# taz.de -- Zweite Staffel „The Leftovers“: Sünde, Sekte, Sinnsuche
       
       > Am Freitag startet die zweite Staffel der US-Serie „The Leftovers“. Ein
       > düsteres Sittengemälde einer Gesellschaft, die sich von innen selbst
       > zerfleischt.
       
 (IMG) Bild: Ausnahmsweise mal ohne Zigarette: ein Sektenmitglied der Guilty Remnants.
       
       Für einen Moment sieht es so aus, als hätten sie das Paradies gefunden. Der
       ehemalige Polizist und jetzt traumatisierte Choleriker Kevin Garvey (Justin
       Theroux) sitzt zusammen mit seiner neuen Frau Nora (Carie Coon), seiner
       Tochter Jill (Margaret Qualley) und dem Baby, das ihm jemand vor die Tür
       gelegt hat, im SUV und rollt durch die Eisentore von Jarden.
       
       Jarden, die Kleinstadt in Texas, ist der eigentliche Protagonist in der
       zweiten Staffel der US-Serie „The Leftovers“. Alle nennen sie hier nur
       „Miracle“, denn sie ist als einziger Ort auf der Erde von der Katastrophe
       verschont geblieben: Von einer Sekunde auf die andere sind zwei Prozent der
       Weltbevölkerung verschwunden. Einfach weg. Außer in Miracle.
       
       Die erste Staffel behandelt die Suche und das Klarkommen der
       Übriggebliebenen. Die zweite, die am Freitag startet, beschreibt das Leben
       in Miracle. Obwohl das unerklärliche Verschwinden der vielen Menschen
       selbst den Priester von seinem Glauben hat abfallen lassen, obwohl jede
       Hoffnung in der Serie in Düsternis erdrückt wird, ist „The Leftovers“ das
       Religiöseste, was das Unterhaltungsfernsehen seit Langem gezeigt hat.
       
       Christen haben einen Begriff dafür, wenn ein Mensch aus der
       irdisch-konkreten Erscheinungswelt in eine himmlische Sphäre versetzt wird:
       Entrückung. Und auch wenn die Zuschauer nicht erfahren, was mit den
       Verschwundenen passiert ist (und es auch nie erfahren werden, wie
       Serien-Autor Damon Lindelof bereits angekündigt hat), liegt nahe, dass
       etwas Überirdisches geschehen sein muss.
       
       ## Hilflosigkeit mit Sinnsuche übertünchen
       
       In der ersten Staffel versucht jeder und jede, das Verschwinden zu
       erklären. Wissenschaftler untersuchen die Gründe, eine staatliche Agentur
       befragt Hinterbliebene, der Pfarrer glaubt, es seien die Sündigen, die
       verschwunden seien. Und neben denen, die ihre Hilflosigkeit mit Sinnsuche
       übertünchen, gibt es auch diejenigen, die sich dagegen wenden, einfach
       weiterzumachen wie bisher: die Guilty Remnants.
       
       Die Mitglieder dieser Sekte kleiden sich in Weiß, schweigen, rauchen,
       beobachten. Warum sie rauchen, wird nie erklärt. Es ist ihre Art des
       Gebets, das in der Kirche ja auch nicht infrage gestellt wird. Die Guilty
       Remnants sehen sich als brutale Antwort auf das brutale Verschwinden. Ihr
       Glaube ist der absolute Nihilismus. In einer der grausamsten Szenen der
       gesamten Serie wird ein Sektenmitglied an einen Baum gebunden und
       gesteinigt – eine drakonische Strafe.
       
       In der zweiten Staffel nehmen die übernatürlichen Anspielungen zu. Miracle
       ist zur Berühmtheit geworden: Wer dort leben will, braucht eine Erlaubnis,
       Häuser werden zu horrenden Preisen versteigert, wer nicht reinkommt,
       campiert vor den Toren der Stadt. Touristen werden durchgeschleust. Sie
       kaufen das dortige Quellwasser in kleinen Fläschchen, weil sie es für
       heilig halten. In Miracle leben Wanderprediger, die Kontakt zu Toten
       aufnehmen können, Menschen, die behaupten, böse Geister zu vertreiben und
       verlorene Seelen zu retten.
       
       Und obwohl das nach mystischem Verschwörungsszenario klingt, ist
       „Leftovers“ alles andere als das. Die Serie ist das düstere Sittengemälde
       einer Gesellschaft, die so entrückt ist, dass sie sich von innen selbst
       zerfleischt. Jeder kämpft für sich und wird zum Feind aller anderen. An die
       Stelle von Solidarität treten Hass, Zorn und Wahnsinn. Nur wenige glauben
       noch daran, das Gute bewahren zu können.
       
       Einer von ihnen ist Pfarrer Matt (Christopher Eccleston), der in der
       zweiten Staffel in den Vordergrund rückt. Aufopferungsvoll kümmert er sich
       um seine Frau, die im Wachkoma liegt. Er zieht nach Miracle in der
       Hoffnung, dass die heilige Erde dort seine Frau erweckt. Aber nicht nur sie
       versucht er zu retten: Er opfert sich für die Menschen, die vor den Toren
       von Miracle campieren. So, wie Jesus es für seine Jünger getan hat. In
       einer Szene, die einer Kreuzigung sehr nahekommt. Aber auch dieses Opfer
       wird bestraft. Denn anders als in der Bibel ist in der Dystopie der
       „Leftovers“ das Paradies nicht vorgesehen.
       
       10 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Fromm
       
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