# taz.de -- Absurditäten auf dem Klimagipfel: Wenn Männer zu sehr klammern
       
       > Wie kann man sich die Klima-Verhandlungen vorstellen? Wie ein Puzzle mit
       > 1.500 Teilen, das 50 Menschen auf ihre eigene Art lösen wollen.
       
 (IMG) Bild: Die Rettung der Erde – ein Puzzle mit zu vielen Spielern
       
       Paris taz | Etwa 50 müde Menschen aus der ganzen Welt sitzen im
       zerknitterten Business-Anzug, Chanel-Kostüm oder bunten afrikanischen
       Gewändern rund um ein großes Geviert aus Tischen. Dunkler Teppichboden,
       helle schmucklose Tische, unbequeme Bürostühle. Die Klimaanlagen brummen,
       die Köpfe auch. Die Presse ist ausgeschlossen, Beobachter wie Lobby- und
       Umweltgruppen sind zugelassen. Es tagt eine Untergruppe der Klimakonferenz
       zum Thema „Langfristziel“.
       
       Weil es im Plenum keine Einigung zu den umstrittenen Themen gab, arbeiten
       Kleingruppen weiter: Zum Beispiel zu Finanzen, Schadensersatz oder
       Emissionsreduzierung. Die Gruppe sitzt schon seit Stunden zusammen.
       Fortschritt: Null.
       
       Auf Bildschirmen ist der umstrittene Text zu sehen, die Delegierten gehen
       ihn Wort für Wort durch. Hat jemand einen Kompromissvorschlag für die
       Formulierung „Decarbonisation“? Wie wäre es mit „low carbon
       transformation“? Oder „low emission transformation?“ Oder ganz streichen?
       Und kann man einen anderen Begriff streichen, weil das gleiche weiter unten
       auch nochmal steht?
       
       Die Diplomaten beharren auf ihren Formulierungen, geben hier nach, um
       anderswo mehr zu fordern. Nach Stunden streicht der Vorsitzende die erste
       eckige Klammer, die anzeigt, wo man sich nicht einig ist.
       
       ## Zwischen Appell und Erpressung
       
       Diese Szene hat sich so oder ähnlich in allen bisherigen Klimakonferenzen
       abgespielt, und sie zeigt sich auch in Paris. Die Verhandlungen um den
       globalen Klimavertrag sind eine Mischung aus Politologie- und
       Linguistikseminar. Es gilt, eine unübersehbare Menge von Vorschlägen und
       Ideen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Bei allem politischen
       Manöver, medialem Druck, wissenschaftlichem Appell und wirtschaftlicher
       Erpressung im Hintergrund bleibt die Kernaufgabe der Verhandlungen die
       Arbeit am Text.
       
       Den Gesamttext des „Paris Protokolls“ kann man sich vorstellen wie ein
       Puzzle mit 1.500 Teilen. Um den Tisch sitzen jede Menge Spieler, die zwei
       Wochen Zeit haben. Jeder umklammert eine Handvoll Puzzleteile, die ihm
       besonders am Herzen liegen. Das Bild, das die Spieler legen sollen, hat
       aber nur Platz für 150 Teile. Und die Regeln besagen: Das Bild gelingt nur
       dann, wenn alle Spieler einverstanden mit dem Ergebnis sind.
       
       ## Die Sache mit der eckigen Klammer
       
       Unmöglich? Jedenfalls eine Sysiphos-Aufgabe: Der Vertragsentwurf, das draft
       agreement and draft decision on workstream 1 and 2 of the Ad Hoc Working
       Group on the Durban Platform for Enhanced Action ist auf 54 Seiten
       aufgeblasen worden.
       
       Eng bedruckt liegt es vor den Delegierten - in der Mehrzahl Männer – aus
       195 Staaten, und soll regeln, wie der weltweite Klimaschutz ab 2020
       aussieht. Das Problem: Wenn sich die Staaten nicht einigen können, [setzen
       sie den Text in eckige Klammern]. Davon gibt es jetzt noch etwa 1.500 im
       Text. Und nur [ohne Klammern] gibt es einen Text, den alle akzeptieren.
       Verhandeln heißt wie im Mathe-Unterricht: Klammern auflösen!
       
