche bekannten Aktivisten der
       Sozialproteste, eine Sprecherin des einflussreichen Demokratischen
       Richtervereins, ein Antikorruptionsrichter, ein ehemaliger Sprecher der
       Polizeigewerkschaft und selbst ein Exgeneralstabschef der spanischen Armee.
       „Die Besten aus der Gesellschaft“, bewirbt Iglesias seine Kandidaten.
       
       Wenige Tage vor dem Urnengang steht nur eines fest. Spaniens
       Zweiparteiensystem ist Geschichte. Selbst wenn Rajoy die Wahlen gewinnt,
       wird seine PP rund ein Drittel der Stimmen und der Sitze im Parlament
       verlieren. Zum Regieren reicht es ohne Bündnis nicht. In einigen der
       letzten Umfragen kommen nicht mal PP und Ciudadanos zusammen auf eine
       Parlamentsmehrheit. Auf der anderen Seite kündigt Iglesias an, nur dann mit
       den Sozialisten zusammenzugehen, wenn Podemos vorn liegt. „Nur so ist ein
       Wandel möglich“, behauptet er.
       
       Bleibt die Möglichkeit einer Koalition der beiden alten Parteien, PP und
       PSOE. Für sie werben der ehemalige sozialistische Regierungschef Felipe
       González und Vertreter aus der Wirtschaft, im Dienste der Stabilität und
       Fortführung der von Europa diktierten Sparpolitik. Denn die Krise ist
       längst nicht vorbei.
       
       19 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
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