# taz.de -- Propaganda des „Islamischen Staats“: Verwirrter Twitterer
       
       > Der IS zitiert in einem Bekennervideo den in Frankreich populären
       > Philosophen Michel Onfray. Der wirft mit populistischen Phrasen um sich.
       
 (IMG) Bild: Vom Sofa lässt es sich bequem verbal in die Gegend ballern.
       
       Ein neues Bekennervideo aus der auf hohen Touren arbeitenden
       Propagandafabrik des selbst ernannten „Islamischen Staates“ bezieht sich
       auf den in Frankreich populären Philosophen Michel Onfray. Es zitiert einen
       Satz von ihm, mit dem er dazu aufrief, „mit der Bombardierung der
       muslimischen Bevölkerungen auf dem ganzen Planeten aufzuhören“.
       
       Danach befragt, antwortete Onfray dem TV-Sender I-Télé am 22. November, er
       werde immer von allen Seiten instrumentalisiert und denke nicht daran, den
       „Islamischen Staat“ zu verteidigen. Er fügte hinzu: „Frankreich betreibt
       eine Politik, die der IS als Kreuzzugspolitik bezeichnet. Frankreich hat
       sich leichtfertig hinter George W. Bush eingereiht.“
       
       Schon einen Tag nach den Pariser Attentaten klopfte der Dauer-Twitterer
       Onfray diesen Satz in die Tastatur: „Rechte und Linke, die international
       den Krieg gegen den politischen Islam gesät haben, ernten jetzt national
       den Krieg des politischen Islam.“ Er löste damit eine Lawine von Antworten
       aus.
       
       Am 27. November erklärte Onfray gegenüber dem konservativen Magazin Le
       Point, er werde seinen Twitter-Account ab sofort schließen und die
       beabsichtigte Publikation seines für Januar geplanten Buches mit dem Titel
       „Den Islam denken“ verschieben, da „eine Debatte in Frankreich nicht mehr
       möglich“ sei. Er will in dem Buch die französische Elite der kollektiven
       Islamophobie bezichtigen, was insofern etwas ulkig wirkt, als Onfray einen
       hemdsärmeligen, seiner eigenen intellektuellen Untiefen und Inkonsistenzen
       nicht bewussten Brachialatheismus vertritt.
       
       Der durch die Anschläge und die darauf folgende „Hysterie“ nach eigenen
       Worten von „großer Müdigkeit“ geplagte Twitterer Onfray wurde ein Opfer
       seiner Leidenschaft und räumte ein: „Ich habe genug davon, dass meine
       Tweets für wichtiger genommen werden als meine Bücher. Ich will an meinen
       Schreibtisch zurück. Kommentare zu kommentieren interessiert mich nicht.“
       Zu dieser Einsicht hätte er allerdings schon früher kommen können, denn Le
       Monde bezeichnete ihn schon vor Monaten als „Kneipentresenphilosophen“, und
       viele hielten das für eine Beleidigung des Tresenpublikums.
       
       ## Anbiederung an die Rechten
       
       Ins Gerede kam Onfray schon im Februar durch ein Interview mit Le Point.
       Ausgerechnet in diesem rechten Blatt bezeichnete er die Linke, zu deren
       libertärem Flügel er sich immer noch zählt, als „Mafia“, die ihn im
       Zusammenspiel mit dem „ideologischen Terror“ der Medien zum „Opfer auf dem
       medialen Scheiterhaufen“ gemacht habe. Einmal in Fahrt gekommen, holte er
       zu einer wüsten Beschimpfung der Linken aus, die „das Proletariat in den
       Graben gestoßen“ habe. Gleichzeitig verteidigte er Éric Zemmour, den
       rechtspopulistischen Chronisten des Figaro, und den Philosophen Alain
       Finkielkraut, der schon lange nach rechts abgebogen ist.
       
       In der konservativen Zeitschrift legte Onfray nach und bezichtigte Medien
       und Politik, sie würden „ausländische Flüchtlinge“ hofieren, hätten aber
       „kein Ohr für das Leiden der Ihren“ – also für „unser Volk“, das nur noch
       Marine Le Pen ernst nehme, während sich die Linke um „Homosexuelle,
       Geisteskranke und andere Randgruppen“ kümmere. 2002 wählte Onfray noch eine
       trotzkistische Splitterpartei, aber heute hält er alle Parteien für nicht
       mehr wählbar und plädiert für Wahlabstinenz und eine „Politik der Basis,
       des Volkes, das Nein sagt und sich außerhalb von Parteien und
       Gewerkschaften organisiert“.
       
       Mit dieser Anbiederung an den nationalistischen Front National löste er im
       September eine breite Debatte aus, in der ihm vorgeworfen wurde, mit seinen
       Ressentiments gegen Linke und seiner Beschwörung „nationaler Identität“
       objektiv das Geschäft der Rechtspopulisten im Wahlkampf zu den im Dezember
       anstehenden Regionalwahlen zu betreiben. Vielleicht tut dem politisch
       Verwirrten eine Twitter- und Talkshow-Abstinenz ganz gut. Schweigen tut
       nicht weh und bewahrt vor verbalen Dummheiten.
       
       30 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Walther
       
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