       Dieses Slow-Motion-Puzzle hat viele Probleme. „Wir haben in diesem Jahr
       noch gar nicht verhandelt“, sagt eine erfahrene Delegierte. Der Text für
       Paris stammt von der letzten Klimakonferenz in Lima, dort hatte er 38
       Seiten. Dann wuchs er auf 80, es gab einen neuen Text mit 20 Seiten, der
       erst auf 34 und jetzt auf 54 angeschwollen ist. Statt Puzzleteile
       auszusortieren, warfen die Spieler immer neue Teile auf den Tisch. Die
       müssen jetzt mühsam miteinander verzahnt werden oder eben ganz
       verschwinden.
       
       ## Eifersucht und Bremser
       
       Nächstes Problem: Es fehlt eine starke Hand. Alle „distinguished delegates“
       achten eifersüchtig darauf, dass die Verhandlungen ein „party driven
       process“ sind, dass also die Länder den Kurs bestimmen und nicht die
       Konferenzleitung. Und weil alles einstimmig entschieden wird, haben die
       Bremser oft leichtes Spiel. Hinter höflichen Diplomatenformeln wie „Sudan,
       you have the floor“ – „thank you, chair“ verbergen sich oft jahrelange
       Frustration und gemeinsame Erfahrungen von Verhandlern, die sich gut kennen
       und wissen, wo die Schmerzgrenzen des anderen liegen.
       
       Die entscheidenden Gespräche führen die Delegierten deshalb auch auf den
       Fluren der Konferenzsäle oder bei vertraulichen Abendessen. Und oft hilft
       es erst, wenn die Minister erscheinen. Die können mehr entscheiden und, so
       ein Delegierter, „die haben weniger Ahnung, das hilft manchmal.“ Trotzdem
       kommt es zu absurden Momenten: Etwa, wenn ein Komma im Text eingeklammert
       wird.
       
       Wenn die Untergruppen die Klammern nicht auflösen, geht der Text zurück ans
       Plenum. Dann kommt er eventuell mit einer Ermahnung wieder zurück in die
       Untergruppe, die bis zur Erschöpfung verhandelt. Es gab schon Runden, die
       ohne Stühle auskommen mussten – das beschleunigt den Abschluss. Und wenn es
       ernst wird, treten die „genialen Drafter“ auf den Plan: Juristen, die für
       besonders heikle Fragen schon vorher Kompromissformeln schmieden, die sie
       im entscheidenden Moment in die Verhandlung geben – die allerdings oft ein
       Minimalkompromiss oder schlicht unverständlich sind.
       
       ## Legendäre Kompromisse
       
       Jede größere Delegation bringt ein solches Genie mit, das streng gesichert
       in seinem Laptop mögliche Kompromisse mit sich herumträgt. Legendär ist die
       Formulierung, die 2011 in Durban im Morgengrauen des letzten Tages die
       Inder überzeugte: Weil sie sich gegen den juristisch substanziellen Begriff
       „Protokoll“ sträubten, fand die brasilianische Delegation die Formulierung
       „ein abgestimmtes Ergebnis mit juristischer Kraft“ – selbst die
       EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard gab hinterher zu, sie wisse auch nicht
       genau, was das heißen solle.
       
       Für Paris haben die genialen Puzzleteile-Finder bereits vor einem Jahr bei
       der Konferenz in Lima vorgesorgt. Ganz zum Schluss brachten die Chinesen
       einen Passus ein, der in Absprache mit den USA die hart umkämpfte Frage
       entschärfte, welche Staaten wieviel Klimaschutz leisten müssen. Das soll
       nach „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten und
       Möglichkeiten passieren“, und zwar „im Licht der verschiedenen nationalen
       Umstände“ – ein Joker, der überall hinpasst, weil er den Staaten offen
       hält, ihre Umstände selbst zu definieren.
       
       Ein solche[s][r] [Abkommen] [Vertrag] [Text mit [eingeschränkter]
       rechtlicher Relevanz] [ist] [wäre] [dürfte] [kaum] [selten] [praktisch nie[
       [immer] zu [verstehen] [nachvollziehen] [der Öffentlichkeit zu vermitteln]
       sein. Das [aber] [jedoch] [jedenfalls] ist [zweitrangig] [von größter
       Wichtigkeit] und [aber] [deshalb] [das Kernproblem] [die [große] Chance]
       für [den Erfolg] [das Scheitern] des [Klimagipfels] [Umweltgipfels]
       [Entwicklungsgipfels].
       
       1 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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